Viktor. Levi Krongold

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Название Viktor
Автор произведения Levi Krongold
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742779670



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aus der ermüdenden Routine des Alltags und der privaten Perspektivlosigkeit. Meine Familie hatte wenigstens die Illusion der Notwendigkeit eines derartigen Zustandes erzeugt, aber seit der Trennung wurde dieses Gefühl zunehmend zur Last.

      Vor dem Wohnblock, in dem ich mein neues Zuhause gefunden hatte, checkte ich mich aus der Kabine aus, die sofort zum nächsten Einsatz fuhr, sog die kühle Abendluft noch einmal kräftig ein und wollte mich gerade mittels Daumenabdrucks an der Pforte identifizieren, als mein Arm-Pad sich meldete. »Bitte Rückruf, dringend. Raskovnik«.

      Ich stutzte. Raskovnik rief mich privat an? Woher hatte der meine Privatnummer? Soweit ich mich erinnern konnte, hatten wir nie unsere privaten Nummern ausgetauscht.

      Ich tippte die Antworttaste. Der kleine Bildschirm flammte auf. »Entschuldige, dass ich dich in deiner Freizeit störe...«

      »Woher hast du meine Nummer?«

      »Ist die nicht im System hinterlegt...?«, fragte er zurück.

      »Nicht das ich wüsste...«, überlegte ich.

      »Hör mal, es gibt eine geringe Chance. Es wäre wichtig, dass u diese Montenièr schnellstmöglich aufsuchst. Sie weiß dir einiges zu berichten, was ich dir hier nicht am Pad mitteilen kann. Es gibt eine Chance, dass du sie heute Abend in der Nähe vom ,Fleur' antriffst. Ich habe ein wenig recherchiert und herausgefunden, dass sie sich dort aufhält.«

      »Weshalb?«

      »Kann ich dir nicht sagen, gerade. Aber du weißt schon. Es könnte wichtig sein für dich!«

      Merkwürdig!

      »In welchem Bezirk liegt das ‚Fleur‘?«

      »Im 14.«

      »Willst du mich etwa in diesen Abgrund schicken?«

      »Es ist nun mal dort, tut mir leid.«

      Das gefiel mir gar nicht, da ich es nicht gewohnt war, aus meinem Bezirk herauszugehen.

      »Aber ich habe keinen Dienst jetzt.«

      »Ich weiß, ich weiß. Nur das Problem liegt darin, dass es sonst schwer werden wird, sie überhaupt irgendwo anzutreffen.«

      »Ich hab gar keine Akte dabei.«

      »Levi, es geht um dich. Vertrau mir! Es ist von größter Wichtigkeit. Vielleicht ergibt sich eine Kontaktmöglichkeit. Mach dir mal ein Bild vom Zustand dieser Frau.«

      »Randaliert sie?«

      »Nicht, dass ich wüsste.«

      »Hör mal, das schmeckt mir überhaupt nicht. Wenn die Sicherheit ohnehin weiß, wo sie ist, warum schickt sie dann nicht einen ihrer Leute hin.«!«

      Er räusperte sich. »Ist sozusagen eine private Angelegenheit... verstehst du?«

      »Wieso?«

      »Ich erklär es dir später. Ich schicke dir nochmals ein Bild von ihr, damit du sie erkennst. Gehst du?«

      Was war nur mit Raskovnik los? Irgendwie passte die Art, wie er mir dies mitteilte, nicht zu dem Bild, das ich mir von ihm gemacht hatte. Ob er etwas wusste, was mit Eschner und dessen obskuren Rolle in dieser Sache zu tun hatte?

      Offenbar konnte er nicht offen reden am Pad. Andererseits, überlegte ich, hatte ich ohnehin nichts mehr vor heute und vielleicht entwickelte sich ja daraus die Perspektive, die mir gegenwärtig so dringend fehlte.

      »Okay. Aber nur kurz.«

      »Gut! Das AuTaX ist informiert.«

      Kurz danach öffnete sich ein Anhang, in dem das Bild der schizophrenen Klientin angezeigt wurde. Missmutig schaltete ich das Teil aus.

      Was ging hier eigentlich vor und warum um alles in der Welt ließ ich mich auf diese merkwürdig. »Begutachtung« ein? Ich hatte einige Zeit im AuTaX darüber nachzugrübeln, insbesondere da dort Fahrziel und Einbuchung schon vorgenommen worden waren. Die Antwort lag wohl im Konterfei dieser Suzanne Montenièr. Sie war mir nämlich irgendwie sympathisch. Genaugenommen konnte ich mir nicht vorstellen, dass sie an dieser Wahnerkrankung leiden sollte, zumindest wünschte ich es ihr nicht. Obwohl das biometrisch korrekt erstellte Foto eher wie ein Auszug aus einer Verbrecherkartei wirkte, beeindruckten mich in dem schlanken Gesicht die großen Augen und markanten Augenbrauen, die dem Gesichtsausdruck etwas Sanftes verliehen. Aber man soll sich nicht täuschen! Schizophrene sind nicht grundsätzlich dumm oder geistig minderbemittelt. Im Gegenteil. Ich habe in meiner Laufbahn als Psychiater viele äußerst intelligente, phantasievolle Patienten erlebt, die erst durch die lange Einwirkung von Medikamenten oder den chronischen Krankheitsverlauf geistig abgebaut hatten. Mit anderen Worten, ich war neugierig auf die Frau. Andererseits war die amtliche Herangehensweise an diesen Fall mehr als seltsam.

      Bis zu dem Punkt, wo die Klientin vor Ort aufgesucht werden sollte, konnte ich noch routinemäßig mitgehen. Aber diese merkwürdige Annäherung, ohne dass die betreffende Person von ihrer Ausforschung erfahren sollte, schmeckte mir nicht. Ich bin zwar nicht scharf darauf, gleich mit eine. »Verpiss dich« abgefertigt zu werden, andererseits billige ich meinem Gegenüber noch so viel Menschenwürde zu, dass es wissen sollte, worum es geht.

      Stellen wir uns nur einmal vor, Suzanne Montenièr könnte die Geheimleute wirklich zu einem Terroristennetzwerk führen, dann würde ich annehmen, dass die sich Tag und Nacht an ihre Fersen heften und schauen, wo sie sich aufhält. Aber statt dessen eine psychiatrische Begutachtung zu veranlassen erschien mir wenig zielführend. – Es sei denn, dass dies nur ein Vorwand für etwas anderes war – oder dass die Beobachtung durch mich genauso wirkungsvoll wäre, nur andere aus der Schusslinie brächte. An diesem Punkt begann eine gewisse Verärgerung in mir aufzukeimen. Ich beschloss, ihr, sollte ich ihr begegnen, gleich reinen Wein einzuschenken. Andererseits... Eschner eins auswischen, indem ich Schleimipunkte irgendwo ganz oben einsammelte, war auch nicht schlecht.

      Der Platz vor de. »Fleur«, ein in die Jahre gekommenes kleines französisches Restaurant, war genauso runtergekommen wie alle anderen Gebäude auch. Ich befand mich im Botanikerviertel, einer Promeniermeile aus besseren Zeiten, ganz in der Nähe des Botanischen Gartens und des kleinen Kanals, der die Metropole im Norden teilt. Einige imposante restaurierte Jugendstilbrücken führen zur anderen Seite des Viertels. Dahinter liegt heute das ehemalige Studentenviertel, aufgrund der Nähe der Universität so benannt und der Tatsache, dass dort wegen der damals schon heruntergekommenen Bausubstanz billige Wohnungen zu haben waren. Inzwischen wohnten dort in enger Nachbarschaft mit imposanten Büroneubauten vor allem Sozialhilfeempfänger in städtischen Sozialwohnungen, die ihnen zugewiesen worden waren. Die ganze Gegend weist eine mindestens doppelte Dichte an Überwachungskameras aus, wie der restliche Teil der Stadt zusammengenommen. Allerdings gibt es auch hier die höchste Kriminalitätsrate der gesamten Stadt. Hier und da kreisen plötzlich Polizeidrohnen über den Plätzen, scannen alles mit Infrarotkameras, um kurz darauf blitzartig wieder zu verschwinden. Nicht gerade ein Ort, wo man gerne nachts alleine rumsteht, so wie ich jetzt. Ich hatte kaum eine Minute unschlüssig auf dem Platz gestanden, als schon eine dieser Drohnen über mir kreiste. Ich setzte mit meinem Arm-Pad meinen Code ab, worauf sie sich entfernte. Wie sollte ich Frau Montenièr hier finden? Ich schaute mich um, ob irgendwo eine ausgeflippte Person die Aufmerksamkeit der Passanten auf sich zog oder in einer Ecke oder am Fuß einer Brücke eine zusammengekauerte Gestalt hockte. Fehlanzeige. Zweimal verfolgte ich eine Person, die die Gesuchte hätte sein können, sich jedoch als Prostituierte herausstellte. Die hätte aber ebensowenig hier sein dürfen. Immerhin wies diese Tatsache darauf hin, dass die staatliche Überwachung der Plätze doch nicht so lückenlos sein konnte, wie allgemein angenommen. Eine Überlegung, die die ganze Angelegenheit in ein anderes Licht rückte. Vielleicht war gar nichts Geheimnisvolles am Verschwinden der Frau, sondern die Überwachung war nur einfach lückenhaft. Dieser Gedanke beruhigte mich insofern, als die Wahrscheinlichkeit, unliebsamen Kontakt mit einer Terrorgruppe zu bekommen, etwas geringer erschien. Ein leichter Nieselregen hatte eingesetzt. Ich hatte die Nase voll, war frustriert und müde und hungrig, deshalb beschloss ich, in. »Fleur« zu gehen, um dort etwas zu mir zu nehmen.

      Trotz des antiquierten Eindrucks, den das kleine Restaurant