IM ANFANG WAR DER TOD. Eberhard Weidner

Читать онлайн.
Название IM ANFANG WAR DER TOD
Автор произведения Eberhard Weidner
Жанр Языкознание
Серия Anja Spangenberg
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783750214316



Скачать книгу

was glaubst du?«

      Er schüttelte den Kopf. »Ich sagte dir doch schon, dass ich mir beim besten Willen nicht vorstellen kann, wie du zu solch einem brutalen Mord in der Lage sein solltest. Allerdings kann selbst ich die Indizien, die wir am Tatort gefunden haben und die allesamt in deine Richtung weisen, nicht einfach ignorieren. Wir müssen ihnen nachgehen und sind verpflichtet, in alle Richtungen zu ermitteln. Auch wenn wir dabei gegen eine Kollegin vorgehen müssen.«

      »Das verstehe ich ja voll und ganz«, entgegnete Anja. »Und dagegen sage ich ja auch nichts. Aber Krieger schießt meiner Meinung nach weit über das Ziel hinaus. Er hätte vor ein paar hundert Jahren einen ausgezeichneten Inquisitor abgegeben, als es nur darauf ankam, unschuldige Frauen auf einen bloßen Verdacht hin einer Hexenprobe zu unterziehen oder gleich auf dem Scheiterhaufen zu verbrennen.«

      Englmair grinste und schien sich ein wenig zu entspannen. »Damit hast du sogar recht. Trotzdem solltest du vorsichtig sein und ihn nicht noch mehr reizen. Manchmal fällt es mir nämlich schwer, ihn zu bremsen, damit er keine Dummheit begeht.«

      Sie schwiegen ein paar Sekunden, und jeder hing seinen Gedanken nach.

      Anja hatte allerdings keine Zeit zu verlieren. Jeden Moment konnte Krieger zurückkommen, je nachdem, wie erfolgreich und umfangreich seine augenblickliche Sitzung war. Und bis es soweit war, wollte sie von Englmair so viel wie möglich über ihre momentanen Ermittlungen in Erfahrung bringen. Allerdings musste sie dabei umsichtig vorgehen, um nicht noch verdächtiger zu wirken, als die Indizien, die Englmair angesprochen hatte, sie ohnehin schon aussehen ließen. So würde beispielsweise eine direkte Frage nach eventuellen Fingerabdrücken, Haaren und DNA-Spuren von ihr am Tatort den Mordermittler bestimmt misstrauisch machen. Schließlich behauptete sie, unschuldig zu sein. Und jemand, der unschuldig war, musste auch nicht befürchten, dass es Spuren von ihm am Schauplatz eines Mordes gab.

      »Krieger wird sich irgendwann schon wieder einkriegen«, wählte sie einen unverfänglichen Einstieg. »Ich weiß zwar nicht, was meine ehemalige Bibel und die Visitenkarte am Tatort zu suchen hatten, doch dafür gibt es bestimmt eine logische Erklärung. Allerdings werdet ihr ansonsten mit Sicherheit keine weiteren Beweise finden, die mich mit dem Mord in Zusammenhang bringen, sosehr Krieger auch danach suchen mag. Es würde mich daher überraschen, wenn ihr meine Fingerabdrücke oder DNA gefunden hättet.«

      Es war ein Schuss ins Blaue und ein gefährliches Spiel mit dem Feuer, das sie hier betrieb. Sie wusste zwar aufgrund des vermeintlichen Albtraums, dass sie bei der Tat Handschuhe getragen hatte und deshalb auch keine Fingerabdrücke am Tatort hinterlassen haben konnte. Doch das Fleischmesser aus ihrer Küche hatte sie in der Vergangenheit oft benutzt und dabei natürlich keine Handschuhe getragen. Sofern sie das Messer daher vor der Tat nicht sorgfältig genug gereinigt hatte, konnten sich darauf durchaus ihre Abdrücke befinden. Oder es hafteten Hautschuppen, Speicheltröpfchen oder Haare von ihr daran, die ihre DNA enthielten. Und auch die Visitenkarte konnte derartige Spuren aufweisen.

      Doch zu ihrer Erleichterung schüttelte Englmair den Kopf, ohne wegen ihrer Frage misstrauisch zu werden. »Wenn es so wäre, hätte Toni dich doch längst verhaftet. Und ich würde jetzt auch nicht einfach so mit dir reden, sondern dich wahrscheinlich ganz offiziell vernehmen. Die Kriminaltechniker fanden zwar mehr Fingerabdrücke und Spuren am Tatort, als uns lieb sein kann, allerdings war bislang nichts darunter, das von dir stammt. Übrigens auch nicht an der Tatwaffe, der Bibel oder der Visitenkarte, obwohl Toni ausdrücklich darum gebeten hat, alles besonders gründlich zu überprüfen.«

      Anja zwang sich, alles zu unterlassen, was Englmair den Eindruck vermitteln könnte, ihr fiele gerade ein riesiger Stein vom Herzen. »Und von wem stammen die Abdrücke dann?«

      Ihr Kollege zuckte mit den Schultern. »Das wissen wir noch nicht. Ich gehe allerdings davon aus, dass sie dem Mesner, den Putzkräften, den Ministranten und den Besuchern der letzten Gottesdienste und Beichtstunden gehören. Die Kirche war förmlich übersät mit Abdrücken. Es gab kaum eine Stelle, an der keine gefunden wurden.«

      »Gab es an der Tatwaffe, der Visitenkarte und der Bibel Abdrücke oder Körperspuren anderer Personen?«

      Er schüttelte bedauernd den Kopf. »Außer dem Blut des Opfers an der Tatwaffe und der Visitenkarte fanden wir nichts. Das wäre ja auch zu schön gewesen, um wahr zu sein. Wir fanden nicht einmal einen Teilabdruck oder einen verwischten Fingerabdruck. Sieht so aus, als hätte der Täter alles sehr sorgfältig abgewischt. Auf der aufgeschlagenen Bibel befand sich nicht einmal ein Staubkorn.« Englmair richtete seinen fragenden Blick auf sie. »Und du weißt wirklich nicht, wo sich die Bibel all die Jahre befand?«

      »Nein! Ich weiß nur noch, dass sie damals in meinem Zimmer im Regal bei den anderen Büchern stand. Ich kann mich aber nicht erinnern, dass ich sie nach dem Tod meines Vaters noch einmal gesehen habe. Und dann sind wir ohnehin ziemlich bald umgezogen. Danach habe ich die Bibel bis zum heutigen Tag nicht mehr zu Gesicht bekommen. Ich habe seit damals, ehrlich gesagt, nicht einmal mehr an sie gedacht. Erst heute früh wieder, als ich sie auf dem Altar liegen sah. Aber da wusste ich noch nicht, dass es meine war. Ich dachte mir nur, dass ich als Kind eine ganz ähnliche Bibel hatte.« Sie überlegte kurz. »Aber ich kann meine Mutter danach fragen. Vielleicht hat sie eine Ahnung, was bei oder nach unserem Umzug damit geschehen ist.«

      »Ja, tu das bitte. Du würdest uns damit einen Gefallen tun. Aber komm bitte nicht noch einmal hierher, solange Toni dich für die Täterin hält. Ruf mich am besten an, dann treffen wir uns irgendwo.«

      Anja nickte. »Habt ihr in der kurzen Zeit sonst noch etwas herausgefunden?«

      Er seufzte. »Eigentlich dürfte ich dir überhaupt nichts sagen. Außerdem kann Toni jetzt jeden Moment zurückkommen. Du solltest also besser gehen.«

      »Ich will nur wissen, was ihr über Pfarrer Hartmann herausgefunden habt. Schließlich muss es einen Grund geben, warum er ermordet wurde.«

      … warum ich ihn ermordet habe, ergänzte sie in Gedanken.

      Englmair zuckte mit den Schultern. »Bislang konnten wir noch kein Motiv finden. Toni geht ohnehin davon aus, dass ihr bei eurem geheimen Treffen in der Kirche über irgendetwas in Streit geraten seid und du ihn im Affekt getötet hast.«

      Ist das vielleicht tatsächlich der einzige Grund, warum ich ihn umgebracht habe?, fragte sich Anja unwillkürlich. Eine simple Meinungsverschiedenheit, und schon stach sie in mörderischer Wut auf den Mann ein, der sie stets freundlich und zuvorkommend behandelt hatte? Der sie darüber hinaus getauft und ihr die Erstkommunion gespendet hatte? Sie schüttelte entschieden den Kopf. Nur wegen eines bloßen Streits würde sie niemanden töten, erst recht keinen Geistlichen. Wenn überhaupt! Es musste also wesentlich mehr dahinterstecken. Sie konnte natürlich aus Notwehr töten. Dazu war sie schon einmal gezwungen gewesen. Und wenn sie ehrlich war, bereitete ihr das auch keine schlaflosen Nächte, denn Johannes hatte drei Frauen auf dem Gewissen gehabt und auch sie und ihre Cousine töten wollen. Doch ansonsten gab es eigentlich nur einen einzigen Grund, aus dem sie möglicherweise eine ganz bestimmte Person töten könnte. Und dabei handelte es sich um den Mörder ihres Vaters.

      »Was ist?«, fragte Englmair, dem ihre Nachdenklichkeit natürlich nicht entgangen war.

      »Meiner Meinung nach scheidet ein Mord im Affekt schon mal aus«, sprach sie rasch das Erstbeste aus, was ihr in den Sinn kam, weil sie ihm nichts von ihren wahren Gedanken verraten wollte. »Wer ein Fleischmesser zu einem Treffen mit einem Geistlichen mitbringt, handelt von Haus aus vorsätzlich und planmäßig.«

      »Das habe ich Toni auch schon gesagt. Aber in dieser Sache ist er wie vernagelt. Seitdem wir die Visitenkarte und die Bibel fanden und beide deinen Namen enthielten, hat er dich im Visier und will partout nicht einsehen, dass er auf dem Holzweg sein könnte.« Er sah auf seine Armbanduhr. »Du solltest jetzt wirklich gehen, bevor er uns zusammen sieht. Sonst denkt er noch, ich mache hinter seinem Rücken mit einer Tatverdächtigen gemeinsame Sache. Wir können ja telefonieren.«

      »Eine Sache noch: Was habt ihr sonst über Pfarrer Hartmann erfahren?«

      Er zuckte ein weiteres Mal mit den Schultern und seufzte. »Nichts, was in irgendeiner Form ungewöhnlich