Blutige Nordlichter. Julia Susanne Yovanna Brühl

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Название Blutige Nordlichter
Автор произведения Julia Susanne Yovanna Brühl
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783741895944



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schiebt einen Teil in die linke Backe, während er versucht, einen kleineren Teil hinunter zu schlucken. Es brennt in seiner Kehle, als er das noch zu große Stück hinunterzwingt. Es musste eine noch komplette Haselnuss sein, die sich nun schmerzhaft ihren Weg durch die Speiseröhre zu bahnen versucht.

      Er muss erneut husten. Einmal, zweimal, ein drittes Mal.

      Er schlägt sich mit der Faust auf die Brust, um seiner gepeinigten Luftröhre Erleichterung zu verschaffen, doch dabei verschluckt er versehentlich auch noch das andere Stückchen Nussriegel, das er vorsichtshalber in seiner Backentasche aufbewahrt hat.

      Dieser zusätzliche Bissen biegt zu allem Überfluss auch noch falsch ab:

      in die Luft- statt in die Speiseröhre.

      Sein Husten kommt in heftigen Intervallen, mit Tränen in den Augen ringt er nach Luft. Er stützt seine Hände auf den Knien ab und ein plötzlich aufkommender Würgereiz zwingt ihn, seine gebückte Haltung beizubehalten.

      Doch es bleibt bei einem Reiz, nichts erlöst seine gepeinigte Luftröhre. Keuchend und wimmernd ringt er um Atem. Er schlägt sich erneut mit den Fäusten mehrmals auf die Brust und als das auch nichts hilft, umklammert er mit beiden Händen seinen Hals, ja, er tut in seiner Not sogar etwas, vor dem es ihm immer gegraut hat: Er versucht, tief in seinen Mund hineinzugreifen, um zumindest einen Brechreiz auszulösen, wenn er schon nichts zu fassen kriegen sollte. Doch leider ist es zwecklos.

      Panik breitet sich von seiner Magengrube aus und lässt ihm den kalten Schweiß auf die Stirn treten. Das Erstickungsgefühl wird allmählich übermächtig. Niemand ist bei ihm, der ihn mit ein paar erlösenden, kräftigen Schlägen auf den Rücken zwischen die Schulterblätter erlösen kann.

      Hustend und würgend fällt er auf die Knie. Die Tränen laufen über seine Wangen. Verzweifelt wartet er auf das Aufsteigen der Galle, die ihn endlich erlösen würde.

      Die Natur um ihn herum scheint das alles nicht zu interessieren, es ziehen keine düsteren, schwarzen Wolken am Himmel auf, die sein Dilemma dramatisch untermalen. Die Sonne strahlt nach wie vor weiter fröhlich von diesem malerischen Himmel herunter und die vielen wilden fleischfressenden Pflanzen laben sich mit Genuss an der einen oder anderen geschnappten Mücke. Einmal an einem klebrigen Tropfen des Sonnentaus festgehangen, gibt es für die kleinen Insekten kein Entkommen mehr. Genau wie in den eingerollten Blattfängen des Fettkrautes, werden hier die kleinen Insekten bei lebendigem Leibe verdaut.

      Von Verdauungsproblemen oder gar einer Beeinflussung ihrer Photosynthese wissen sie nichts.

      Die kleinen, unscheinbaren und zerbrechlichen Organismen kennen keine solchen Schwierigkeiten, wie sie der Zweibeiner, der sie gerade so rücksichtslos zerdrückt, im Moment hat.

      Was stellt sich dieser seltsame Mensch denn so an? Dieses Wesen, das der so großen und übermächtigen Rasse der Menschen angehört, die doch in jeder Hinsicht stets meint, sich über die Natur stellen zu können?

      Ist das intelligenteste Wesen des Planeten Erde nicht in der Lage, das zu tun, was ausschlaggebend dafür war, dass sich vor 4,57 Milliarden Jahren erste primitive Einzeller entwickeln konnten, nämlich zu atmen?

      Wenn Sonnentau Gefühle für andere Lebewesen empfinden würde, er täte sich kringeln vor Schadenfreude, dass die Tautropfen nur so flögen! Doch so ist ihm der kniende, dem Erstickungstod nahe Zweibeiner einfach nur egal und er ist froh, wenn er nicht komplett von ihm erdrückt wird.

      Eriks Augen sind inzwischen stark hervorgequollen, er liegt zusammengekrümmt auf dem weichen, leicht feuchten Moos. Seine Hände umklammern wie Klauen seinen Hals.

      Ihm wird schwarz vor Augen.

      Ein letztes Röcheln kommt über seine Lippen, dann ist es still auf der Anhöhe.

      1.) Erster Akt: Lomsdal – Visten Sommer 2016

      Weiter, weiter, nur nicht stehen bleiben. Der Rucksack blieb wieder einmal im nassen Geäst hängen, fahrig zog sie an ihrem Schulterriemen und war wieder frei. Ihre schwarzen schulterlangen Locken, die sonst wild in alle Richtungen abstanden, hingen ihr in patschnassen Strähnen in die Augen und behinderten ihre Sicht. Sie wirkte auf den ersten Blick zart und zierlich, doch sie war zäh wie Hosenleder, das hatte sie bereits auf unzähligen Wanderungen durch die Natur bewiesen.

      Sie hielt sich ein paar Zweige, die damit drohten, ihre Augen auszustechen, zur Seite und hastete weiter durch den knöcheltiefen Morast. Ihre vor Schmutz starrenden Stiefel verursachten bei jedem Schritt durch den Sumpf schmatzende Geräusche. Zwischendurch gab es glücklicherweise vereinzelte größere Steine, auf denen sie normalerweise lieber balancierte, als sich nasse Füße zu holen, doch mittlerweile kam es ihr eher auf Bequemlichkeit an – also lief sie einfach quer durch den Matsch, statt zu riskieren, auf den spiegelglatten Steinen auszurutschen.

      Mühsam versuchte sie, nicht von dem nur schwer erkennbaren Pfad abzukommen.

      Sie mahnte sich, sich ausschließlich darauf zu konzentrieren: einfach auf dem Weg bleiben, nicht abkommen.

      Das war das Wichtigste, nur darauf kam es jetzt an!

      Sie atmete kurz tief durch und schaffte es tatsächlich für ein paar Minuten an nichts anderes zu denken, als an diese Mission. Einmal landete sie schmerzhaft auf dem Hintern und riss sich dabei die linke Hand auf. Blut floss aus einem langen Kratzer unterhalb ihres Handgelenkes. Doch Jani war nicht wehleidig. Sie wischte die Hand in einer nebensächlichen Bewegung an der ohnehin schon vor Dreck starrenden Trekkinghose ab und verschwendete keinen weiteren Gedanken daran.

      Kein Grund, sich aufhalten zu lassen.

      Das Leben des einzigen Menschen, der ihr wirklich etwas bedeutete, hing von ihr ab. Für ihn würde sie bis ans Ende der Welt durch Moore gehen, sollte es regnen und ihre Beine schmerzen, so sehr sie wollten. Ihr Wille war stärker.

      Dicht vor ihr flog plötzlich ein schwarzer Vogel aus dem Gebüsch und flatterte mit lautem Gezeter davon. Janina blieb wie angewurzelt stehen. Mit klopfendem Herzen hielt sie einen kurzen Moment inne, um ihren rasenden Puls zu beruhigen und ärgerte sich eine Sekunde darüber, dass sie so schreckhaft war.

      Nur eine blöde Amsel! beruhigte sie sich, wischte sich kurz mit dem Ärmel über das Gesicht und hastete wieder los.

      Als der Pfad ein wenig breiter wurde und nicht mehr ihre gesamte Aufmerksamkeit erforderte, kehrten ihre vielen Sorgen mit einer Wucht zurück, die sie straucheln ließ.

      Es war tatsächlich passiert. Das Unglück, von dem sie gedacht hatten, es ausschließen zu können, indem sie es einfach ignorierten, war eingetroffen. Sie war nun auf sich allein gestellt. Warum mussten sie auch so viel Pech auf einmal haben? Wie so oft in Janinas Leben hatte sich ein Unglück zum nächsten gesellt ... und dann, dann war auch noch das Pech dazu gekommen!

      Wie weit ist es noch bis zur nächsten Straße, verdammt?

      Die Straße, dass sie einmal sehnsüchtig nach einer Straße verlangen würde, sie, die den Lärm der stinkenden Autos verabscheute!

      Aber nun galt es, so schnell wie möglich zur nächsten Ortschaft zu gelangen. Und an der Straße würde es ihr hoffentlich gelingen, eines der vorbeifahrenden Autos zu stoppen. Viel Verkehr gab es ja nicht gerade in dieser Gegend – mit ein Grund, warum sie überhaupt hierher gekommen waren, Hendrik und sie.

      Sie warf einen nervösen Blick auf die Uhr: 21:16 Uhr. Ein weiterer Blick nach oben, in Richtung der wolkenverhangenen Sonne, beruhigte ihre flatternden Nerven. Kein Grund zur Sorge, es war trotz des Regens noch taghell. Das war ein großer Vorteil an norwegischen Sommern. Die Dunkelheit, die im Winter über Monate andauerte und nur von farbenfrohen Nordlichtern erhellt wurde, existierte im Sommer schlichtweg nicht.

      Sie erinnerte sich daran, dass sie letzte Nacht etwa gegen 3:00 Uhr morgens so etwas wie eine Dämmerung erlebt hatten, bevor es wieder heller wurde. Eine magisches Ereignis.

      Und hilfreich in ihrer aktuellen Lage, denn somit wusste sie, dass ihr noch genug Zeit blieb, um die Straße zu erreichen, und dort gesehen werden konnte – falls denn jemand um diese Uhrzeit auf der E6 nördlich