Wem gehört das Huhn?. Alexander Laszlo

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Название Wem gehört das Huhn?
Автор произведения Alexander Laszlo
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783753192796



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ihr gegenüber verhielt. Was Rosalie jeden Tag ein Stück weiter von mir entfernte, war mein Glaube, dass in jedem Menschen, selbst in Bezirksrichterin Ruth Buttworth, irgendwo tief drinnen ein guter Kern steckte. So hatte ich es von meinem Pfarrer aus Kindheitstagen gelernt. Jeder Mensch kommt gut und rein auf die Welt, niemand kommt böse auf die Welt. Und diesen guten Kern trägt ein Mensch sein Leben lang in sich, auch wenn er nicht immer sichtbar ist. Wenn ein Mensch Böses tut, dann nur, weil ihm selbst Böses widerfahren ist. Und umso mehr braucht er die Nachsicht der guten Menschen. So schwer das fallen mag. „In Richterin Buttworth existiert nichts Gutes mehr. Wenn es das jemals gab, dann ist es schon lange verschwunden.“ Rosalies Meinung war klar, und Richterin Buttworth zeigte uns bei jedem Besuch deutlich, dass es naiv von mir war, daran zu zweifeln.

      Rosalie hatte das früh erkannt, ich aber nicht. Jetzt weiß ich, ich wollte es nicht erkennen. Vielmehr wollte ich weiterhin daran glauben, dass selbst Ruth Buttworth in ihrem tiefsten Inneren noch etwas von dem Guten hatte, mit dem sie, wie alle Menschen, auf die Welt gekommen war. Und daran, dass wir irgendwann von diesem guten Kern profitieren würden und einen positiven Asylbescheid erhielten, wenn es uns gelang, ihn durch unsere beharrliche Freundlichkeit freizulegen. Doch in Wahrheit trieb Bezirksrichterin Buttworth Rosalie und mich immer weiter auseinander.

      Nach drei Jahren zwischen Stillstand und der ständigen Angst, beim nächsten Gerichtstermin festgesetzt und abgeschoben zu werden, waren wir irgendwann sogar an den Punkt gelangt, an dem wir ernsthaft darüber nachdachten, unter welchen Umständen wir nach Mexiko zurückkehren könnten. Doch was würde dann aus Ana und Teresa? Die USA waren ihre Heimat geworden, und sie hatten inzwischen mehr Zeit ihres Lebens hier verbracht als in Mexiko. Die Situation zermürbte mich so sehr, dass ich begann, nachts mit den Zähnen zu knirschen. So heftig, dass immer wieder kleine Stücke abbrachen. Wenn ich am Morgen aufwachte, schmerzte mir der Kiefer. Doch wenn wir an Richterin Buttworths Bösartigkeit nicht zugrunde gehen wollten, durften wir nicht aufhören, an eine Zukunft zu glauben, in der alles gut werden würde. Auch wenn wir unterschiedliche Vorstellungen von dem Weg in diese Zukunft hatten. Der Blick zurück, der Streit zum Umgang mit Buttworth, all das richtete sich letztlich nur gegen uns selbst.

      Inzwischen waren es nur noch wenige Wochen bis zur schicksalhaften Wahl, bei der Donald Trump sein schmutzig erkämpftes Amt verteidigen wollte. In den vergangenen acht Jahren hatte er das Land an den Rand des Abgrundes geführt oder sogar schon ein Stück darüber hinaus, was Hunderttausende Amerikaner so sahen, die durch Trumps miserables Management der Covid-Krise Angehörige verloren hatten. Aber Trump erklärte sich weiterhin zum perfekten Krisenmanager, der durch sein konsequentes Handeln im Kampf gegen das China-Virus, wie er es hartnäckig nannte, Millionen amerikanische Leben gerettet habe. Dann war der erste Impfstoff auf den Markt gekommen, weitere folgten und beendeten die Pandemie innerhalb eines Dreivierteljahres. Für Trump war das die Bestätigung, dass sein Handeln zu jedem Zeitpunkt richtig gewesen war. Er hatte den Menschen einen schnellen Impfstoff versprochen, und tatsächlich war der noch im Jahr 2020 gefunden. Dass dies ausgerechnet ein paar Tage nach der Wahl bekannt gegeben wurde, war für Trump ein weiterer Beweis dafür, dass eine große Verschwörung gegen ihn im Gange war. Und seine Anhänger glaubten ihm. Wahrscheinlich war es sogar besser für Trump gewesen, dass der Impfstoff nicht ein paar Wochen früher entwickelt worden war. Trump erklärte den Menschen, dass die Verschwörung gegen ihn, hinter der selbstverständlich die Demokraten steckten, eine halbe Millionen Amerikaner das Leben gekostet hatte.

      Aber Trump sprach jetzt nicht mehr über das Virus, sondern nur noch über Mexiko. Wie versprochen habe er die Mauer fertiggestellt und Mexiko dafür bezahlen lassen. Alle wussten, dass dies nicht stimmte, aber Trump ignorierte es stumpf. Er hetzte gegen die Mexikaner im Land, die nicht nur jede Menge Straftaten begingen, sondern vor allem den Amerikanern die Jobs streitig machten. Jobs, die er geschaffen habe – für Amerikaner! Die Demokraten wollten seinen Erfolg zerstören, denn sie ertrügen es nicht, dass kein Präsident der Geschichte, nicht mal Abraham Lincoln, mehr für das Land getan habe als er, Donald John Trump. Für ihn war die Sache klar: Er hatte in den Geschichtsbüchern die Führung übernommen!

      America first! Wer dieser Losung nicht uneingeschränkt folgte, wurde vom Präsidenten pauschal zum Feind Amerikas erklärt. Mit seinen Worten säte er Wind, und im ganzen Land folgte der Sturm. Die Amerikaner standen sich unversöhnlicher gegenüber als jemals zuvor. Auf den Straßen, an der Arbeit, in den Familien. Doch die Demokraten konnten davon nicht profitieren, ihr schwacher Präsidentschaftskandidat kam gegen Trumps Gebrüll nicht an. Der Präsident lag in den Umfragen vorn.

      Das Land war tief gespalten und voller Hass. Aber das Leben in Santa Roca hingegen war eine friedliche Oase, die selbst Richterin Buttworth nicht vollends zerstören konnte. Und zum Glück lebte sie nicht in der Gemeinde, sondern in der Bezirkshauptstadt einige Meilen entfernt. Unsere Situation war einigermaßen schizophren. Während im ganzen Land gegen Mexikaner gehetzt wurde, erfuhren wir in Santa Roca Liebe. Bei den Gerichtsanhörungen dann wieder Hass. Und wenn wir zurück nach Hause kamen, das Lächeln in den Gesichtern der Menschen. Wir waren in diesem Widerspruch gefangen und konnten weder vor noch zurück. Aber wir waren fest entschlossen, niemals aufzugeben.

      »Die Falle schnappt zu« Dienstag, 29. Oktober 2024, 8:00 Uhr. Noch 7 Tage bis zur Wahl.

      Dieser Morgen begann mit dem positiven Gefühl eines guten Tages. Verliebt blickte ich auf das Kissen neben mir und gab Rosalie einen zärtlichen Kuss auf die Stirn. Aller Zwietracht zum Trotz, die Buttworth zwischen uns gebracht hatte, verband mich mit Rosalie eine tiefe Liebe.

      „Guten Morgen“, flüsterte ich ihr ins Ohr. Verschlafen vergrub sie ihr süßes Gesicht tief im Kissen. Ich betrachtete sie eine Weile, bevor eine Bewegung in meinem Augenwinkel meine Aufmerksamkeit auf sich zog. Jimmy, der Nachbarskater, war auf den Fenstersims gesprungen und hatte sich dort zur Fellpflege niedergelassen. Als er mich entdeckte, legte er seinen Kopf zur Seite, blickte mich mit seinen leuchtend grünen Augen an und machte schließlich einen großen Satz zurück auf den Baum, vom dem aus er hier hochgeklettert war. Jimmy saß oft vor unserem Schlafzimmerfenster. Von hier aus hatte er nicht nur den Vorgarten im Blick, sondern auch den schmalen Fußweg hin zur Straße und all das Geschehen darauf.

      „Mach dir keine Sorgen. Wenn wir zusammenhalten, dann kann uns der Präsident nichts anhaben“, flüsterte ich Rosalie ins Ohr, die zwar wach war, aber noch keinerlei Lust verspürte, das Bett zu verlassen. „Wir sehen uns heute Mittag, ich gehe jetzt zu Pfarrer Brown und repariere mit ihm das Dach des Gemeindehauses. In den nächsten Tagen soll es regnen.“ Mit geschlossenen Augen zog Rosalie mich zu sich und drückte ihr Stupsnäschen in meine Wange. „Du hast recht, alles wird gut, wenn wir zusammenhalten. Wir dürfen uns nicht auseinanderbringen lassen. Wir sehen uns heute Mittag. Ich liebe dich.“ „Ich liebe dich auch“, flüsterte ich zurück und gab ihr einen zarten Kuss auf die Stirn. Vor dem Fenster glitzerte die warme Herbstsonne durch die goldenen Blätter der Bäume. Ein Tag, der so perfekt begann, konnte doch gar nicht schlecht enden, dachte ich und machte mich beschwingt auf den Weg.

      Pfarrer Brown war bereits auf dem Dach, als ich das Gemeindehaus erreichte. Das Gebäude war schon etwas in die Jahre gekommen, das Dach hatte an einigen Stellen Löcher, die nur notdürftig mit Holzplanken und einer Plane abgedeckt waren. Doch jetzt, wo es nicht mehr lang bis zum nächsten Winter war, sollte das Dach endlich geflickt werden, und die Gemeinde hatte genügend Geld gesammelt, um das nötige Baumaterial zu kaufen. Pfarrer Brown war nicht nur ein Mann wahrer, notwendiger und freundlicher Worte, er war auch ein Mann der Tat. Diese Leidenschaft teilten wir, und so war ich inzwischen so etwas wie der Generalhausmeister für die ganze Gemeinde und die Häuser ihrer Mitglieder geworden. Ehrenamtlich, denn richtig arbeiten durfte ich noch immer nicht, solange über unseren Asylantrag nicht entschieden war. Daran hatten auch mehrere Anträge von uns aus nichts geändert. Und so lebten wird nun schon seit fast vier Jahren von unseren Rücklagen und der Unterstützung der Gemeinde, die unsere Wohnung bezahlte.

      Ich erreichte das Gemeindehaus. „Luis! Pünktlich wie immer. Komm hoch, ich habe Kaffee hier oben!“, rief Pfarrer Brown mir vom Dach aus zu, als er mich sah. Mit einer Hand hielt er sich am Dach fest, während er mit der anderen eine weiße Thermoskanne mit blauem Deckel griff und in