Dark World I. Tillmann Wagenhofer

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Название Dark World I
Автор произведения Tillmann Wagenhofer
Жанр Языкознание
Серия Dark World
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783750225602



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zu sein, dass sich weitere, sehr weitläufige Ländereien jenseits des riesigen Hindernisses aus Eis befindet, das man nur (mühsam) im Norden, durch die Handelssiedlungen der dortigen kalten Ebenen oder aber über die Stadtstaaten des Südens und dann Richtung Westen, umgehen kann. Nie ist es jemandem gelungen, diese gewaltige Barriere zu überwinden.

      Fakten scheinen zumindest auf einige bekannte, größere Städte im Westen hinzudeuten, von denen aber wenig bekannt ist, vieles davon widerspricht sich in den Erzählungen. Auch was die Tierwelt angeht, scheinen dort etliche Spielarten zu existieren, welche bei uns nur selten oder, in mindestens neun Fällen, auch gar nicht anzutreffen sind.

      Worüber sich die verschiedenen Quellen jedoch weitestgehend einig sein dürften, ist das bedenkliche, teils massive Auftreten von Verdammten. Bezogen hierauf gibt es verblüffend viele Berichte, die von mehreren verschiedenen Rassen dieser Kreaturen berichten. Natürlich waren schon zuvor mehrere Ableger der finsteren Wesen bekannt, doch wusste niemand, dass noch mehr als eine dieser Rassen existierte. Zu unser aller Glück ist in keinem der Berichte die Rede von den beiden ursprünglichsten, bei weitem gefährlichsten Bestien der Schwärze: Den Blutgängern und den Eis-Verdammten. Möge die Ewige Flamme uns vor diesen beiden schützen. (Niederschrift eines Gelehrten, Eternal Flame, Datierung unbekannt)

      Als Maddy erwachte, war das gleißende Sonnenlicht verschwunden. Der Kupfergeruch von Blut ebenfalls, allerdings schmerzte ihr ganzer Körper, besonders an einigen Stellen, die aber eigentümlich gekühlt waren. Ächzend hob sie den Kopf. Sie lag an einem kleinen Bach, dessen Wasser die milchige Färbung eines Gletschergewässers besaß. Vermutlich war es einer jener Bäche, die aus den Eismassen der Berge herunterkamen und später in einem großen Fluss vereinigt ins östliche Meer flossen. Buschwerk war hier und da zu sehen, auch wuchs an dem Lauf des Wassers entlang das Ödland-Gras erstaunlich dicht. Plötzlich war eine Hand mit einem Schlauch zur Stelle. "Trink...Vorsicht, es ist kühl", hörte sie eine Stimme. Sie musste nicht lange nachdenken, WER ihr da Wasser reichte. Schlagartig fuhr sie hoch, und das so schnell, dass der Tribal unwillkürlich zurückwich. Dummerweise warf Maddy mit ihrer schnellen Bewegung auch die Decke, die über ihrem Leib gelegen hatte, bis zur Hüfte herunter. Als sie mit namenlosem Entsetzen erkannte, dass jemand - und es gab hier nur EINEN Jemand - ihre sämtlichen Kleider entfernt hatte, hätte sie ihn wohl getötet, wäre ihr Schwert oder eine andere Waffe noch in Reichweite gewesen. "Also doch, du mieser..." Mit einem Schmerzenslaut sank sie zurück, doch die blanke Wut blieb. Roter Speer indes nutzte die kurze Gnadenfrist. "Ich musste dir die blutigen Kleider...äh, ausziehen...denk doch mal nach, wie hätte ich sonst deine Wunden versorgen sollen?" Mann, dachte er, warum ausgerechnet eine arrogante, durchgeknallte Kriegerin aus den Städten? Noch immer fragte er sich, weshalb er diesem Weib eigentlich geholfen hatte. Natürlich spielte es eine Rolle, dass sie eine Frau war, aber nicht aus lüsternen Motiven - Frauen galten als Erzeugerinnen des Lebens, eine Frau als Futter für die Raubtiere der Ödlande einfach liegen zu lassen, hätte Roter Speer gewiss zu schaffen gemacht. Aber ansonsten? Barmherzigkeit stand nicht auf der Liste der Eigenschaften, die den jungen Stammeskriegern beigebracht wurden.

      Schon gar nicht gegenüber Fremden, noch dazu potentiellen Feinden - egal ob Mann oder Frau. Überleben hieß die Devise, und das war auch ohne solch unüberlegt gute Taten in den Ödlanden schwer genug. Und nun beschwerte sich diese Frau auch noch, unterstellte ihm, dass er sich an ihr vergehen wollte. Im Grunde eine schwere Beleidigung. "Das kam dir sicher gelegen, was? Hast auch sicher gründlich nachgeschaut, habe ich Recht?", giftete Maddy, als Roter Speer der Geduldsfaden riss. Eine kühle Klinge aus irgendeinem Stein lag an der Kehle der jungen Kriegerin. "Du hältst jetzt deinen Mund. Ja, ich habe dich ausgezogen. Ja, ich habe dich nackt gesehen. Nein, ich habe dich nirgendwo angefasst, wo ich nicht unbedingt musste oder etwas anderes mit dir gemacht. Behaupte das noch einmal, und ich muss dich töten, Eisenmädchen. Denn ich lasse mich nicht beleidigen, schon gar nicht von einer Feindin, der ich nur geholfen habe", sagte er hart.

      Maddys Wut schwächte sich stark ab, jedoch nicht aus Angst. Und das, obwohl sie diesem Tribal jedes Wort glaubte - vor allem die Drohung. Er würde es tun, das sah sie in seinen Augen. Doch gerade das berührte sie auf eine sehr eigentümliche Weise. Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass sie noch immer mit nacktem Oberkörper vor dem Tribal saß. Genauer, einem Mann, kaum älter als sie, der bis auf seinen Lendenschurz ebenfalls nichts trug. Sie schluckte, und in dem Moment schien es auch dem Stammeskrieger klar zu werden. Er nahm die Klinge von ihrem Hals, so dass sie rasch die Decke wieder über ihre Blöße ziehen konnte. "Du hast eine sehr unmissverständliche Art und Weise, mir das klar zu machen", sagte sie mit leichtem Spott. "Gut, du hast mir geholfen, ich bin nicht so blöde, das nicht zu sehen. Aber ich bin auch nicht dumm genug, dir zu glauben, dass du es völlig uneigennützig gemacht hast, ohne etwas zu verlangen. Bin ich jetzt deine Gefangene? Deine Sklavin oder so? Das kannst du nämlich gleich wieder vergessen, Barbar", stieß sie hervor. Roter Speer verzog das Gesicht. "Was nennst du mich ständig Barbar?" Fast verwundert starrte sie ihn an. "Na, weil du einer bist", erläuterte sie rechthaberisch. "Ihr Tribals seid Mörderhorden, Ungläubige..." Sie hielt inne, da es ihr plötzlich nicht als sonderlich schlau erschien, diesem Krieger wirklich ALLE blumigen Bezeichnungen, die der Orden für sein Volk bereithielt, an den Kopf zu werfen. Leider zu spät. Schon hatte die Miene des Tribals einen misstrauischen Zug angenommen. "Du redest wie...einer dieser Fanatiker der Feuerkirche, an die jeder Eisenmensch gezwungen wird, zu glauben, angeblich in allen Städten im Osten." Maddy, noch immer ein wenig unkonzentriert, schluckte den Köder. "Fanatiker? Wie kannst du...ein Barbar...es wagen, so über die Kirche zu reden? Die Bewahrerin des Feuers, des Lichtes!", fuhr sie auf, als sie ihren Fehler erkannte. Der Tribal nickte langsam, sein Ausdruck war eisig. "Ich hatte also Recht. Du gehörst zu diesen elenden Mördern von Frauen und Kindern, die sich hinter ihrer abartigen Religion verstecken." Er lachte humorlos. "Ich hätte dich dort draußen verrecken lassen sollen."

      Maddy schluckte trocken, als sie sah, wie die Hand mit der Klinge unschlüssig in der Hand des Kriegers lag. "Ich...habe dich nicht gebeten, mir zu helfen", sagte sie, fast heiser. Er starrte sie eine Weile schweigend an, bis er schließlich hörbar ausatmete. "Stimmt...das hast du nicht. Das war meine eigene Narretei. Aber die endet hier und jetzt. Morgen früh solltest du stark genug ein, alleine weiter zu gehen." "Du...du lässt mich ziehen?", fragte Maddy verdutzt, ehe sie es vermeiden konnte. Der will mich doch hinters Licht führen, sicher schlitzt er mir heute Nacht den Hals auf. Dummkopf, schalt sie sich - was würde ihn JETZT daran hindern, das zu tun? Dieser Krieger hatte es nicht nötig, zu lügen. "Was denkst du Kirchensklavin denn, was ich dir alles antun sollte?", spottete er mit reiner Verachtung in der Stimme. Das machte sie schnell wieder wütend, doch unterdrückte sie den Zorn gerade noch. "Denkst du, ich will dich auf Ideen bringen?" Schon wieder der falsche Text, das erkannte sie gleich. Der Tribal spuckte vor ihr auf den Boden. "Ja, ihr Eisenmenschen mit euren Städten, eurer Kirche, euren Rüstungen und Eisenwaffen...ihr denkt, ihr währt etwas Besseres, stündet über allen anderen Menschen. Dabei wisst ihr nicht einmal, was hinter den Eismassen der Berge im Westen liegt. Ihr kennt nicht die kalten Wüsten des Nordens, schaut nie über euren Tellerrand." "Wieso...Tellerrand?", fragte Maddy erstaunt. "Ist ein altes Sprichwort, unwichtig." Er begegnete kalt ihrem Blick. Es ließ sie erschauern, aber nicht nur unangenehm, wie sie beiläufig mit Erstaunen feststellte. "Du glaubst nicht einmal, was du siehst, Kirchenfrau. Wäre ich die Ödland-Bestie, die ihr Eisenmenschen in euren Lügengeschichten aus uns macht, was hätte ich wohl mit dir gemacht, dir, einer Frau, wehrlos und schön wie du es vorher noch warst?" Schön? Er fand sie schön? Außer Giant hatte sie noch nie jemand als schön bezeichnet. Zähneknirschend unterdrückte sie ihren Stolz.

      "Du bist sicher anders als deine Stammesbrüder..." Da lachte er lauthals, es klang dieses Mal wirklich erheitert. Sein Lachen gefiel ihr, es war so echt und unverkrampft, nicht wie viele ihrer Kameraden und Lehrer im Orden, denen es scheinbar schwergefallen war, Humor auszudrücken. "Du bist wirklich ein echtes Eisenmädchen...du fändest sicher immer eine Erklärung, warum die Lügen deiner Kirche ausgerechnet bei mir oder auch meiner Familie nicht zutreffen." "Familie?" Es rutschte ihr heraus, und schon sah sie seine Heiterkeit verschwinden, daher fügte sie hastig hinzu. "Ich habe keine Familie mehr...hast du Geschwister?" Es war die erste Frage, die ihr einfiel, doch der Stammeskrieger ging darauf ein. "Drei Brüder sind wir...aber ich hatte auch zwei Schwestern, einige andere sind im Kleinkinderalter auf die Himmelswiesen geholt worden. Sie starben,