Dark World I. Tillmann Wagenhofer

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Название Dark World I
Автор произведения Tillmann Wagenhofer
Жанр Языкознание
Серия Dark World
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783750225602



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wird, um zum Jubel des Pöbels von Ödland-Bestien zerfleischt zu werden. Oder die Bergwerke in den alten Ruinen, in denen gefangene Stammesleute wie die Ratten graben müssen. Oft stürzen diese Tunnel ein, oder Gift aus alter Zeit tritt hervor…viele sterben auch nur aus Erschöpfung. Maddy, versetze dich an ihre Stelle – würdest du deinen Worten eben, dass es eben Opfer zu bringen gilt, noch irgendeine Bedeutung beimessen? Wolltest DU ein solch sinnloses Opfer bringen?“ Maddy schluckte – und tat, was Roter Speer sicherlich gar nicht von ihr erwartet hatte: Sie stellte sich dem Inhalt seiner Worte. Ehrlich und ohne nutzlose Lehren, ohne jene Phrasen, die man ihr eingetrichtert hatte. Sage es der Familie eines Gestraften, die man vor den Mauern der Roten Stadt hat verhungern lassen, fügte sie in Gedanken Roter Speers Worten hinzu. Ebenso ehrlich, auch wenn sie über ihren Stolz kratzte, war ihre dementsprechende Antwort. „Nein“, sagte sie leise. „Ich wäre…als Ordenskriegerin für die Kirche gestorben, hätte mein Leben ohne Bedenken in einer Schlacht geopfert. Aber auf solch eine Weise…so sollte kein Mensch leben oder gar enden müssen“, fügte sie hinzu, erstaunt über ihre eigenen Worte – gleichzeitig jedoch fühlte sie so etwas wie Freiheit. Sie wusste nicht, warum, aber das Gefühl – vielmehr, die Erkenntnis, nicht mehr in dem engen, eisernen Korsett der Kirchengesetze und der Lehren zu stecken, gab ihr eine Sicht auf diese Organisation, die sie zuvor nie gehabt hatte. Eine Sicht von außen. Durch die Risse, die in ihrer Indoktrination entstanden waren, erkannte sie, dass nicht alles so war, wie die Kirche es ihr und ihren Kameraden und Kameradinnen beigebracht hatte. Doch wenn das stimmte – dann gab es nur ein Wort dafür: Lügen!

      Roter Speer hatte in jedem Fall harsche Worte und offenen Widerstand gegen seine Worte erwartet. Umso mehr überraschte ihn das Einlenken von Maddy, die tief drinnen auf eigentümliche Weise erschüttert zu sein schien. Der junge Tribal betrachtete die junge Kriegerin, wieder zogen ihn die blauen Augen, das hübsche, freche Gesicht und die langen, schwarzen Haare in ihren Bann – vor allem aber der ratlose, nicht so recht zur Kämpfernatur dieser Frau passende Ausdruck. „Wir glauben an den Herrn der Himmelswiesen. Er hat diese Welt erschaffen, er hat Erde, Feuer, Luft und Wasser geschaffen – und das Leben. Uns, die Tiere und die anderen Völker.“ „Wie lautet sein Name?“, wollte Maddy spontan wissen, die die Möglichkeit einer Person als dem alles beherrschenden Wesen seltsam, aber beileibe nicht so ketzerisch empfand, wie es die Kirche zweifelsohne sehen würde. Hatte man ihr nicht beigebracht, die Stämme wären kriegsgeile Barbaren, die einen Blutgott der Finsternis anbeteten und ihm Gefangene opferten? Noch bevor sie ihre Neugierde aufhalten konnte, stellte sie die Frage, die ihr auf der Zunge brannte. „Gehört zu eurem Glauben…das Opfern von Menschen?“ Gut, Maddy, jetzt hast du es echt geschafft, schoss es ihr durch den Kopf, als sie Roter Speers Gesicht sah.

      „Ja, tun wir. Nämlich Eisenmenschen, die solch dumme, beleidigende Fragen stellen“, stieß er kalt hervor. „Der Herr der Himmelswiesen ist kein düsteres Flammenwesen wie das Feuer, das ihr Eisenmenschen verehrt. Er ist der Schöpfer auch der Flamme. Aber er ist kein blutgieriger Tyrann, sondern weise und gerecht. Er verlangt uns vieles ab, doch genauso schenkt er vieles. Wir sind frei, was auch passiert, denn wenn wir sterben, gehen wir nach Hause – in unser wirkliches Heim, die ewigen Himmelswiesen. Ein Ort ohne Schmerz, ohne Trauer und Leid, ohne Hunger, Durst und Krankheit.“ Der Ausdruck in Roter Speers Miene wurde milder. „Und ohne Angst, Maddy.“ Plötzlich deutete er nach oben, wo ein geradezu fantastischer Nachhimmel in der späten Abenddämmerung Gestalt annahm. „Dies dort…sind die Lagerfeuer der Himmelswiesen. An ihnen sitzen all jene Menschen, die auf den Herrn der Ewigen Wiesen vertraut haben, die für andere gestorben sind, für das Gute gelebt haben. Egal, ob es ein großer Krieger war, der für seinen Stamm ehrenvoll kämpfte oder ein kleines Stammesmädchen, das sich opferte, um seine Geschwister vor Ödland-Wölfen zu schützen, so dass sie entkommen konnten.“ Maddy blickte überrascht auf, denn in den letzten Worten lag spürbare Trauer. Doch noch ehe sie etwas sagen konnte, erhob sich Roter Speer plötzlich und horchte angestrengt in die Nacht. „Maddy…“ Sie hörte es aus seiner Stimme heraus, war mit einem Satz auf den Füßen. Nur leider zu spät.

      Ein Speer kam aus der Dunkelheit der Nacht herausgeflogen und traf Roter Speer ohne jede Vorwarnung an der rechten Schulter. Die Wucht des Aufpralls ließ den jungen Krieger rückwärts zu Boden gehen. „Flieh…schnell“, brachte er mit schmerzverzerrtem Tonfall heraus, als Maddy in einer fließenden Bewegung das Schwert zog. Der Tribal versuchte, wieder auf die Beine zu kommen, schaffte es aber nicht, denn die Qual explodierte förmlich in seinem Oberleib, jede Bewegung, noch so winzig, war grausam. „Geh…Maddy, hau’ ab“, brachte er mühsam heraus, als sich die junge Kriegerin direkt neben ihn stellte, das Schwert kampfbereit in der Hand. Sie erkannte vage Bewegungen in der Finsternis um sie herum – und ihr war bewusst, dass sie keine Chance hatte. „Leg’ die Klinge weg, kleine Schlampe, sonst tust du dir noch weh damit“, kam es feixend aus der Schwärze. Maddy grinste raubtierhaft. „Komm’ doch her, Feigling, dann sehen wir, wem was wehtun wird. Na, zu ängstlich dazu?“, höhnte sie. Wie zur Antwort traten zuerst zwei kräftig aussehende Stammeskrieger ins Flackerlicht des Feuers, dann fünf Männer in Lederrüstungen, teils mit Eisenplatten versehen. Drei trugen Metallhelme, zwei nur Lederkappen, die gesamte Ausrüstung sah abgenutzt, aber noch funktionsfähig aus, dasselbe galt für die Waffen. Alle fünf trugen lange Einhandschwerter und Wurfspeere, die Tribals eine Art von Kampfäxten. Einer der Stammesleute stoppte einen der Männer, die vermutliche Söldner waren. „Du wirst warten. Diese Frau ist gefährlicher, als sie scheint. Will wird es nicht gerne sehen, wenn wir einen Mann verlieren“, erklärte er ernst, wandte sich dann wieder an Maddy. „Ich erkenne, dass du mit dem Schwert umgehen kannst. Doch ich werde es kurz machen: Entweder, du legst die Waffe weg, oder wir töten dich mit den Wurfspießen innerhalb eines Augenzwinkerns. Vielleicht willst du ja wie eine Kriegerin sterben.“ Maddy schluckte. „Wie sieht die andere Möglichkeit aus?“ Sie sah die grausame Lust in den Augen der fünf Söldner – was schon Antwort genug war. Ein eisiger Schauer lief ihr über den Rücken. Schnell sterben…das klang, aufgespießt oder nicht, dagegen fast schon verheißungsvoll. Aber da war auch noch Roter Speer, der mit zusammengebissenen Zähnen zuhörte, ohne etwas unternehmen zu können. Der ältere der beiden Stammeskrieger antwortete mit emotionsloser Stimme.

      „Du wirst Sklavin.“ Kaltes Entsetzen ergriff sie brutal. Sie öffnete den Mund, um zu protestieren. Ich bin eine Ordenskriegerin, wollte sie schreien – doch noch rechtzeitig stoppte sie sich. Es wäre reine Dummheit gewesen, dies hier und jetzt preis zu geben. Schon jetzt war möglicherweise ein Kopfgeld auf sie ausgesetzt. Mit einem Mal traf sich ihr Blick mit dem von Roter Speer. Trotz des Schmerzes schüttelte er den Kopf, leicht und kaum merklich. Sein Gesichtsausdruck traf sie wie ein Blitz. Tu’ es nicht…stirb’ lieber, frei und ehrenvoll, als das zu erleiden. Sie konnte förmlich seine Gedanken lesen in diesem Moment. Und mit einem Mal wurde ihr bewusst, dass zwischen ihr und diesem Tribal...etwas entstanden war. So kurz sie ihn auch erst kannte, so wenig sie eigentlich über ihn wusste - das unsichtbare Band war da. Sie wollte, sie konnte ihn nicht alleine diesen Männern überlassen. Fast heiser sagte sie: “Was wird aus ihm?“ Der jüngere der beiden Tribals blickte Roter Speer mit sehr endgültiger Miene an. „Er wird sterben“, erklärte er ohne mit der Wimper zu zucken. „Unser Herr wird kein Interesse haben, einen schwerverwundeten Sklaven mit zu schleppen.“ „Blutschwert, was soll das Gerede?“, maulte der Söldner, der Maddy zuvor schon angebrüllt hatte. „Die Hure soll das Schwert weglegen. Ich will nicht, dass sie was in mich reinstößt…ich will was in sie reinstoßen“, lachte er laut und dreckig. Die junge Frau schaffte es, sich die Angst, aber auch die aufkeimende Wut nicht anmerken zu lassen. „Er hat mir das Leben gerettet, zumindest ihr beiden…“ sie sah die beiden Stammeskrieger an. „…wisst, was das bedeutet. Ihr müsst uns beide umbringen. Es sei denn…ihr helft ihm.“ „Was dann?“, fragte der, den der Söldner Blutschwert genannt hatte, gleichmütig. Wieder trafen sich die Blicke der beiden, Ordenskriegerin und Stammeskrieger, und Roter Speer schüttelte nun deutlicher den Kopf. Sie sah es ihm an – er wollte lieber sterben, als sie diesen Preis zahlen zu lassen. Es war komisch – noch vor zweieinhalb Tagen hätte sie diesen Tribal aus Unwissenheit und Stolz am liebsten getötet. Jetzt schien er ihr einziger, auf dieser Welt verbliebener Freund zu sein. Der einzige Mensch, an dem ihr etwas lag. Wie dumm ich war, dachte sie, während die Angst ihr den Magen zuschnürte. Denn was sie jetzt tun würde, kostete sie einen hohen, sogar sehr hohen Preis. Nämlich ihren