Hautmalerei. David Goliath

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Название Hautmalerei
Автор произведения David Goliath
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783752921861



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Ein paar Voyeure dürften das Schauspiel mit Feldstechern oder guten Objektiven behelligen, aber mehr als einen provisorischen Sichtschutz aus schwarzer Zeltplane, den die Kollegen bereits um das Opfer gebaut hatten, bot sich nicht. Auch die Anwohner der drei Apartments direkt an der Fundstelle dürften sich über das Spektakel freuen, oder ärgern, weil sie die vorübergehende Ausgangssperre in die eigenen vier Wände kerkerte. Ein privater Sicherheitsdienst patrouillierte griesgrämig um Einsatzfahrzeuge und Absperrung herum.

      »Der Mann wurde vor etwa 50 Minuten gefunden«, begrüßte sie ein Beamter des 4. Reviers, hochgerüstet mit Schussweste, Einsatzgürtel und weißem Plastikschallschlauch im Ohr, der die Gespräche vom Funkgerät heimlich in den Gehörgang übertrug.

      Nathan staunte über den Fortschritt bei der Ausrüstung. Als er noch junger Kadett gewesen war, schickte man sie mit Freundschaftsaufklebern und gebügelten Anzughosen los. Schirmmütze und Lederjacke sorgten für ein schickes, repräsentatives Auftreten. Die Schutzwesten reichten nicht für alle Kollegen und die meisten verzichteten, angesichts von Wärmestau und fehlender Bewegungsfreiheit. Heutzutage setzte man die Schirmmütze nur noch bei offiziellen Anlässen auf. Die gebügelten Hosen waren praktischen Cargohosen mit Seitentaschen gewichen. Und Freundschaftsaufkleber ersetzte man durch Pfefferspray, Schlagstock sowie Kabelbinder. Einsatzhandschuhe, Messer, Achter und Taschenlampe vervollständigten den gefüllten Einsatzgürtel, der den Kollegen um mindestens fünf Kilogramm schwerer machte, inklusive der P30, einer 9mm-Selbstladepistole, samt Reservemagazin.

      Nathan holte trotzdem seinen Dienstausweis hervor, auch stellvertretend für Jasmin, obwohl ihr blinkendes Zivilfahrzeug eigentlich zur Identifizierung reichte. Der Streifenpolizist nickte nur.

      Bestatter, Rettungssanitäter und Notarzt warteten mit gebührendem Abstand bei ihren Fahrzeugen. Davor befand sich eine zweite Absperrung, der innere Ring sozusagen.

      »Haben wir telefoniert?«, fragte Nathan den martialisch wirkenden Schutzmann.

      »Die Leitstelle hat uns verbunden, ja«, bestätigte dieser, der sogleich zu einem Zivilisten zeigte, etwa eine Wurfweite entfernt, mit Dackel an der Leine und Polizeieskorte. »Dieser Gassigänger hat ihn gefunden.«

      Jasmin schnappte die Information auf. Sofort begab sie sich zu dem Rentner, der trotz der Entdeckung einen gefassten Eindruck machte. Lediglich das Hündchen schien genervt von den vielen bunten Menschen und den blauen LEDs.

      Der auskunftsfreudige Polizist begleitete Nathan zum Fundort. Sie zwängten sich durch einen engen, verwinkelten Durchgang, den der aufgestellte Sichtschutz offen ließ, ohne Einblick zu gewähren. Das Gelände war abschüssig. Die Ständer, an denen die Plane hing, waren in den Boden getrieben und verzurrt worden. Nathan musste aufpassen, dass er nicht wegrutschte.

      »Gute Arbeit!«, lobte er den Beamten für das offene Zelt.

      In dem neun Quadratmeter großen Bereich lag besagter Mann, oben ohne, mit durchnässter Hose und fehlenden Schuhen, auf dem Rücken, die Arme zur Seite gestreckt wie ein erschöpfter Schwimmer.

      »Wurde er so angespült?«, hakte Nathan ungläubig nach.

      »Nein, der Gassigänger hat ihn an der Böschung hochgezogen, weil er dachte, der Mann sei am Ertrinken.«

      Der Kripo zog den Vergleich zwischen Gewicht des Toten und Konstitution des Rentnerretters.

      Der Schupo bemerkte die Zweifel. »Er sagt, er hatte Hilfe beim Hochziehen.«

      »Wer hat ihm geholfen?«

      Schulterzucken. »Das müssen Sie ihn fragen.«

      »War der Notarzt schon dran?«

      Kopfnicken. »Der Arzt hat den Tod bestätigt, konnte aber keinen Zeitpunkt benennen.«

      Nathan schickte den Kollegen von der Streife aus dem Verschlag, um sich die Leiche genauer anzuschauen. Das Gesicht war zwar etwas aufgeschwemmt, aber noch deutlich zu erkennen. Gewissheit. Richard Wagner, der Mann von Jasmin Xander, lag da vor ihm. Vorsichtig, dem rutschigen Abhang den nötigen Respekt zollend, krabbelte Nathan um den Leichnam herum. Er fand weder Schuss-, Stich- noch Schnittverletzungen, nur die Prellmarken und Schiefstellungen, die ein Aufprall aus der Höhe verursachte: ein gebrochener Arm und gebrochene Rippen, die die Dellen im Brustkorb erklärten, des Weiteren Hämatome am Schädel. Zudem Nässe, die den Körper feucht hielt, aus dem Mund triefte und aus den Ohren sickerte. Auf seinem Notizblock notierte er den Befund. Danach betrachtete er die auffälligen, verfassungswidrigen Tätowierungen. Wieder fragte er sich, was Jasmin an diesen Raufbold band – nun nichts mehr, flüsterte ihm das Teufelchen auf der Schulter zu. Die Symbole schienen einer bewegten Vergangenheit entsprungen zu sein, spiegelten allerdings auch die bis vor kurzem gelebte Ideologie wider. Nathan hatte ja das Vergnügen gehabt, ihn kennenzulernen. Ausländerfeindliche und rechtsstaatablehnende Äußerungen gehörten zum sonst so limitierten Repertoire dieses menschlichen Abschaums. Die Tatsache, dass Wagner komplexe Finanzalgorithmen zu seinem Vorteil einsetzte, erstaunte Nathan umso mehr. Berufs- und Privatleben unterschieden sich eklatant.

      Möglicherweise handelte es sich hierbei um einen Selbstmord, aber das sollte die Rechtsmedizin eruieren. Die wässrigen Hosentaschen kontrollierte er noch mit einem Zweig, den er daneben auflas. Wie vermutet, befand sich nichts darin.

      Nathan verließ die Einhausung, nachdem er noch ein paar Fotos mit der hochgelobten Kamera seines Mobiltelefons gemacht hatte. Das Umfeld hielt er ebenso fest. Er sah, wie Jasmin noch mit dem Rentner redete. Immer wieder schaute sie herüber. Nathan vermutete, dass sie von ihm Auskunft erwartete. Ein schwerer Gang stand ihm bevor. Auf dem Weg fiel ihm nochmal der Bestattungstross auf. Wurde die Staatsanwaltschaft bereits kontaktiert? Sollte der Leichnam zur Rechtsmedizin für eine Autopsie überführt werden? Warum hatte man die Kriminalinspektion nicht informiert?

      »Und?«, holte ihn der Kollege vom Streifendienst aus den Mutmaßungen.

      Nathan schaute perplex, was den Beamten zu einer genaueren Fragestellung anstachelte.

      »Was meinen Sie?«

      Nathan presste die Lippen aufeinander. Auf ein Fachgespräch mit einem Hobbykriminologen hatte er irgendwie keine Lust. Aber er wollte den Kollegen nicht verschmähen. Gute Zusammenarbeit der Abteilungen gehörte zum obersten Kodex, erleichterte zudem die Arbeit. Eine Hand wäscht die andere. Geben und Nehmen.

      »Sieht nach einem Bootsunfall aus«, schätzte Nathan trocken. Er versuchte entsprechende Überzeugung in die Stimme zu legen, doch seine eigenen Zweifel schwangen mit. Eigentlich ging er von einem Sturz aus größerer Höhe aus. Aber er wollte dem Kollegen irgendetwas hinwerfen.

      »Ein Verbrechen?«

      »Das können wir noch nicht ausschließen. Es bedarf weiterer Erkenntnisse.« Nathan zeigte zum roten Rettungswagen: »Die können Sie heimschicken. Der Finder zeigt keine Anzeichen eines Schocks.«

      Während der Streifenpolizist zu den Sanitätern marschierte, trat Nathan an seine Kollegin heran. Die Seite in ihrem kleinen Block war vollgekritzelt.

      Jasmin schaute ihn unsicher an. »Herr Gruber hat den Mann aus dem Fluss gezogen, die Böschung hoch, weil er glaubte, der Mann ertrinke gerade«, zitierte sie ihre Aufzeichnungen.

      Herr Gruber nickte eifrig. Den Tod hatte er scheinbar gut verkraftet. Sensationsgeilheit schien ihn zu vereinnahmen.

      »Aber nicht allein«, fügte Nathan brummig hinzu, weil Herr Gruber diese wichtige Randnotiz offenbar unterschlagen hatte.

      Der Alte blickte ertappt zum Kommissar. »Ich habe ihn gesehen und umgehend am Arm gepackt«, erklärte er stolz, »Aber das Gefälle machte mir zu schaffen«, gestand er dann, »Ich rief, und ein Jungspund kam mir zu Hilfe. Gemeinsam zogen wir ihn raus.«

      Nathan sah zu Jasmin, die den Rentner ungläubig anvisierte, weil dieser ihr viel erzählt hatte, allerdings ohne viel Inhalt. Die Geschlechterkarte wollte sie jetzt nicht spielen. Die alte Garde kämpfte noch mit der Emanzipation.

      »Und wer war der Jungspund?«, bohrte Nathan weiter nach.

      Herr Gruber faltete die Arme auseinander. »Das kann