Viktor. Levi Krongold

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Название Viktor
Автор произведения Levi Krongold
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742779670



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sie zu kontrollieren. Ich bin ein Kontrolleur von Amts wegen.

      Aber da ist etwas Neues hier im Raum und auch vorher an der Tankstelle. Es ist ein angenehmes Gefühl, wie eine süße Erinnerung an etwas früher Gekanntes, aber lange Vergessenes. Eine Art Kindheitserinnerung, flüchtig wie ein Geruch und doch nicht verloren und es hat mir ihr zu tun. Es ist diese Sehnsucht nach ihrer Zuneigung, dem Kontakt zu ihr und ihrem Körper.

      Ich schüttele unwillig den Kopf. Was, wenn sie recht haben sollte? Was, wenn ihre Psychose gar keine, ihr Wahn Wahrheit ist?

      Sie hat sich etwas beruhigt und löst sich fast schon etwas zu heftig aus meiner sanften Umarmung.

      Ich stehe nur da. Der Raum, den sie gerade noch eingenommen hat, erscheint mir plötzlich endlos kalt, leer und öde. Ich lasse die Arme hängen, die mir unendlich schwer vorkommen.

      Sie steht in der Nähe des Fensters, eine schlanke Silhouette, und hält sich die Schultern, als wenn sie friere. »Warum verstehen Sie denn nicht? Warum verstehen sie denn alle nicht?«

      Ich antworte nicht. Es fehlen mir einfach die Worte und ich will sie nicht noch einmal provozieren.

      Es ist nicht mein Job, sie zu provozieren. Aber was ist eigentlich mein Job? Ich weiß es plötzlich irgendwie nicht mehr. Versuche mich zu erinnern. Warum zum Teufel bin ich ihr eigentlich hierher gefolgt?

      2.*

      Sie war aufgefallen.

      Sicher, sie sollte kontrolliert werden, weil sie aufgefallen war. Eine psychische Anomalie, eine Störung, vielleicht eine Psychose. Ein atypisches Denkmuster. Nichts Ernstes wahrscheinlich, nur eine Routinekontrolle.

      Ihre Akte, Suzanne Montenier, die ich neulich bei Dienstbeginn im Amt für Gesundheit und Soziales, Refera. »Medizinische Begutachtung und Rehabilitation«, auf meinem Schreibtisch entdeckte und die den Stapel auf der Ablage für unbearbeitete Fälle auf meiner Linken noch um einige Zentimeter erhöhte, trug allerdings den Vermerk. »Eilt, diskret!«, mit dem dafür üblichen blauen Aufkleber und der roten Diagonalen über der grauen Aktenfolie.

      Merkwürdigerweise war sie offenbar auf meinem Schreibtisch von jemanden abgelegt worden und nicht über den zentralen Server eingetaktet, wie die anderen Akten. Denn am Tag zuvor war sie sicher noch nicht dabei gewesen. Außerdem unterschied sie sich schon farblich von den mattroten Folien der übrigen Akten.

      Ich blätterte sie seufzend kurz durch, notierte routinemäßig das Eingangsdatum in der Bearbeitungsmaske im PC, der mir daraufhin das Abgabedatum des Berichtes diktierte.

      8 Wochen, wie neuerdings üblich.

      Aufgrund einer Beschwerde der übergeordneten Personenschutzbehörde waren nun aus der früher üblichen Bearbeitungszeit von 3 Monaten unlängst 8 Wochen geworden, bei gleichzeitiger Reduzierung des Personals. Dennoch betrug die Verfahrensdauer meist mehr als dreimal soviel, was auch irgendwie niemanden wirklich störte.

      Nur, wenn mal wieder ein perfider Terroranschlag die Gazetten füllte, wie neulich, als die soundsovielte Bombe mehrere Opfer in einem der neuen Einkaufscenter zur Folge hatte und der oder die Täter nicht geortet werden konnten, weil sie sich mit einer neuen Technik vor den Sonden und Kameras unsichtbar gemacht hatten, dann wirbelte alles in den oberen Etagen der betreffenden Behörde durcheinander, rollten einige Köpfe untergebener Abteilungen, wurden neue Verfahrensweisen oktroyiert, Urlaubstage gestrichen, Versetzungen veranlasst und Bearbeitungsprogramme umgeschrieben, bis alles nach einiger Zeit wieder im alten Trott weiterlief.

      So auch jetzt.

      Ich strich über meine müden Augenlider, setzte mich seufzend zurück, schaute die absolvierten PC-Zeiten auf meinem Arbeitszeitkonto an, die mir sagten, dass ich mein Monatssoll noch nicht erfüllt hätte und beschloss, trotzdem einen Kaffee trinken zu gehen.

      Die Cafeteria des Amtes für Personenüberwachung befindet sich im Eingangsbereich im Erdgeschoss. Sie ist der einzige Vorwand, wenn einem danach ist, für kurze Zeit einmal den PC-Arbeitsplatz zu verlassen und sich Bewegung zu verschaffen. Ansonsten ist wenig Grund geblieben, sich von seinem Computersessel zu erheben. Naja, manchmal fällt eine Aktenfolie vom Stapel und verschwindet unter dem Schreibtisch oder rutscht unter den Aktenschrank. Warum rutschen die Aktenfolien eigentlich immer wieder gerade in die verdammte Ritze unter diesem altertümlichen Schrank? Vielleicht liegt es am Material, diesen dokumentenechten, glatten, unzerstörbaren, reiß- und knautschfesten Folienchips? Immer wieder bin ich gezwungen, den letzten noch gerade mit der Fingerspitze erreichbaren unter der Stoßleiste vorlukenden Zipfel vorsichtig zu fassen und hervorzuziehen, um sie nicht versehentlich und auf alle Zeiten ganz unter den Aktenschrank zu schieben. Dann wünschte ich mir, dass alle Akten noch von der gleichen soliden Substanz wären, wie diejenigen im Schrank, die wohl schon einhundert Jahre darauf warten, endlich digitalisiert zu werden. Aber der Fortschritt lässt sich nicht aufhalten.

      Aus meinem Referat führen zwei altertümliche Aufzüge nach unten, von denen einer, der linke, immer noch nicht repariert und außer Betrieb ist. Er ist genauso alt wie die muffigen Flure der Abteilung und genauso heruntergekommen. Die Gelder für die Sanierung scheinen immer wieder in den anderen vorrangigen Abteilungen zu verschwinden. Auf diese Weise nimmt die hochmütige Missachtung, die unserer Abteilung durch die anderen Referate entgegengebracht wird über bröckelnden Putz und der durch Jahrzehnte ausgeblichenen Verputz der Wände greifbare Gestalt an. Wir gelten im Amt als Sonderlinge, da wir noch persönlichen Kontakt mit Klienten ode. »Kunden« pflegen, wie wir beschönigend sagen, anstatt uns in vornehmer digitaler Distanz zu ihnen zu halten. So gleicht das Gedränge, dass morgens bei Dienstbeginn und abends bei Dienstende vor dem rechten Aufzug entsteht, einem Spießrutenlauf, bei dem die Blicke der anderen Mitarbeiter um so deutlicher ausdrücken, was die Lippen sorgsam verschweigen.

      Zur frühen Nachmittagszeit hingegen war der Aufzug meist leerer. So auch jetzt.

      Ich versuchte, die beiden Mitarbeiterinnen aus der Abteilun. »Hygiene und Seuchen«, eine ärztliche Kollegin und deren Vorzimmertippse, die sich angeregt über einen Impfverweigerer unterhielten, höflich zu ignorieren, da ich von ihnen auf meinem Arm-Pad nicht angepingt worden war, was deren Bereitschaft zur Kommunikation signalisiert hätte. Ihrem geflüsterten Gespräch war jedoch zu entnehmen, dass der betreffend. »Kunde« zwangsweise zum Impftermin vorgeführt worden war und wohl viel Geschrei veranstaltet hatte. Eine nicht alltägliche Abwechslung im üblichen Büroalltagseinerlei.

      Beim Verlassen des Aufzuges nickte ich der ärztlichen Kollegin verständnisvoll zu, was mir einen verwunderten, jedoch nicht unfreundlichen Blick eintrug.

      Die Cafeteria war wie immer um diese Zeit fast leer. Drei oder vier Gestalten saßen vor den Monitoren oder warteten vor den Serviereinheiten auf die Ausfertigung ihrer Bestellung.

      Ich ließ mich auf einen freien Sessel sinken, legte meinen Codering an das Terminal und wartete die üblichen vier Sekunden auf das Ende des unvermeidlichen Werbetextes, bei dem diesmal eine neue Kaffeesorte, aus garantiert gentechnisch optimierten Kaffeebohnen, mit de. »gewissen Geschmacks-plus« angepriesen wurde. Dann nickte ich der virtuellen Bedienung, deren Konterfei heute ein asiatisches Aussehen hatte, bejahend zu, als sie mich lächelnd fragte, ob es wieder dasselbe sein dürfte wie vor 2 Stunden.

      Vor zwei Stunden? Solange hatte ich es schon durchgehalten? Entspannt ließ ich mich zurücksinken und die Simulation auf mich wirken, die die neuesten Fortschritte bei der Umsetzung der Beschlüsse des 85. Kongresses der Regierung seit der Übernahme der Geschäfte durch ChemChi ins Bild setzte, schaltete jedoch bald auf das Konzertprogramm um, auf der Suche nach Vivaldis Frühling, meinem Lieblingssatz, inszeniert durch FengLang mit dem synthetischen Symphonieorchester Schanghai.

      Ich ließ mir gerade mit geschlossenen Augen den wohltuenden Duft des vanillierten Kaffeegetränks in die Nase steigen, als ich angeplingt wurde.

      »Krongold, bitte begeben Sie sich umgehend mit der Akte Montenièr zu Herrn Dr. Dr. habil Eschner.« Ich zuckte zusammen. Bereits der Name dieses Herrn fühlt sich für mich an wie Zahnschmerzen der übelsten Sorte.

      Er ist der Typ,