Название | Die Brücke zur Sonne |
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Автор произведения | Regan Holdridge |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783754170441 |
In diese fast malerische Stille hinein begann das schwarze, altmodische Telefon unerwartet und durchdringend zu schrillen. Es musste einige Zeit läuten, ehe eine ältere, rundlich gebaute Frau in korrekter schwarz-weißer Haushälterinnentracht aus der Küche geschossen kam.
„Auch das noch!“
Louisa Peters war es nicht gewohnt zu solch unhöflich früher Stunde schon in ihrer eingespielten, zur Routine gewordenen Tätigkeit unterbrochen zu werden. Energisch nahm sie den Hörer ab.
„Hier bei van Haren!“ Ihre laute Stimme hallte bis in die letzten Winkel des Erdgeschoßes. „Was? Nein, das geht jetzt nicht. Hast du einmal auf die Uhr gesehen?!“
Im oberen Stockwerk begann es zu rumoren: Eine Türe schlug laut, unbedacht ins Schloss, bevor eilige, leichte Schritte die Marmorstufen herabgerannt kamen. Neugierig beugte sich das junge Mädchen über das Treppengeländer hinab.
„Wer ist dran? Ist es für mich? Natürlich ist es für mich!“
Ihre zierliche, dabei durchaus weibliche Gestalt steckte in einem taillierten Kleid, dessen Rock durch den Petticoat weit schwang und den buntgemusterten Stoff damit umso besser zur Geltung brachte. Es war der neueste Chic der Londoner Modewoche und sie war ausgesprochen stolz darauf, denn es handelte sich um ein echtes Modellkleid. Passend dazu hatte sie sich ein weißes Seidenhalstuch um den Hals gebunden. Ihr hellbraunes, sanft gelocktes Haar fiel penibel gekämmt und mit Haarspray fixiert bis knapp über ihre Ohren herab. Die Schultern hielt sie auffallend straff und den Kopf stolz erhoben, während sie in flachen Ballerinas die letzten Stufen hinabhuschte.
„Gib mir den Hörer! Gib ihn mir!“
Ihr kindliches, dennoch schmales Gesicht zeigte bereits das, was einmal eine wahre Schönheit werden würde: Die großen, grauen Augen, die weit auseinanderstanden und dazu die zierliche Stupsnase – alles Eigenschaften, die sie ihrer Mutter unwahrscheinlich ähneln ließen. Mit einer abweisenden Handbewegung scheuchte Louisa das Mädchen zurück.
„Nein!“, erklärte sie und der Ton ihrer Stimme ließ keinen weiteren Widerspruch zu. „Miss van Haren hat jetzt keine Zeit und sie wird auch heute Abend ganz sicherlich zu keiner Geburtstagsparty erscheinen! Guten Tag!“ Der Hörer knallte auf die Gabel zurück.
Entrüstet schnappte das Mädchen nach Luft, während sie sich mit einem Aufschrei vor der Haushälterin aufbaute. Ihr Fuß stapfte zornig auf den Boden. „Wer war das? Von welcher Party ist die Rede? Ich bin überhaupt nicht unterrichtet! Wie können Sie da einfach auflegen?!“
Unwirsch stemmte Louisa ihre Arme in die runden Hüften. „Mein Kind, das ist jetzt vollkommen unwichtig! Sind deine Koffer fertig gepackt? Nein? Dann aber marsch, ab! Außerdem hast du in deinem Alter sowieso noch überhaupt nichts auf Partys verloren!“ Ihre Augen funkelten streng; sie kannte das vierzehnjährige Mädchen nur zu gut. Verzogene Göre, dachte sie, innerlich den Kopf schüttelnd, und zog mitleidig die Mundwinkel nach unten. „Andere Mädchen in deinem Alter sitzen abends Zuhause und erledigen ihre Schularbeiten! Diese ständigen Partys verderben den Charakter!“
Aufmüpfig warf das Mädchen den Kopf zurück. „Das behaupten Sie jedesmal und zu Ihrer Beruhigung: Meine Koffer sind gepackt! Wo steckt meine Mutter?“
Seufzend deutete die Haushälterin den breiten Flur hinab.
„Im Kaminzimmer“, antwortete sie, während sie sich gleichgültig abwandte. „Ich werde jetzt das Frühstück auftragen.“
„Tun Sie das! Jeder sollte sich um das kümmern, wofür er geschaffen wurde, nicht wahr?“ Absichtlich benutzte sie die Formulierung ihrer Mutter, die Louisa jedesmal fast zur Weißglut trieb, doch in ihrem Fall blieb die Haushälterin gelassen.
„Bloß gut, dass ich in wenigen, absehbaren Stunden für ein Jahr nichts mehr von dir sehen und hören muss! Erholung habe ich weiß Gott nötig!“ Louisa versetzte der Küchentüre einen achtlosen Tritt und ließ die Tochter ihrer Arbeitgeber allein zurück.
Wütend, dass ihre Worte nicht die gewünschte Wirkung erzielt hatten, lief das vierzehnjährige Mädchen davon, die beiden Stufen des kurzen Flurs hinauf, zur letzten Tür auf der rechten Seite. Ein kalter Luftzug schlug ihr entgegen und sie drückte die schwere Nussbaumtür eilig ins Schloss zurück. Die Glastür zur großen, gefliesten Terrasse stand weit offen und ließ die klare, frische Morgenluft herein.
„Für was besitzen wir eine moderne Zentralheizung?!“ Fröstelnd ließ das Mädchen sich auf das cremefarbene Samtsofa vor dem steinernen Kamin fallen. „Damit du uns erfrieren lässt?“
„Blödsinn!“ Ihre Mutter lehnte im Türrahmen und blickte hinaus in den ausladenden, riesigen Garten. Schließlich drehte sie sich um und ihre Tochter starrte sie für eine Sekunde überwältigt an. Rachel Antoinette van Haren trug ein perfekt aufeinander abgestimmtes, mintgrünes Kostüm, das die wohlgeformten Proportionen ihrer zierlichen Figur ideal zur Geltung brachte. Ihr hellblond gebleichtes Haar ließ sie sich seit etlichen Jahren im Stil der Monroe schneiden, was bei ihren von Natur aus glatten Strähnen jedoch regelmäßige Friseurbesuche voraussetzte. Die Absätze ihrer hochhackigen Schuhe erzeugten ein leises Klopfen, als sie über den hellen Parkettboden hinüber zum offenen Kamin schwebte.
Rachels Gesicht war von außergewöhnlicher, geradezu magischer Schönheit. Es war so ebenmäßig und zart, dass sie überall, wo sie auch erschien, die Blicke der Männer auf sich zog – und ihr gleichzeitig bei den Frauen ungezählte Neiderinnen schaffte. Dessen war Rachel sich vollstens bewusst und sie ließ keine Gelegenheit aus, ihre naturgegebenen Vorzüge zur Schau zu stellen. Obwohl sie mit diesem Jahr ihr vierzigstes vollendete, wirkte sie auf die Vertreter des anderen Geschlechts aller Altersklassen anziehend und oft genug versammelte sie bei entsprechenden Anlässen und Empfängen den Großteil der männlichen Gäste um sich. Erst bei genauerem Hinsehen fiel dem feinfühligen Gegenüber ihre kalte, gefasste und genaustens berechnete Ausstrahlung auf, die angesichts ihrer äußerlichen Schönheit allerdings völlig in den Hintergrund gedrängt wurde.
„Eben hat jemand für mich angerufen“, jammerte ihre jüngste Tochter in diesem Augenblick und starrte düster in den kalten, verrußten Kamin. „Aber Louisa hat mir einfach den Hörer nicht gegeben!“
Gereizt runzelte Rachel die Stirn. „Damit hatte sie auch völlig recht! Die Zeit ist knapp.“ Einen Moment herrschte Schweigen und das Mädchen beobachtete prüfend seine Mutter, wie diese die Porzellanfiguren auf dem Kaminsims neu ordnete.
„Ich will nicht mit!“, stieß das Mädchen plötzlich hervor. „Ich will einfach nicht!“
Rachel überhörte den Einwurf. „Haben sich deine Koffer mittlerweile in anderer Geschwindigkeit gefüllt als gestern Abend? In gut einer halben Stunde bringt uns das Taxi zum Flughafen.“
Verzweifelt stieß ihre Tochter ein Ächzen aus. „Was ist, wenn nur noch zwei Plätze frei sind? Es könnte doch sein, dass dringend jemand…“ Sie brach ab. Der eisige Blick ihrer Mutter verbot ihr den Mund.
„Hör endlich auf, meine Geduld mit unsinnigen Kommentaren zu strapazieren! Wir werden aus dem bevorstehenden nächsten Jahr das Beste machen. Manchmal denke ich zwar, dass die Entscheidung falsch ist und ich deinem Vater nicht hätte nachgeben dürfen – aber jetzt ist die Angelegenheit entschieden! Du weißt, was diese Stelle für ihn bedeuten kann! Wenn er in dieser Klinik in den Vereinigten Staaten gute Zeugnisse mit nach Hause bringt, wird er hier in London die Stelle des Chefarztes übertragen bekommen und das ist nun einmal enorm wichtig für ihn. Und unserem Namen und Ruf kann es auch nicht schaden. Außerdem ist Amerika das Land auf dieser Welt, in dem nun einmal die meisten und bedeutendsten Kinofilme produziert werden. Vielleicht läuft mir ja sogar ein Hollywoodstar über den Weg, Cary Grant zum Beispiel.“
„Es wäre bestimmt viel einfacher für euch, wenn ihr mich hier lassen würdet und ihr nehmt nur Jean mit!“ Das Mädchen verdrehte