Blutige Nordlichter. Julia Susanne Yovanna Brühl

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Название Blutige Nordlichter
Автор произведения Julia Susanne Yovanna Brühl
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783741895944



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Haufen zu sehen.

      „Das ist sie! Da! Ich habe ihm die Plane heruntergeworfen, damit er nicht so nass wird! Darunter muss er liegen, er hat das Zelt in seinem Rucksack, er hat sich bestimmt darin eingewickelt!“

      Johnsens sah die junge Frau an, deren Stimme sich vor Aufregung überschlug.

      Er legte ihr beruhigend die Hand auf den Arm.

      „Wir werden uns jetzt vorsichtig an die Felswand herantasten“, erklärte er „und dann jemanden abseilen, der Ihren Freund an einem Rettungsseil befestigt. Dann kann er an Bord hochgezogen werden. Es wird nicht mehr lange dauern, bis er hier bei uns ist.“

      Sie war ihm dankbar für seine Worte, die ihre Angst ein wenig linderten, konnte sich jedoch schwer beherrschen, still zu sitzen.

      Der Pilot hielt seine Maschine auf Höhe der Felsoberkante in der Luft und bugsierte sie noch ein Stück näher heran.

      Der Hubschrauber befand sich nun dicht an der Felskante. Alle Augen richteten gespannt sich nach unten.

      Etwa vier bis fünf Meter unterhalb einer schief gewachsenen Birke, neben der die Tüte mit dem Inhalt ihres Rucksacks lag, lag die besagte Plane. Obwohl der Helikopter sich etwa dreißig Meter über ihr befand, knatterte sie ungestüm im Rotorenwind. Die Zeltplane wölbte und wand sich wie ein lebendiges Wesen, doch sie flog nicht davon.

      Sie wurde nur an einer Ecke festgehalten, auf der ein schwerer Stein lag, den Hendrik wohl unter größter Anstrengung auf sie gewälzt haben musste. Janina versuchte unter dem sich bewegenden Plastikhaufen Hendriks blonden Schopf auszumachen, doch sie konnte ihn nicht erkennen.

      Der Hubschrauber vollführte eine gekonnte kleine Wende, um in die richtige Position für die geplante Rettungsaktion zu gelangen. Dadurch entstand ein stärkerer Luftzug, infolgedessen auch der große Stein das sich wehrende Ungetüm nicht mehr halten konnte und es freigab.

      Mit Schrecken sah Janina ihre blaue Plane auf den See hinuntersegeln.

      Das dunkelgrüne Zelt, das unter der Plane verborgen gewesen war, lag noch an Ort und Stelle. Wie eine grüne Roulade umwickelte sie ein längliches Gebilde.

      Hendrik hatte sich vermutlich in drei Schichten gepackt: zunächst in den Schlafsack, dann hatte er darüber das Zelt gebreitet und anschließend die Plane.

      Schnell wurde der Rettungsassistent, der bereits während des Anfluges seine Abseilweste angelegt hatte, an der ausgeklappten Seilwinde heruntergelassen. Er verschwand mit einer eleganten Bewegung innerhalb eines Lidschlags durch die Hubschraubertüre. Kurz bevor er den Vorsprung erreicht hatte, kam er wieder in Janinas Gesichtsfeld. Es herrschte gespanntes Schweigen unter den Besatzungsmitgliedern, als er auf dem schmalen Sims landete.

      Als seine Füße den Boden erreichten, rang er für einen Augenblick schwankend um sein Gleichgewicht. Die Besatzung hielt den Atem an. Der Rotorenwind war stark, doch der geübte Rettungsassistent rutschte nicht ab, sondern fand mit ausgestreckten Armen wedelnd, sein Gleichgewicht wieder. Als er sich hinkniete, um das Zelt anzuheben, traten Janina Schweißperlen auf die Stirn. Sie konnte Hendriks Kopf nicht sehen, denn der Sanitäter verdeckte ihr den Blick mit seinem Rücken. Sie wünschte sich einen Scheibenwischer, um die großen Regentropfen, die ihr die Sicht behinderten wegzuwischen. Endlich drehte sich der Mann auf dem Sims. Jani beobachtet unter höchster Anspannung, was er als nächstes tat.

      Nachdem der Sanitäter das Zelt auf seinem Inhalt untersucht hatte, stand er wieder auf. Er hob die Hand zu seinem Headset und erweckte zunächst den Anschein, dass er etwas in sein Mikrofon sagen wollte, doch dann senkte er den Arm wieder und griff mit beiden Händen nach der Zeltwand. Mit Schwung zog er daran, sodass Hendriks Rucksack, der das Zelt gehalten hatte, zur Seite rutschte und es freigab. Nun kam zum Vorschein, was darunter verborgen gelegen hatte.

      Janina presste sich an die Scheibe, doch im selben Moment wurde der Hubschrauber von einer Windbö ins Schwanken gebracht und der Felsvorsprung verschwand für einen Moment aus ihren Augen.

      Dann war ein leises Raunen an Bord zu hören.

      Jetzt konnten alle Insassen sehen, wie der Assistent mit einem erhobenen Arm das Zelt im Wind flattern ließ, mit der anderen Hand hielt er sich am Felsen fest. Zu seinen Füßen lag ein großer Rucksack.

      Sonst nichts.

      Gar nichts.

      Endlich meldete sich er sich über Funk. Janina hörte seine rauschende Stimme über ihren Kopfhörer. Er klang irritiert, als er seine Meldung machte:

      „Hier ist nichts! Ich nehme das Zeug mit und komme möchte wieder hoch.“

      Es herrschte verwirrtes Schweigen an Bord und

      Janina saß wie gelähmt auf ihrem Platz und starrte auf die Gestalt unter ihr, die Plane und Zelt zusammenpackte.

      Kommissar Johnsen war der Erste, der die Stille durchbrach. Er wandte sich ihr zu und fragte über sein Headset: „Sind wir hier auch wirklich richtig?“

      Stummes Nicken.

      Johnsen sprach erneut durchs Mikro: „Haben Sie sich vielleicht geirrt, hat er doch von seiner Absturzstelle hochklettern können?“

      Janina schüttelte heftig den Kopf. „Nein, auf gar keinen Fall! Sie sehen doch selbst, wie weit unten sich die Stelle befindet! Außerdem hat er ein gebrochenes Bein!“

      Sie sah ihn an, als wäre er verrückt geworden.

      Johnsen wandte sich nun an den Piloten. „Holen Sie Skogler wieder an Bord und landen Sie bitte oben, so nahe wie möglich am Klippenrand.“

      „Verstanden“, rauschte es über Janinas Kopfhörer via Funk. Sie sah zu, wie Skogler Zelt und Rucksack an dem Seil, das eigentlich für die Rettung des Verunglückten gedacht war, befestigte, um sie an Bord des Hubschraubers zu bringen.

      Janina biss sich auf die Lippen, um die Worte zurückzuhalten, die sich ihr aufdrängten. Wie konnte das sein? Hendrik musste da unten liegen! Er wartete doch auf seine Rettung!

      Skogler wurde wieder an Bord gehievt und beschrieb den anderen, was er vorgefunden hatte: nichts außer dem Rucksack, der unter der Zeltwand gelegen hatte.

      Janina erkannte ihn als Hendriks und griff nach ihm wie ein Durstleidender nach einem Glas Wasser. Skogler stand ein wenig verloren vor ihr und sagte vorsichtig:

      „Frau Schwalb, ich habe die Befürchtung, dass…“ Er sprach seinen Satz nicht zu Ende und wie auf ein stummes Signal blickten alle gleichzeitig in die Tiefe, wo fünfzig Meter unterhalb des Vorsprungs das dunkle Wasser gegen die zahlreichen steilen, spitzen Granitfelsen schwappte.

      „..., dass er weg ist“, beendete Kommissar Johnsen zaghaft den angefangenen Satz.

      In diesem Moment verlangsamten sich die Rotoren. Sie landeten.

      Janina war seit vierundzwanzig Stunden auf den Beinen, hatte seit dem Frühstück nichts mehr gegessen und außer einigen unterwegs verschluckten Regentropfen, nichts getrunken.

      Dann der schreckliche Unfall, die Angst um ihren Hendrik, die Strapazen des langen Fußmarsches und nun auch noch das!

      Langsam, Wort für Wort, drang der Satz in ihr Gehirn ein, den ihr Gegenüber gesagt hatte: „Er ist weg.“

      Das war nun endgültig zu viel.

      Janina konnte nicht mehr.

      Sie hatte alles aus sich herausgeholt, was es herauszuholen gab, doch nun war sie ausgepumpt. Leer.

      Ihr gepeinigter Körper trat in Streik.

      Sie sackte bewusstlos auf ihrem Platz zusammen und hatte zum dritten Mal an diesem unglücklichen Tag Glück.

      Glück, dass ein Arzt an Bord war, der sie in ihrer Ohnmacht umsorgte, bis sie ein sauberes Bett in der kleinen Klinik am Rande von Mosjøen bekam.

      Die Suche der Mannschaft dauerte nicht lange und brachte nicht das gewünschte Ergebnis. Janinas und Hendricks Sachen wurden eingesammelt und mitgenommen. Doch ihren Freund