Dark World I. Tillmann Wagenhofer

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Название Dark World I
Автор произведения Tillmann Wagenhofer
Жанр Языкознание
Серия Dark World
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783750225602



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das nicht! Ihr Instinkt, in größter Not und kurz, bevor sie gebrochen werden würde, rief ihr zu, dass Feuer ihr nicht helfen könne. Und sie verstand. Herr der Himmelswiesen, ich ertrage das nicht...! Gleichzeitig wurde ihr klar, dass sie sich nicht wehren würde, so heftig alles in ihr danach schrie – oder Roter Speer müsste sterben. Die höhnischen Stimmen der Männer, die nicht wissen konnten - oder die es nicht interessierte - wie tief und endgültig das sein würde, was ihr Anführer der jungen Frau im Begriff war, zuzufügen, hörten sich an wie aus weiter Ferne. Will anspringen, ihn überraschen... nach dem Dolch oder Schwert greifen, das er trägt...! Nein. Selbst wenn ihr das gelang, würde erst sie, dann Roter Speer durch die Übermacht sterben. Langsam tat sie, was der Slaver ihr gesagt hatte.

      Ein eigentümliches, metallisches Geräusch und das Verschwinden der Hände von ihrer Haut ließen sie schlagartig die Augen aufreißen. Langsam wandte sie sich um. Bloody Will stand immer noch hinter ihr, sie lag noch immer, vor allen entblößt, da. Aber in dieser Sekunde sagte niemand etwas. Alle starrten ihren Anführer - die Sklaven ihren Peiniger - an, voller Schreck oder morbider Faszination, die gleich darauf in alarmiertes Geschrei überging. Denn aus dem Hinterkopf des Slavers ragte das hintere Stück eines gefiederten Pfeils, dessen schwere, metallbrechende Spitze an der Stirn vorne - durch den Helm, den sie durchschlagen hatte - zu sehen war. Will glotzte einfach geradeaus, auf Maddys Bauch, ehe er lautlos zur Seite wegkippte. Dann brach die Hölle los. „Tribals…“, brüllte jemand. „Quatsch, hier doch nicht“, kreischte ein anderer. Schreiend und sich widersprüchliche Befehle zuschleudernd, einer absurder als der andere, liefen die Söldner wie eine aufgescheuchte Hühnertruppe kreuz und quer durcheinander. Sie suchten den Feind in der Dunkelheit, sahen aber niemanden. Ein Pfeil, irgendwo aus der Finsternis, fand sein nächstes Ziel - den jüngeren der beiden Tribals. Der Ältere, der Maddy bis dahin nicht aus den Augen gelassen hatte, brüllte zornerfüllt auf. "Bruder...!" Maddy reagierte, ohne darüber nachzudenken. Sie sprang auf, zog der Leiche von Will die gebogene Klinge aus der vergoldeten Scheide und wirbelte zu dem Stammeskrieger herum. Es spielte keine Rolle, dass sie nichts am Leib trug - jetzt nicht mehr! Denn dies war es, wofür sie geboren, wofür sie ausgebildet, worauf sie ihr ganzes Leben vorbereitet worden war. Als Blutschwert losstürmte, die Kampfaxt zu einem wuchtigen Hieb führend, stieß auch Maddy einen Schrei aus und sprang auf den Krieger zu. Ein Söldner, der sich einmischen wollte, fiel mit einem Pfeil mitten durchs linke Auge. Die Streitaxt, eine einhändig geführte Waffe mit schwerem Kopf, raste schräg herunter, aber in einem hatte der Tribal die kleinere und sicherlich weniger kräftige Gegnerin unterschätzt: Maddy war beweglicher als der Stammeskrieger. Sie wich dem Schlag, den sie zu ihrem Glück gut abgeschätzt hatte, aus und rollte sich neben ihrem Feind ab, als dieser auch schon den nächsten Schlag – auf Schulterhöhe – führte. Maddy jedoch war gar nicht erst wieder auf die Füße gekommen, sondern ihre Rechte beschrieb einen oft geübten, wirkungsvollen Schlag mit Will’s Krummschwert gegen das Bein des Tribals – knapp unter seinem Knie. Es war ein Risiko, denn der Schlag musste sitzen – die Alternative wäre, dass sie, auf dem Boden liegend, gegen die Axt ihres Gegners keine Chance mehr gehabt hätte. Doch Maddy traf – woraufhin Blutschwert fassungslos nach seinem Bein griff, das ihm aber, sauber abgeschnitten, blutspritzend aus der Hand glitt. Der Tribal fiel kreischend zur Seite, während sein roter Lebenssaft strömend aus dem Kniestumpf herausschoss. Maddy hörte in diesem Moment einen Aufschrei, fuhr herum – und fand sich Auge in Auge mit einem der Söldner wieder, der sie verwundert anstarrte. Weit erhoben hielt er sein Langschwert, doch er ließ es nicht niedersausen. Erst da sah Maddy die Speerspitze, welche dem Mann direkt aus der Brust ragte. Und sie erblickte Roter Speer, der sie noch einen Moment anlächelte, den Arm von seinem Wurf noch erhoben – ehe er die Augen schloss und dumpf aus der Hocke auf den Boden aufschlug.

      Pfeil um Pfeil aus der Dunkelheit fand sein Ziel mit geradezu erschreckender Präzision, wie Maddy mit einem kalten Schauer auf ihrem Rücken bemerkte. Nie hatte sie solche Treffsicherheit vom Ecarrücken aus gesehen, nicht einmal von den Rittern des Ordens, denen sie oft beim Trainieren zugesehen hatte. Ein Reiter preschte nun mitten ins Lager, von der anderen Seite noch einer. Die Ecars teilten wild Hiebe mit ihren vorderen Klauenhufen aus, beide Reiter schossen Pfeil auf Pfeil ab. Maddy konnte keines der Gesichter der beiden erkennen, wusste daher nicht sicher, ob die Fremden Freund oder Feind waren – der Pfeil, welcher Will getötet hatte, sprach zwar für ersteres, aber ihr Leben wollte die junge Kriegerin nicht darauf wetten. Zumindest galt im Augenblick: Der Feind meines Feindes ist mein Freund. Sie sprang zu dem toten Söldner, den Roter Speer getroffen hatte und zog drei Wurfspeere aus dessen Rückentasche. Ohne zu zögern suchte sie einen der überlebenden Söldner, die – zum Glück der fremden Angreifer – ohne ihren Anführer keinen organisierten, sondern nur noch Widerstand als Einzelkämpfer leisteten. Sie traf den ersten der Slaver-Lohnkrieger mitten in den Schädel, fuhr zu einem weiteren herum, der gerade mit zittrigen Händen eine schwere Armbrust lud. Der Mann sah den Speer nicht kommen, der ihn seitlich in den Oberarm traf und diesen an seinem Oberleib festnagelte.

      Aufschreiend ging der Söldner zu Boden, während Maddy schon das nächste Ziel suchte. Aber es gab keines mehr. Schwer atmend, immer noch voller Adrenalin, sah sie sich um, die Klinge des Slaver-Bosses kampfbereit in Händen. Die beiden Reiter hatten ebenfalls noch Pfeile auf ihre Bögen bereitgehalten, steckten sie nun aber wieder weg. Erst da wurde Maddy bewusst, dass Roter Speer sie gerettet hatte – und nun womöglich tot war. „Nein…nein, bitte nicht“, flüsterte sie, wusste nicht recht, zu wem eigentlich. Angst drang durch ihre Kampfeslust, die Angst um einen Tribal, den sie seit ganzen drei Tagen kannte! Und doch war sie da, diese Furcht, stärker und durchdringender als jedes andere Gefühl.

      Sie zog einem der toten Söldner achtlos den Staubumhang weg, bedeckte sich damit notdürftig und eilte zu dem jungen Stammeskrieger. In dem Augenblick wurde ihr erst klar, WAS Roter Speer für sie getan hatte. Aus der aufgerissene Wunde an seiner rechten Schulter strömte das Blut heraus, denn der junge Krieger hatte sich erst den Spieß – die einzige Waffe, an die er herankommen konnte – aus dem eigenen Fleisch gerissen, um dann Maddys Angreifer im allerletzten Moment damit zu töten. Mechanisch suchte sie saubere Stoffstücke, rannte in das Zelt, das unverkennbar das des Slaver-Bosses gewesen war. Dort fand sie, was sie brauchte und kehrte zu Roter Speer zurück. Der war offenbar wieder bei Bewusstsein, jedoch auch sehr schwach. Maddy dachte gar nicht mehr an die beiden Reiter, die eben dabei waren, abzusteigen. Sie verband die hässlich blutende Wunde des jungen Stammeskriegers mit sauberen, weißen Laken, nachdem sie sie ausgewaschen hatte. Ohne es zu wissen, tat sie das Richtige, denn das, was sie für leichten Stoff hielt, war in Wirklichkeit Seide, die antiseptisch wirkte. „Warum hast du das gemacht? Wieso hilfst du einer wie mir?“, fragte sie verzweifelt, als sie das viele Blut sah, dass schon über Brust und rechten Arm des jungen Kriegers geflossen und im Boden versickert war. „Du hasst uns Eisenmenschen…und…du hast Recht. Hörst du, es stimmt! Wir sind…grausam, wir sind arrogant…“, stammelte sie, bis sie das schwache Lächeln im Gesicht des Kriegers erblickte. „Du…bist…nicht so…wie die anderen“, sagte er leise und wurde bewusstlos. Maddy fühlte seinen Puls, dieser war schwach, aber vorhanden. „Stirb’ nicht…Roter Speer…nicht! Ich…ich hab’ sonst niemanden mehr“, flüsterte sie. Nein, das ist es nicht. Das ist nicht der Grund, schoss es ihr durch den Kopf, als sich ihr mit einem Mal Schritte näherten. Sofort ergriff sie das Krummschwert, wandte sich um – und sah sich zwei Gestraften gegenüber, die mit verschränkten Armen vor ihr stehen blieben. Beide trugen schwarze Umhänge über leichten Lederrüstungen, die mit matt gefärbten, überlappenden Metallplättchen verstärkt waren. Beide trugen Schwerter mit leicht gekrümmten Klingen und langen Griffen, außerdem kurze Reiterbögen, Pfeile, mehrere Dolche, einer dazu noch zwei Wurfspieße. Zuerst starrte die junge Kriegerin nur, fragte sich, was das zu bedeuten hätte – bis sie einen der beiden erkannte. An dem geschienten Bein nämlich. Ihre Augen wurden groß, was die beiden zu einem Grinsen veranlasste. „Du hast ausnahmsweise Recht, Fox…sie ist wirklich hübsch“, meinte der andere der beiden, der ein wenig größer war als sein Begleiter mit einem lockeren Grinsen. „Weshalb so ein Mädchen einen hässlichen Hund wie dich versorgt, würde mich brennend interessieren.“ Er blickte sich, während er sprach, in dem Lager der Slaver um, wobei seine Augen eine Weile düster auf der menschlichen „Ware“ verharrten. Die Sklaven duckten sich, eng zusammengekauert, warteten offensichtlich auf das, was die fremden Angreifer mit ihnen zu tun gedachten. „Befrei’ sie“,