IM ANFANG WAR DER TOD. Eberhard Weidner

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Название IM ANFANG WAR DER TOD
Автор произведения Eberhard Weidner
Жанр Языкознание
Серия Anja Spangenberg
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783750214316



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erkrankten Kollegen übernehmen müsse und sich deshalb heute Abend nicht wie geplant mit ihr treffen könne.

      Anja verzog enttäuscht das Gesicht.

      Schade, schrieb sie zurück. Dann sehen wir uns hoffentlich morgen Abend. Sie fügte ein weinendes Smiley hinzu und schickte die Nachricht ab.

      Sie hatte sich auf den Abend und die Nacht mit Konstantin gefreut und war traurig, dass nun doch nichts daraus wurde. Das Zusammensein mit ihm hätte sie bestimmt auf andere Gedanken gebracht und verhindert, dass sie ständig über den Mord und ihr Motiv nachgrübelte. Andererseits war es vielleicht auch ganz gut, wenn sie sich heute nicht sahen, denn eigentlich war sie nicht in Stimmung für Gesellschaft. Er hätte ihr bestimmt sofort angemerkt, dass etwas sie beschäftigte und belastete, und wissen wollen, worum es ging. Sie wollte und durfte ihm jedoch niemals erzählen, was sie Furchtbares getan hatte. Ihm nicht und auch sonst niemandem.

      KAPITEL 7

      I

      Anja war froh, als es endlich Mittag war. Sie hatte zuletzt zwar wieder versucht, sich auf ihre eigentlichen Aufgaben zu konzentrieren, dabei allerdings nicht viel erreicht.

      Sie beschloss spontan, in der Mittagspause nach Hause zu fahren, um sicherheitshalber noch einmal gründlich die Wohnung zu durchsuchen. Sie befürchtete, dass die Lederhandschuhe, die sie letzte Nacht benutzt hatte, doch noch irgendwo herumlagen und bei einer Durchsuchung gefunden wurden. Wie der Kapuzenpulli und die Laufschuhe könnten sie ebenfalls Blutspuren aufweisen und ihr damit trotz allem, was sie bislang unternommen hatte, um ihre Spuren zu verwischen, das Genick brechen.

      Allerdings fuhr sie nicht direkt nach Hause, sondern bei einem nahen Sportfachgeschäft vorbei, um sich Ersatz für ihre Schuhe und den Pulli zu besorgen, die sie entsorgt hatte. Anschließend machte sie noch einen kleinen Abstecher in eine Bäckerei, die auf dem Weg lag, und kaufte eine Breze und eine Nussschnecke. Sie hatte Heißhunger auf etwas Süßes. Vielleicht lieferte der Zucker den notwendigen Treibstoff für ihre grauen Zellen und sorgte dafür, dass sie nichts übersah oder vergaß.

      Zu Hause machte sie zunächst Kaffee. Während die Maschine lief, suchte sie noch einmal in der ganzen Wohnung nach den Handschuhen. Sie sah in der Wäsche und unter der Couch nach und fuhr sogar mit der Hand in die Ritzen, obwohl es sie davor ekelte. Doch alles, was sie dabei zum Vorschein brachte, waren Staub, Dreck, Fussel, Haare und Krümel. Schließlich gab sie ihre ergebnislosen Bemühungen auf, wusch sich die Hände und setzte sich an den Küchentisch. Während sie zwei Becher Kaffee trank und dazu die Breze und die Nussschnecke aß, dachte sie angestrengt über alles nach, was sie seit ihrem Aufwachen aus dem Albtraum erlebt hatte. Doch noch immer machte das alles für sie nicht mehr Sinn als zuvor. Und vor allem die entscheidende Frage, warum sie Pfarrer Hartmann umgebracht hatte, war durch Nachdenken allein nicht zu lösen und blieb damit weiterhin offen.

      Nachdem sie das schmutzige Geschirr und Besteck in die Spülmaschine geräumt hatte, klappte sie ihren Laptop auf, um ihre privaten E-Mails zu checken. Konstantin und sie kommunizierten vorwiegend über WhatsApp, doch manchmal, vor allem, wenn sie sich mehrere Tage nicht sahen, schickten sie sich auch E-Mails, die es ihnen erlaubten, längere Nachrichten zu verfassen.

      Es dauerte ewig, bis das betagte Gerät endlich hochgefahren war. Doch für Anjas Zwecke – E-Mails verschicken und empfangen, ab und zu im Internet surfen und gelegentlich einen Brief schreiben – war der Laptop mehr als ausreichend. Sobald der Computer bereit war, startete sie den Browser und ging auf die Seite ihres E-Mail-Dienstes. Anschließend gab sie ihre E-Mail-Adresse und ihr Passwort ein. Es war lang und daher vermutlich relativ sicher; dafür änderte sie es nie, weil sie sich kein neues merken wollte.

      Sie hatte seit gestern fünf E-Mails bekommen. Allerdings sah sie auf den ersten Blick, dass keine von Konstantin darunter war.

      »Schade«, sagte sie und seufzte leise.

      Vier der Nachrichten wurden automatisch als Junkmails aussortiert und in den Junkordner verschoben. Wahrscheinlich ging es darin um Potenzmittel oder Kredite.

      Danach war nur noch eine E-Mail übrig. Der Absender sagte Anja allerdings nichts, denn es handelte sich dabei nicht um einen Namen, sondern um eine scheinbar willkürliche Abfolge von Zeichen, die keinen Sinn ergaben. Sie vermutete, dass es sich um eine weitere Spammail handelte, die das Programm übersehen hatte. Allerdings löschte sie die Nachricht nicht umgehend, sondern öffnete sie, um sicherzugehen, dass es nicht doch etwas Wichtiges war.

      Die Mail war kurz. Sie enthielt lediglich einen knappen fett und kursiv gedruckten Text in der Mitte der Seite, der aus vier Worten bestand:

      In principio erat Mors …

      Nicht schon wieder Latein!, dachte Anja genervt und verzog gequält das Gesicht.

      Der Apokalypse-Killer hatte ihr nach jedem Mord Bibelstellen aus der Offenbarung des Johannes in lateinischer Sprache geschickt. Da sie in der Schule kein Latein gehabt hatte, hatte sie ihren damaligen Wohnungsnachbarn Raphael um Hilfe gebeten, ohne zu ahnen, dass sie damit gewissermaßen den Bock zum Gärtner machte.

      Obwohl er kurz war, las sie den Text mehrere Male, ohne dadurch jedoch schlauer zu werden. Mit jedem Mal wurde ihr unbehaglicher zumute. Denn längst war ihr klar geworden, dass es sich dabei nicht um eine gewöhnliche Junkmail handelte. Nein, diese Nachricht, das spürte sie instinktiv, war ernst. Möglicherweise sogar im wahrsten Sinne des Wortes todernst. Unwillkürlich lief ihr ein Schauder über den Rücken.

      Sie überlegte, wie sie herausfinden konnte, was der Text bedeutete. Schließlich öffnete sie in ihrem Browser einen weiteren Tab und begann, den Text in ihre bevorzugte Suchmaschine einzugeben. Bereits nach dem zweiten Wort wurde ihr »in principio erat verbum Übersetzung« vorgeschlagen. Das vierte Wort stimmte zwar nicht mit der Mail überein, sie klickte aber dennoch darauf und bekam als oberstes Ergebnis der Suche einen Wikipedia-Eintrag über »in principio«. Sie folgte dem Link und erfuhr, dass der Ausdruck »in principio« in der Tat lateinisch war und auf Deutsch »im Anfang« oder »am Anfang« bedeutete. Und »in principio erat verbum« wurde mit »am Anfang war das Wort« übersetzt.

      Anja stutzte. Irgendwo hatte sie das schon einmal gehört oder gelesen. Und das war noch gar nicht so lange her. Deshalb musste sie nur kurz überlegen, bis ihr wieder einfiel, dass Krieger heute früh in der Kirche davon gesprochen hatte. Es handelte sich dabei um das Zitat, das in Anjas alter Bibel markiert worden war. Allerdings waren dort die letzten beiden Worte durchgestrichen und handschriftlich durch »der Tod« ersetzt worden. Sie vermutete daher stark, dass das lateinische Wort »mors« auf Deutsch »Tod« hieß.

      Sie überprüfte es, indem sie in die Suchmaschine »mors Übersetzung« eingab. Und tatsächlich, es stimmte.

      Nachdenklich betrachtete Anja die vier lateinischen Worte auf dem Bildschirm.

      Was hat das zu bedeuten?

      Es beunruhigte sie, dass ihr wie im Fall des Apokalypse-Killers wieder jemand lateinische Bibelzitate schickte. Das weckte ungute Erinnerungen, die sie lieber vergessen hätte. Bedeutete das etwa, dass die Sache noch nicht zu Ende war und weiterging? Allerdings war Johannes, der Absender der ursprünglichen Nachrichten, mausetot. Also konnte im Grunde nur sein Komplize dahinterstecken.

      Aber wieso? Und warum ausgerechnet jetzt?

      Außerdem entsprachen die vier lateinischen Worte der markierten und leicht abgeänderten Textstelle in Anjas ehemaliger Bibel. Es gab damit also einen eindeutigen Bezug zum Mord an Pfarrer Hartmann. Allerdings wusste momentan kaum jemand davon. Lediglich die beiden Mordermittler, die übrigen Kollegen, die am Tatort gewesen waren, und Anja.

      Sie schüttelte den Kopf, weil sie sich nicht vorstellen konnte, dass einer der Kollegen hinter dieser Mail stecken könnte. Lediglich Krieger traute sie jede Gemeinheit zu. Doch würde er tatsächlich so weit gehen und ihr anonyme E-Mails schickten? Und was könnte er damit bezwecken? Wollte er sie etwa durch Psychoterror dazu bringen, ein Geständnis abzulegen?

      Anja verwarf den Gedanken sofort wieder. Krieger war zwar nicht dumm, aber für eine