Wem gehört das Huhn?. Alexander Laszlo

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Название Wem gehört das Huhn?
Автор произведения Alexander Laszlo
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783753192796



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Sie also vermutlich nicht in die USA gekommen.“

      „Nein.“

      „Aber das bedeutet nicht automatisch, dass Sie nicht in schlechter Absicht in die USA gekommen sind.“

      „Glauben Sie, ich habe freiwillig ein glückliches Leben in Mexiko zurückgelassen?“

      „Es kommt nicht darauf an, was ich glaube, sondern was ich weiß. Über Sie. Das ist bisher nicht viel. Seien Sie versichert. Die Vereinigten Staaten sind ein starkes Land, und es wird Menschen, die etwas Böses im Schilde führen, daran hindern. Aber auf der anderen Seite hilft dieses Land Menschen, die Hilfe brauchen. Menschen, die wirklich Hilfe brauchen.“ Brown ließ keinen Zweifel daran aufkommen, dass er seine Arbeit ernst nahm. „Erzählen Sie mir Ihre Geschichte. Und denken Sie immer daran, die Wahrheit ist immer die Wahrheit, und sie bleibt es auch. Die Wahrheit kann niemand ändern. Auch wenn sie nicht immer sofort ans Licht kommt, so bleibt sie doch die Wahrheit. Erzählen Sie mir, warum Sie mit Ihrer Familie in die USA gekommen sind. Beginnen Sie einfach ganz von vorne.“

      „Von ganz vorne?“, entgegnete ich verunsichert.

      „Fangen Sie einfach an, wo Sie wollen. Ich habe Zeit. Alle Zeit der Welt. Na ja, vielleicht nicht alle.“ Brown lächelte und blickte auf die Uhr an der Wand „Aber genügend. Erzählen Sie einfach.“

      Ich setzte mich aufrecht in meinem Stuhl und begann zu erzählen.

      „Mein Name ist Luis Olivares. Ein ganz normaler Name für einen ganz normalen Menschen. Und auch der allergrößte Teil meines Lebens ist normal verlaufen, damit meine ich so, wie ich es mir vorgenommen hatte. Geboren wurde ich vor fünfunddreißig Jahren in einem kleinen Dorf im Süden der Baja California. Ich habe dort eine sehr glückliche Kindheit verbracht. Auch wenn ich keine Geschwister hatte, so habe ich mich nie allein gefühlt. Mit meinen Freunden habe ich viel Zeit in der Natur verbracht. Als ich sechs Jahre alt war, sind meine Eltern in die Nähe einer Stadt gezogen, die in den Jahren zuvor immer mehr Touristen angezogen hatte und wirtschaftliche Chancen versprach. Sie heißt Los Santos und war früher einmal ein verschlafener Küstenort mit einem wunderschönen Strand, einem kleinen Hafen und einer Handvoll Hotels.

       Mein Vater hatte Geld von seinem Großvater geerbt und in Los Santos einen Fischereibetrieb gegründet. Sein ganzes Leben schon hatte er als Fischer auf unzähligen Kuttern gearbeitet, nun war er sein eigener Chef. Und er arbeitete hart für seine Familie. Er hat zwei Kutter gekauft und zehn Männer beschäftigt. Mit siebzehn habe ich eine Lehre bei ihm begonnen. So bin auch ich Fischer geworden. Mit neunzehn habe ich meine Jugendliebe Rosalie geheiratet, die bei ihrer Großtante lebte, ihre Eltern waren früh gestorben.“

      Ich wollte Brown ein Foto von Rosalie auf meinem Handy zeigen, doch der schaute nur kurz hin und forderte mich mit einer Handbewegung auf weiterzuerzählen.

      „Mein Vater besaß also zwei Kutter und beschäftigte zehn Angestellte. Im Hafen hatte er eine große Halle gebaut, in der seine Leute den Fang verarbeiteten. Der Betrieb lief gut, die Netze waren immer voll. Er hätte noch ein oder zwei weitere Kutter anschaffen können, die Nachfrage nach Fisch wurde immer größer, als mit den Jahren die Stadt und die ganze Region immer touristischer wurde. Ein Großhändler wollte sogar seinen ganzen Fang abnehmen, aber mein Vater zog es vor, auch weiterhin direkt an Restaurants und Hotels zu liefern. Er hatte sich einen Namen gemacht, und viele Restaurantbetreiber waren über die Jahre so etwas wie Freunde für ihn geworden. Das war ihm wichtiger als noch mehr Profit. Er war zufrieden mit den Dingen, wie sie waren. Die Zeit mit seiner Familie war für ihn kostbarer als Geld. Es fehlte uns an nichts, wozu brauchten wir also mehr, hat er gesagt. Ich habe das schon damals anders gesehen, aber im Betrieb meines alten Herrn hatte ich nicht viel zu melden. In der Lehre hat er mich hart rangenommen, die anderen Männer, raue, aber herzliche Kerle, hatten manchmal richtig Mitleid mit mir. Geschenkt habe ich nichts bekommen. Aber es war eine gute Zeit mit guten Menschen, in der ich gelernt habe, hart und ehrlich zu arbeiten.

       Mit meinen Eltern lebte ich auf einer kleinen Ranch oberhalb von Los Santos. Meine Mutter hatte hinter dem Haus kleine Felder, auf denen sie Obst und Gemüse anbaute. Ringsherum war nichts als Sand, Steine und Kakteen und vor uns der mächtige Pazifische Ozean, den man von unserer Terrasse aus sehen konnte. Von der Hauptstraße schlängelte sich eine schmale Schotterpiste zu unserem Grundstück, jede Autofahrt verursachte eine riesige Staubwolke, die man schon von Weitem sah. Die Zeit verging, rückblickend eine glückliche, wundervolle Zeit.“

      Ich geriet ins Träumen und schüttelte mich kurz, bevor ich mich versicherte, dass Brown noch zuhörte. Er tat es.

      „Wir hatten wirklich Glück mit dem Leben, das uns zuteil geworden war. Aber dann ist das Glück von einem Tag auf den nächsten verschwunden. Meine Eltern sind bei einem Autounfall gestorben. Ein Wagen hat sie überholt, dabei von der Straße gedrängt. Der Fahrer ist einfach weitergefahren. Man hat ihn nie erwischt.

       Da war ich zweiundzwanzig und musste plötzlich das gesamte Leben meiner Eltern übernehmen. Ich war von einem Tag auf den nächsten ein Unternehmer geworden und trug die Verantwortung für die zehn Angestellten meines Vaters und deren Familien. Rosalie ist zu mir auf die Ranch gezogen und wir beschlossen, die eigentlich schon fest geplante Familiengründung erst mal zu verschieben.

       Drei Jahre warteten wir, dann wurde Rosalie mit Ana und Teresa schwanger. Die Mädchen wurden geboren, und Rosalie arbeitete auf der Ranch und kümmerte sich dort um die Kinder. So konnte sie arbeiten und gleichzeitig für Ana und Teresa da sein. Sie hat den Gemüseanbau meiner Mutter um eine Zucht für Orchideen und seltene Kakteen erweitert. Beides haben wir zur Dekoration an die Hotels verkauft, von denen es immer mehr gab. Die Nachfrage wuchs ständig und damit unser Geschäft. Wir haben ein großes Gewächshaus hinter dem Haus gebaut, dann ein zweites, in denen Rosalie ganz besonders empfindliche und wertvolle Orchideen züchtete. Das Geld wuchs bei uns praktisch aus der Erde. Wir mussten es nur ernten. Auch die Fischerei lief gut. Sehr gut sogar. Die Nachfrage stieg mit der Zahl an Touristen, die jetzt hier Urlaub machten. Als ich ein Kind war, gab es gerade mal eine Handvoll Hotels, und die Gäste waren vor allem amerikanische Rentner, die hier den Winter verbrachten.

       Doch dann hatten einige Reiseveranstalter das Potenzial von Los Santos entdeckt und begonnen, es in den USA massiv zu bewerben. Immer mehr Besucher kamen, und die Urlaubssaison wurde immer länger, bis die Menschen hier praktisch das ganze Jahr über Urlaub machten. Irgendwann sah man immer seltener entspannte Rentner, dann gar nicht mehr. Die Gäste kamen noch immer aus den Vereinigten Staaten, aber sie wurden immer jünger und waren nicht an einem ruhigen und entspannten Urlaub interessiert. Es wurden immer mehr Hotels gebaut, größere Hotels, mehr Restaurants, was zunächst gut für mein Geschäft war, mehr Bars, Supermärkte und mehr Verkehr. Die Stadt wuchs ständig und wurde innerhalb weniger Jahre voll, laut und rücksichtslos.

       Auch unser Leben änderte sich, und ehrlich gesagt empfand ich das anfangs als etwas Positives, denn unsere Geschäfte liefen besser denn je. Alles war bezahlt, und auch die Ranch gehörte uns, wir konnten das meiste Geld also zurücklegen. Aber anders als mein Vater habe ich auch weiter in den Betrieb investiert. Ich charterte einen weiteren Kutter und drei Mann Besatzung. So oft es ging, fuhren alle Kutter raus aufs Meer und kamen jedes Mal mit vollen Netzen zurück. Die Hälfte des Fangs verkaufte ich nun an den Großhändler, die andere Hälfte, mit den besonders schönen Fischen, lieferte ich noch immer persönlich an verschiedene Restaurants. Während ich im Lieferwagen in der Stadt unterwegs war, den frischen Fisch auslieferte und die Kontakte pflegte, waren die Kutter draußen. Fast Tag und Nacht ging das so. Das Geschäft brummte. Ich hatte mich anstecken lassen vom Goldrausch in der Stadt. Vier Jahre lang habe ich praktisch nur gearbeitet. Auch die Gärtnerei machte gute Gewinne. In wenigen Jahren sind wir sehr wohlhabend geworden, nicht nur für mexikanische Verhältnisse. Einen großen Teil haben wir für die Ausbildungen unsere Töchter und unsere Altersvorsorge auf amerikanischen Konten fest angelegt.“

      Ich deutete auf die Akte auf dem Tisch. Brown nickte.

      „Los Santos war also nicht mehr der Ort meiner Kindheit und Jugend. Statt amerikanischer Pensionäre