Hautmalerei. David Goliath

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Название Hautmalerei
Автор произведения David Goliath
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783752921861



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in der Nacht abgeben haben, mit dem höflichen Hinweis der Polizeidienststelle, dass ein bekannter Trinker auch mal ein paar Stündchen auf einer Parkbank dösen könne, bevor er wieder erreichbar sei, und man noch etwas abwarten solle. Vielleicht wird er aber auch gefunden – von Seeleuten oder Morgenathleten, die Knie und Wirbelsäule über das harte Stadtpflaster prügeln, in engen, atmungsaktiven Mischfasern, mit erschreckender Umweltbilanz.

      Der Nazi kannte mich. Ich kannte ihn. Laute Diskussionen mit Aret riefen mich auf den Plan. Ich unterbrach eine Session, zog den Vorhang ruppig zur Seite und brüllte nach vorn, was das Affentheater soll. Der Nazi bestand darauf, dass ich ihm einen Spruch von Schlüsselbein zu Schlüsselbein einfräse: Meine Ehre heißt Treue. Ein Wahlspruch der Waffen-SS im Dritten Reich. Nicht zu vereinbaren mit meiner Kunst, meiner Überzeugung, meinem Verständnis von Menschlichkeit, auch wenn ich die Menschen nicht mag. Ich hasse nicht nur Nazis, ich hasse die meisten Menschen. Ich lehnte ab und komplimentierte ihn hinaus. Statt zu gehen wedelte er mit einem Stück Papier, einem Geschenkgutschein, den ihm seine Kameraden überreicht hätten. Ich wusste, dass diese Aktion eines Tages nach hinten losgehen würde, aber Aret war von der PR-Sache mit den Gutscheinen überzeugt. Als ob ich nicht genug Kunden hätte. Aret meinte, dass wir unseren Bekanntheitsgrad und die Akzeptanz steigern könnten, aber ich wusste, dass sie insgeheim mitschneiden wollte. Ständig schaut sie mir über die Schulter. Ich bin mir sicher, dass sie heimlich übt. Sie denkt, sie könnte einen zweiten Arbeitsplatz neben meiner Folterbank einrichten und dann ihren Stil verbreiten. Doch ich brauche sie vorn an der Theke, auch als Schutzschild, nicht zu meinem Schutz, sondern zum Schutz der Anderen.

      Jedenfalls war mein Jagdfieber geweckt. Ich zerriss den Gutschein, plusterte mich auf, um die zwei Meter auf Zehenspitzen zu erreichen, und näherte mich dem renitenten Rechten. Man sah ihm die idiotische Ideologie kaum an. Die Kleidung verdeckte alles, auch wenn er stets langarm tragen musste. Ich sah es in seinen Augen aufblitzen. Er wollte einen kurzen Moment rebellieren, doch dann schien er sich einzugestehen, dass aus unserer Beziehung kein vertrauensvolles Arbeitsverhältnis werden konnte. Mir und Aret einen giftigen Blick zuwerfend verließ er das Studio. Als der Gestank von Verblendung verzogen war, hob ich den zerstückelten Gutschein auf und prägte mir seinen Namen ein. Ein paar Abende und Nächte später hatte ich genug über ihn in Erfahrung gebracht, damit ich mein neuestes Projekt in Angriff nehmen konnte.

      Richard Wagner hieß der Böse. Ein unbedeutender Hedgefonds-Manager. Er vermehrte das Vermögen der Reichen, verwehrte es den Armen und zwackte sich einen guten Prozentsatz ab – zwei Prozent Verwaltungsgebühr und 20 Prozent Gewinnbeteiligung. Eines von vielen Rädchen im Unternehmen. Er war unauffällig, arbeitseifrig und höflich, wie man es von Serienkillern und Amokläufern immer hört. In seiner Freizeit war er Vorsitzender einer unscheinbaren Kameradschaft, die deutschem Bier und Allmachtfantasien in einem kleinen Schrebergarten frönte. Freitags traf man sich, um dem Alltag aus Arbeit, Ehefrau und Kindern zu entkommen. Dann wurde in der Dämmerung die Reichskriegsflagge gehisst. Nebenan liegen Parzellen mit kroatischen und italienischen Flaggen, aber niemanden störte der kriegstreiberische Nationalismus. Das Dutzend Springerstiefel grölte rechte Parolen, marschierte um das Lagerfeuer und salutierte militärisch – Rumpelstilzchen für Despoten. Im Hintergrund liefen altdeutsche Schmonzetten auf Schallplatte, die ruhmreiche Soldatenhelden und rechtsradikales Gedankengut priesen. Im Schutz von Eichenstämmen und Stachelbeersträuchern gaben sich die Mannen dem Rassismus hin, den sie im Alltag unterdrückten. Ich sah mir dieses Schauspiel ein paar Mal an. Bald wurde es zu einem Ritus, freitags hinaus in die Gärten zu schleichen und den Biergestank herunterzuwürgen, der aus den heiseren, eisernen Kehlen strömte.

      Dem Wagner folgte ich nach Hause, wo er Frau und Kind autokratisch beherrschte. Alkoholisiert war dieser Mensch nicht zu ertragen, weshalb sich seine Frau mit dem Sohn im Kinderzimmer einschloss. Sie tat so, als würde sie schlafen, wenn er gegen die Tür pochte. Der Kleine wachte zum Glück nicht auf. Weil sich Wagner bereits mit den Kameraden ausgetobt hatte, fehlte ihm die Kraft Dummheiten anzustellen. Er legte sich stinkend ins Bett. Die Erdgeschosslage der wichtigen Räumlichkeiten ermöglichte mir eine ausgiebige Erkundungstour. Wahrscheinlich zog Wagners Frau die Rollläden nicht komplett zu, damit sie im Notfall gesehen und gehört würde. Ein schönes Haus. Ich imaginierte wie ich darin leben würde. Kind und Frau würde ich adoptieren, wenn das zum Gesamtpaket gehört.

      Ich verfolgte das Familienleben auch, als Wagner nüchtern den Patriarchen gab. Er schrie seine Frau weder an noch schlug er sie, aber diese subtile Spannung, dieses Machtgefälle, das er jeden Tag ausreizte, belastete die Ehe. Ich belächelte die gestellten Fotos an den Wänden. Hochzeit. Urlaub. Ausflüge. Derart im Übermaß, dass man erschlagen wurde, wenn man das von außen gut situiert wirkende Haus betrat. Jeder sollte sehen, wie harmonisch die Familie Wagner ihrem Dasein fristete. Ich muss gestehen, dass ich die Frau auch einmal halbnackt erwischt hatte. Sie kam aus der Dusche. Ihr Bademantel fiel günstig und legte eine Tätowierung frei. Ihre Scham interessierte mich nicht, aber die Zahl am Oberschenkel krallte sich meinen Fokus: 444 – DdD im Alphabet, Deutschland den Deutschen. Schlecht gestochen und längst verblasst. Wahrscheinlich ein jugendlicher Vorstoß in ihrer Sturm-und-Drang-Phase, wo sie im Milieu ihrem Zukünftigen über den Weg gelaufen war. 666 würde ich daraus machen wollen – die Zahl des Antichristen. Ich haderte kurz mit dem Gedanken, wie ich sie mir schnappe, sie entführe, verschönere und wie ein ungeliebtes Haustier aussetze, konzentrierte mich dann aber wieder auf die zerrüttete Ehe und den verkappten Ehemann, den ich durch mich ersetzen könnte.

      Mein Sinn für Rechtschaffenheit hatte genug gesehen. Früher mordete ich schon für sehr viel weniger. Ich wollte die Familie vom Scheusal erlösen. Erbe und Witwenrente würden für ein anständiges Leben genügen. Liebe existierte nur zwischen Mutter und Sohn. Theoretisch hatte schon sein Abgang aus dem Studio gereicht, als er sich eine Zigarette anzündete, nachdem ich ihn hinauskomplimentiert hatte. Zuerst zog der Dunst in den Laden und dann warf er den Stummel achtlos auf den Boden, demonstrativ könnte man meinen, und ließ diesen ausglühen. Mit aufheulendem Motor und durchdrehenden Reifen war er vom Parkplatz gerauscht. Den Kies, den er dabei aufgewirbelt hatte, hat das Firmenfahrzeug abbekommen. Steinschläge im Frontbereich. Manche schlucken das herunter. Andere erstatten Anzeige. Ich richte.

      »Guten Morgen!«

      Aret reißt mich aus den Gedanken.

      Mit ihr kommt die Sonne ins Geschäft. Egal wie hart ihre Nacht war, oder wie beschissen die Männer, die sie benutzten, belogen und betrogen, sie lächelt stets, wenn sie durch die Glastür kommt. Andere Menschen würden dieses Lächeln nicht deuten können, würden von einem mulmigen Gefühl befallen werden, weil Aret mit ihren ausrasierten Kopfseiten, dem Metall im Gesicht und dem auffälligen Kobra-Tattoo, das vom Hals bis ins flachbrüstige Dekolletee reicht, eher abschreckend als vertrauenserweckend wirkt. Harte Schale, weicher Kern, gebrochene Seele.

      »Wie geht´s, Chefchen?«

      Ich hasse diesen Ausdruck, aber ich kann ihr nicht böse sein. Ich mache ihr Platz und bringe ihr einen Pott Kaffee, während sie die Unterlagen des Tages durchblättert.

      »Wie war die Nacht?«

      Ihre Standardfloskeln für den Gesprächseinstieg kommen mir schon so vertraut vor, dass ich sie unbeantwortet im Raum stehen lasse. Sie meint es ohnehin rhetorisch. Denn sie weiß, wie es mir geht und sie weiß, wie meine Nächte sind – dunkel und einsam, gleich meinem Innersten.

      Ich nicke, als sie mir die anstehenden Termine nennt, die ich mir bereits angeschaut hatte. Dann prüft sie den Getränkevorrat und das Polster an Schokoriegeln, checkt die E-Mails, die Social-Media-Accounts, schaltet das Studiotelefon an und testet den Drucker. So ein fleißiges Bienchen. Selbst meinen Arbeitsbereich nimmt sie unter die Lupe, inklusive des geheimen Kokain- und Morphiumlagers unter meinem runden Drehhocker. Währenddessen beobachte ich sie, ihre enganliegende Kleidung, die Begierde weckt, und ihren sehnigen Körper. Ihre knappen Shirts zeigen viel Haut und lassen erahnen, was darunter liegt. Dazu trägt sie meistens Pants und Overknee-Strümpfe. Sie kann es sich leisten. Anerkennend mustere ich sie jeden Morgen. Ich kann nicht glauben, dass es Männer gibt, die so eine hübsche Frau belügen und betrügen. Wäre ich nicht ihr Chefchen und wäre ich nicht zu Höherem berufen, würde ich mit Blumen und Kerzenschein um sie werben. Im Status quo erfreue ich mich einfach