Hautmalerei. David Goliath

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Название Hautmalerei
Автор произведения David Goliath
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783752921861



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schüttelte den Kopf. »An Kurz und Klein? Kannst du vergessen! Die zwei Nieten sollen ruhig auf ihren faulen Ärschen hocken bleiben!«

      Wie Jasmin den Türgriff in die Hand nahm, erhob Nathan die Stimme, aber nicht, um sie zu rügen, sondern, um ihre Aufmerksamkeit zu gewinnen, sie zu bremsen. »Wie geht es deinem Mann?«

      Er kannte diesen Sozialversager, der Frau und Kind wie Marionetten behandelte, flüchtig, hatte ihn ein paar Mal gesehen, ihm die Hand geschüttelt und Small Talk gehalten. Er konnte diesen Businessschmarotzer nicht leiden, weil der sich mit Blutdiamanten schmückte. Außerdem hörte er eine gewisse Gesinnung heraus, die seinem Demokratieverständnis widerstrebte. Er fragte sich sowieso, wie Jasmin ihr schwarzes Schaf, das eigentlich braun war, vor der Dienststelle geheim halten konnte. Aber da mischte er sich nicht ein. Vielleicht diente sie dem Staatsschutz als Informantin. Andersherum gab es mehr Reibungspunkte. Denn ihr Mann musste die Ehe zu einer Polizistin rechtfertigen, verteidigen. Als Aussteigerin schlugen ihr sicherlich auch diverse Anfeindungen entgegen, außer sie beherrschte das Rodeo männlicher Eitelkeiten ebenso wie das Ballett polemischer Rhetorik.

      Jasmin erkannte den Ton ihres Partners. Die Frage klang weder leicht noch interessiert. Es hörte sich nach einer Warnung an. Sie entfernte die Hand vom Türgriff. Das Mobiltelefon hatte immer noch nicht vibriert. Ihr Mann hatte sich noch immer nicht gemeldet. Und Nathan lehnte sonst auch keine Leiche ab, oder reichte sie an Kurz und Klein weiter, die wie Hyänen darauf warteten, dass die Löwen keinen Hunger mehr haben und die Beute freigeben.

      »Was ist los?« Schwer von Begriff zu sein gehörte nicht zu ihren Tugenden. Die Aufklärungsrate vom Gespann Xander & Ysop lag bundesweit unter den ersten fünf. Regelmäßig horchten Bundes- und Landeskriminalamt nach, ob man zu einem Stellenwechsel bereit sei. Doch beide scheuten den Neuanfang, obwohl er beiden gut zu Gesicht gestanden hätte.

      »Bin mir nicht sicher«, zauderte Nathan.

      »Kannst du in ganzen Sätzen antworten und mir endlich sagen, was los ist?« Jetzt wurde Jasmin lauter. Unruhe befiel sie.

      »Die Beschreibung der Leiche passt auf deinen Ehemann«, packte Nathan aus. Er hatte sich noch nicht vom Stuhl hochbequemt. Aber er schaute demütig zu Boden, so als würde er heftigen Gegenwind erwarten.

      Im Flur trampelten Leute vorbei. Gesprächsfetzen drangen ins Büro, das plötzlich eisig und steinig wirkte. Karge Tundra mit Permafrostboden.

      Jasmins Augen huschten umher, unschlüssig, was sie fixieren sollten. Computer, Pflanzen, Schränke, Lampen. Nichts konnte ihren Blick binden. Sie musste das Gehörte erst verdauen. Im Affekt kramte sie ihr Mobiltelefon heraus und suchte vergebens nach einer neuen Nachricht. Die letzten geschriebenen Worte von ihrem Mann datierten von gestern: bin unterwegs. Kein Emoticon, keine Sehnsuchts- oder Liebesbekundung. Nur ein schlichter Halbsatz, der besagte, dass er auf dem Weg nach Hause sei und sie das Essen vorbereiten solle. Sofern es keinen akuten Einsatz gab, war Jasmin lange vor ihm zuhause, hatte eingekauft, die Hausaufgaben des Kleinen kontrolliert, aufgeräumt, die Wäsche angeschmissen und den Müll rausgebracht. Eine brave Hausfrau, der man den harten Job bei der Kripo nicht zutrauen würde.

      Oder eine Tarnung, um Neider und Gegner zu besänftigen.

      Auf den einfallslosen Satz ihres Mannes hatte sie nicht geantwortet. Vergebliche Liebesmüh. Er hätte es eh nicht gelesen. Die letzten Herzchen oder Küsschen stammten aus den Anfängen der Beziehung, als noch analog gefunkt wurde. Danach kamen nur noch Standardmitteilungen über den Füllstand des Kühlschrankes, wichtige Termine beim Kinderarzt oder der Schulleitung. Manchmal auch wütende Nachfragen, wo er denn bliebe. Und seltener auch besoffene Antworten, dass sie sich um ihren eigenen Scheiß kümmern solle.

      Sie steckte das Telefon zurück in das Fach am Holster unterm Jackett, gegenüber der Dienstwaffe, seitlich zwischen großem Busen und Arm versteckt. Auch wenn sie es nicht wahrhaben wollte, Nathan hatte ein ähnliches Gespür wie sie. Wenn er sagte, dass etwas im Argen lag, dann lag da auch etwas im Argen. Und wenn er sagte, dass die Beschreibung einer gefundenen Leiche auf ihren Ehemann passte, dann konnte sie davon ausgehen, dass er entweder Recht hatte, oder dass zumindest eine frappierende Ähnlichkeit vorlag, die in ihr Betroffenheit auslösen könnte, gefolgt von Befangenheit. Kurz und Klein stünden parat.

      »Ist er wieder nicht nach Hause gekommen?«, kombinierte Nathan Jasmins unschlüssigen Blick auf ihr Mobiltelefon und die Stille, die sie umwehte.

      Sie nickte nachdenklich.

      »Hast du ihn heute schon erreicht?«

      »Hab es zweimal versucht«, erwiderte Jasmin mit ungutem Gefühl, »Aber er ist nicht rangegangen.«

      Nathan deutete zum Büro nebenan, getrennt durch eine Wand. »Soll ich Kurz und Klein schicken?«

      Jasmin musste nicht lange überlegen. Ihre Ehe mit einem selbsternannten Übermenschen, sofern dieser das Zeitliche gesegnet hatte, ging die Kollegen nichts an. Wie es weiterginge, wenn die getraute Verbindung Kreise zog, blendete sie aus. »Nein!« Sie drückte den Türgriff nach unten und schwang das Türblatt auf. »Malen wir nicht den Teufel an die Wand. Lass uns erstmal hinfahren.«

      Hafen & Kante

      Mit dem Zivilfahrzeug samt Sondersignal, aufgesetztem Blaulicht, blitzenden LEDs in den heruntergeklappten Sonnenblenden und aus dem Gitter vorm Fahrzeugkühler heizten sie durch die Stadt. Für die fünf Kilometer benötigten sie gerade einmal zehn Minuten. Nathan beherrschte das Vehikel. Vorausschauend rechnete er stets mit der Überforderung der anderen Vehikel, inklusive unkalkulierbarer Kurzschlussreaktionen. Rote Ampeln, Abbiegespuren, Straßenbahnschienen und Fußgängerüberwege kreuzte er behutsam. Seine Pupillen flogen hin und her, und sein rechter Fuß schwebte bremsbereit über dem Pedal. Noch drängte sich der Berufsverkehr durch die überlasteten Straßenkapillaren der Großstadt, doch Nathan kurvte um die Hindernisse wie ein Rennfahrer. Jasmin hielt sich am Türgriff fest. Sie vertraute ihrem Partner, zweifelte seine Fahrkünste keineswegs an, aber ihrem kaffeegetränkten, ansonsten nüchternen Magen gefiel die urbane Rallye nicht.

      Als sie den möglichen Tatort am Westhafen erreichten, mussten sie sich vorsichtig ihren Weg durch Schaulustige, Journalisten, Absperrungen und uniformierte Polizisten bahnen. Jasmin pflegte dabei die Angewohnheit, sich die Gesichter der Anwesenden einzuprägen, zumindest die derer, die in sozio-ökonomische Täterprofile passten. Der erzgebirgische Fotograf mit dem 70er-Jahre-Schnauzbart, wie man ihn aus Erwachsenenfilmen kennt. Der unrasierte Eisverkäufer aus dem Schwarzwald, der einen Zwischenstopp einlegt, obwohl die abschmierende Kühlung des vollgepackten Wagens die wertvolle Fracht gefährdet. Der berliner Ballonverkäufer mit dem Clownsgesicht. Der westfälische Trinkhallenstammkunde im Schlabberlook, der zu lang auf die gesicherte Dienstwaffe des Streifenpolizisten an der Absperrung schielt, weil er sein tägliches Pensum schon erreicht hat. Der friesische Student mit dem Fahrrad, der mit einem Werbegeschenkrucksack Ornithologie betreibt. Der frankfurter Möchtegerngangster, dem erst kürzlich die Ohrhärchen ausgebrannt wurden und der mit seinem goldenen Smartphone sich und das Ereignis im besten Licht ablichten will. Der fränkische Vollbärtige, dessen Name immer falsch ausgesprochen wird und der ständig unter Generalverdacht steht. Die meisten Täter sind Männer im zeugungsfähigen Alter mit deutscher Staatsbürgerschaft, wenn man von Taschendiebstahl absieht. Das ist nicht rassistisch, sondern statistisch.

      Die schmale, künstliche Halbinsel war zum Glück schlecht einsehbar, abgeschieden und nur von zwei Seiten zugänglich – eine befahrbare Brücke vorn und ein begehbarer Steg am Ende. Das 4. Revier, einen Katzensprung vom Ort des vermeintlichen Verbrechens entfernt, hatte die Brücke mit zwei Beamten und einem blau blitzenden Streifenwagen probat gesperrt, mit Flatterband von beiden Spiegeln zu einem Laternenmast auf der einen Seite und zu einem Baum auf der anderen Seite. Der kleine Steg, 400 Meter gen Westen, konnte mit einem Beamten gesichert werden. Mittendrin, auf der Strecke zwischen Brücke und Steg, standen weitere Streifenwagen, ein längliches Fahrzeug eines Bestattungsunternehmens, ein Rettungswagen und ein Notarztwagen. Die zwölf Luxusapartmenthäuser, die man in Fluchtrichtung nebeneinander auf die Halbinsel gebaut hatte, müssten allesamt abgeklappert werden, zur Zeugenbefragung, sollte sich ein Verbrechen