Komparsen-Blues. Mike Nebel

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Название Komparsen-Blues
Автор произведения Mike Nebel
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742746368



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mehr aus dem Schädel. Ich wollte so schnell wie möglich dorthin.

      Am nächsten Morgen ließ ich mich auf meinem ausrangierten Klappsofa nieder, um mir ein paar wichtige Sachen durch den Kopf gehen zu lassen. Die Frauen, die dort in ihren millionenschweren Villen einsam ihre Tage verbrachten, werden nicht in Lumpen oder mit Sachen aus der Altkleidersammlung durch ihr Leben huschen. Ihre Designerklamotten entstammen allesamt gut sortierten edlen Boutiquen. Feinste Ware auf sonnenbankgebräunten Körpern. Oder sie sind im besten Fall tagsüber gänzlich nackt. Und womit konnte ich glänzen? Ich musste mir was überlegen, sonst würden die Damen mich gar nicht erst zu ihnen ins Haus lassen. Haare, Gesicht, Zähne, Duftwasser, Hemden, Hose, Anzug, Socken, die Liste wurde endlos lang von Dingen und Körperteilen, die ich auf Hochglanz bringen oder mir anschaffen müsste. Ich starrte auf meine Parkerjacke hinter der Tür und der Winterdienst mit einem Schneeschieber in der Hand schwirrte wieder in meinem Kopf, wie ein Haufen lästiger Scheißhausfliegen.

      Meine Spardose war mit einhundert Mark gefüllt, eine Art Notgeld, wenn´s echt hart werden sollte. Und mit echt hart meine ich echt hart. Für einen Job erst einen Sack voll Klamotten besorgen zu müssen war schier unmöglich. Ich durchpflügte meine Wohnung nach brauchbarem Material. Was ich fand waren ein paar schräge Hawaiihemden, eine rostbraune Cordhose und einen Anzug, der mich geschmacklich komplett von meiner Umwelt abspaltete. Ich nannte ihn nur den sogenannten „Turkvolk-Anzug“ und ich mochte ihn. Außer mir trug niemand so ein Kleidungsstück. Außer mir wagte niemand so etwas zu tragen. Sollten Turkvölker tatsächlich derartige Anzüge, zu welchen Anlässen auch immer, getragen haben, hätte ich ihnen damals ausnahmslos einen guten Geschmack bescheinigt. Dieser Anzug wurde aus dickem, derbem Stoff produziert. Er war tiefblau und durchsäht mit silbernen, wenig dezenten Streifen, die sich vertikal von oben bis unten durchzogen. Nur gab es ein kleines Problem mit der Passform an mir. Trug ich den „Turkvolk-Anzug“ auf, reichte das Hosenbein nicht mal zu den Knöcheln und den Ärmeln fehlte es so sehr an Länge, dass er wie eine Kindergröße an mir wirkte. Einmal probierte ich den Anzug in Kombination mit Tennisschuhen, aber so kam ich nicht mal in den Bus. Um den fehlenden Stoff an den Armen zu kaschieren, hob ich hin und wieder einfach meine Arme nicht an. Ich ließ sie einfach am Körper baumeln und trank Cola-Rum nachts in meinen angestammten Läden mit einem Trinkhalm. Alles aber keine echten Lösungen, um gut durch die Nacht zu kommen und was die Ladies in den Villen anging, schätze ich die Abschreckungswirkung des Anzuges als außerordentlich hoch ein.

      Ich telefonierte mit dem Institut und wurde schon für den kommenden Tag zu einem Gespräch eingeladen. Ich beließ es bei dem was ich hatte: „Turkvolk-Anzug“, Kölnisch Wasser, die zum x-ten Mal mit Uhu selbst geklebten Sohlen meiner Halbschuhe und ein rotes Polyester-Oberhemd, aus dem die Chemikalien nur so ihren Weg in die Freiheit suchten. Sonst nix. Der Rest war ich. Es sollte reichen. Es musste einfach reichen. Am nächsten Tag befand ich mich in einem dieser Bürohäuser mitten in der Stadt zu meinem ersten echten Bewerbungsgespräch. Meine Vorbereitung für dieses Gespräch begrenzte sich darauf, dass ich mich am Vorabend trotz einer gewissen Aufregung nicht gänzlich zudröhnte und ich, bevor ich meine Bude zu dem Gespräch verließ, meinen Anzug am offenen Fenster ein paar Momente im Wind hin- und herwedelte. Der Zigarettenmief in den Fasern sorgte selbst bei mir für Würgereiz. Ich goss einen kleinen See gutes Kölnisch Wasser in meine Hand und verrieb das Duftmittel unter die Achselstellen der Jacke und den Rest in den Schoß der Hose. Mir wurde schnell klar, dass ich mich nicht frontal meinem Gegenüber nähern sollte, sondern nur leicht schräg. Alles in allem war ich zufrieden.

      Stunden später saß ich an einem schweren massiven Schreibtisch, möglicherweise Mahagoni. Mir gegenüber saß ein adrett gekleideter Mann irgendwo in einem Alter zwischen fünfunddreißig und fünfzig Jahren. Grobe Schätzung. Hinter ihm offenbarte sich ein für mich bisher nicht gekannter Blick über die Stadt. Ich empfand die Situation und den Ausblick als sehr erhaben und schob meinen Hals noch ein Stück aus dem mich würgenden Hemd, um einen noch besseren Blick zu erhaschen. „Also, ich an ihrer Stelle würde den ganzen Tag nur aus dem Fenster gucken,….also, wenn Sie nicht gerade arbeiten.“, warf ich meinem Gegenüber zu. Ein guter Anfang eines Vorstellungsgespräches ist eben durch nichts zu ersetzen.

      Der sportliche Mann vom Institut schenkte mir trotz meiner aufheiternden Worte kaum Beachtung und kramte unentwegt in einem braunen Papphefter, in dem haufenweise beschriebene DIN-A4-Blätter lagen. Möglicherweise waren das die Bewerbungen derer, die den Job nicht bekommen werden, oder vielleicht doch eher derjenigen, die noch im Rennen waren. Ein Papier zu meiner Person fand er schon deshalb nicht, weil es nur ein kurzes Telefonat zwischen uns gab. Dann schob er den Ordner beiseite und richtete seine Aufmerksamkeit auf meine Wenigkeit. Er schaute mir Ewigkeiten nur so ins Gesicht, fast teilnahmslos, ohne auch nur den Schimmer eines prüfenden Blickes. Er wirkte ziemlich entspannt und atmete tief und lang und ruhig. Ganz bestimmt war ich bereits inmitten eines Tests. Ganz bestimmt. Ich hatte zwar vorgehabt ebenfalls tief, lang, ruhig und teilnahmslos dazusitzen, aber es gelang mir nicht. Ich gaffte ihn in Erwartung irgendeines Signales an und rutschte auf dem Stuhl hin und her. Schließlich ließ ich eine zweite Gesprächseröffnung folgen. „Ist es für Sie in Ordnung, wenn ich mal kurz ihr Klo benutze? Sie können währenddessen ruhig noch in Ruhe weiter nachdenken.“ Er schnappte tief nach einer Portion Luft und stellte mir dann kurz und trocken folgende Frage: „Was sagt Ihnen der Begriff „Hundefutter“?“

      Wie gern wäre ich damals genau in diesem Moment zum Klo gegangen. Ich war bereits dabei mich auf den Armlehnen aufzustützen, um mich in Gang zu setzen, ließ mich nach der Frage dann aber doch sofort wieder in den Sessel zurückfallen. Ich konnte nicht antworten, da mir nichts, was zu seiner Frage passen könnte, einfiel. Nix war parat, keine Antwort, keine Idee, gar nix, geistige Leere. Womöglich hatte ich mich nicht ausreichend mit den großen und kleinen Fragen der Koexistenz von Mensch und Tier beschäftigt. Wie nur reagieren? Ich befürchtete, ich könnte mich jetzt in einem Redeschwall um Kopf und Kragen reden, zu einem Thema, das ich bis dahin für komplett unbedeutend hielt. Ich entschied mich auf Nummer sicher zu gehen und fragte nach.

      „Nur um sicher zu sein, dass ich Sie richtig verstanden habe. Die Frage geht in die Richtung, ob ich,…“

      „Hören Sie mir nicht richtig zu? Die Frage war klar und verständlich formuliert! Also nun, ich warte.“

      Nicht nur er wartete, ich auch. Ein letztes Aufbäumen, die Brust drückte ich nach vorn und dann, letztlich, geistesblitzartig, sprudelte es nur so aus mir heraus.

      „Sehen Sie, für die einen ist es lediglich nur eine breiige Masse oder es sind ein paar knochenharte Rundlinge, die lieblos in den Napf geworfen werden, um das tägliche Überleben des vierbeinigen Wohnungsgenossen abzusichern. Für die anderen ist es jedoch Teil einer Weltanschauung, ein Lebensgefühl, was zelebriert und zur Schau gestellt wird. Jede Futtergabe, jede noch so kleine und überflüssige Zwischenmahlzeit, wird zum Tageshöhepunkt erkoren. Sie verzieren den nach Erbrochenem aussehenden Brei sogar mit Minze und Basilikum, denn auch ein Hundeauge frisst ja mit.“

      Dann erklomm ich sogar die Ebene der Gesellschaftskritik: „Sollen doch die Obdachlosen unter den Brücken verrecken und erfrieren. Hauptsache Frauchen, Herrchen und der vierbeinige Liebling können sich an dem ganzen Hundegourmetmist ergötzen. Und was er nicht frisst, das bekommen nicht die Straßenköter der armseligen, hungernden Zausel an den Bordsteinkanten, nein, das wird einfach im Klo weggespült.“

      „Machen Sie weiter, das gefällt mir!“, wurde ich von ihm unterbrochen und zugleich ermuntert.

      „Seien wir doch mal ehrlich. Was passiert denn schon, wie ist denn tatsächlich die Situation? Da liegt der Rassehund in seiner Stadtvilla im Grunewald, lässt sich an warmen Sommertagen den Hundebauch am Pool kraulen und frisst sich gedankenlos durch den Tag. Und sonst? Was ist für ihn von Bedeutung? Er hat im schlimmsten Fall von Herrchen und Frauchen gelernt, sich von den Straßenkötern abzuheben, der piekfeine Terrier oder die versnobte Pudeldame mit Söckchen aus Hermelin, die von Madame an kalten Tagen über die Pfoten gestülpt werden. Und nur so nebenbei, für den Preis einer Packung Hundefutter gehe ich dreimal Minipizza essen, so sieht es doch aus in unserer kranken Gesellschaft!“

      Pause. Ich hatte mich aufgeregt und musste mich beruhigen. Ich sollte in die Politik gehen, ging mir durch den Kopf. Dann ließ ich mein abschließendes