Nirgendsmann. Markus Szaszka

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Название Nirgendsmann
Автор произведения Markus Szaszka
Жанр Языкознание
Серия Großstadtballaden
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754170984



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hatte, im Zimmer auf, trank den Jackie, rauchte ein paar Luckys, klickte mich auf der Suche nach gutem Blues durch YouTube, überblickte vom dritten Stock aus einen Teil der Oranienstraße und befand meine Situation für nicht weniger als perfekt.

      Berlin bedeutete eine neue Spielwiese. Ich kannte niemanden, hatte aber trotzdem scheinbar unbegrenzt viele neue Mitspieler. Ein konkretes Ziel hatte ich nicht, aber viel Energie, um das Leben bei den Hörnern zu packen. Es war genauso, wie ich es gewollt und gebraucht hatte, und ich wusste, in dieser Stadt würde ich ein Weilchen bleiben.

      Es gab aber eine Sache, die mir die ganze Tour vermiesen konnte. Eine Bedingung musste erfüllt werden, damit ich überhaupt mitspielen durfte. Zaster musste her; schöne, frisch gesendete Zahlen, herrlich geruchlose, virtuelle Euro, die selten als Schein oder Münze das Tageslicht erblickten und lieber formlos blieben.

      *

      Am nächsten Morgen, ich hatte lange geschlafen, stand Jörg über mir und starrte mich an. Der Typ machte mich wacher als jeder Espresso. Nicht, dass er etwas Böses mit mir anstellte, aber wie er es tat, das ließ mich an seiner mentalen Stabilität zweifeln. In Boxershorts und Bademantel hatte er über mich gebeugt gewartet, mich beobachtet, nur um mir zu sagen, dass er auch für mich einen Kaffee mitgekocht habe. Dann ging er wieder.

      Wäre er nicht so ein Freak gewesen, hätte ich vielleicht nicht derart schnell nach Arbeit gesucht, um genug Geld für eine eigene kleine Bleibe zusammenkratzen zu können.

      Ich putzte mir die Zähne, holte meinen Kaffee aus der Küche, hoffte, dass Jörg den Zucker nicht mit seinen privaten weißen Pülverchen vertauscht hatte und verzog mich wieder in mein staubiges Paradies.

      In den Weiten des WWW machte ich mich auf die Jagd nach einem Job. Google stand für meine Wünsche bereit, und ich musste nur noch dahinterkommen, welche Stichwörter ich in die Suchleiste hämmern musste, um zu finden, wonach ich suchte. Einige nicht unerhebliche Fragen galt es aber noch zu klären: Was wollte ich mit meiner Zeit anfangen, jetzt, da für mich ein neues Leben begonnen hatte? Was konnte ich gut? Und wo würden sie mich überhaupt einstellen?

      Körperlich anstrengende Jobs, die nur wenige Euro pro Stunde einbrachten, kannte ich nur zu gut aus meinem vorherigen Leben, doch die hatten mich nicht glücklich gemacht. Ich war ein zu empfindliches Wesen mit zu häufigen Kopfschmerzen und anderen Wehwehchen. Das konnte ich also streichen. Wenn ich so etwas täte, brächte das niemandem was.

      Grips hatte ich, aber das zählte nicht, zumindest nicht in der Welt, in der ich lebte. Da hieß es, zeig mir dein Zeugnis oder verpiss' dich – sinngemäß. Das schränkte meine Möglichkeiten enorm ein. Aber es musste etwas geben, das ich gut konnte und das ich machen durfte. Ich kam nur noch nicht dahinter.

      Ein weiterer Faktor, der mir meine Jobsuche erschwerte, war die Tatsache, dass ich anfing, allen Menschen gegenüber eine profunde Abneigung zu entwickeln, sobald sie sich nur ein bisschen danebenbenahmen. Ich hatte keine Geduld mit ihnen; nicht mit den Midlife-Typen, die sich auf dem Gehsteig aufregten, dass man ihnen im Weg stand, weil sie so fett waren, ebenso wenig mit den alten Schachteln, die einen ankeiften, wenn man im Einkaufszentrum zwischen ihnen, die in ihren Massagesesseln saßen, und dem Fernsehgerät im Schaufenster des Elektrogeschäftes stand, und auch nicht mit all den Gestalten, die mit ihren schmierigen Mündern ihre dummen zwei Cents zu allem dazugeben mussten, weil sie glaubten, es besser zu wissen, in Wahrheit aber einen Dreck wussten. Sie machten mich aggressiv, und ich wollte nicht aggressiv sein. Das passte nicht zu mir, beschloss ich.

      Für mich kam nur eine Tätigkeit in Frage, und zwar eine, bei der ich mit niemandem außer meinem eigenen kranken Hirn interagieren musste. Das war schon anstrengend genug, und alles andere wäre Unsinn gewesen.

      So kam das erste Wort aus dem Äther geflogen: Heimarbeit. Ich tippte es ins Suchfeld ein. Die wirkliche, unberechenbare Welt kam auch sehr gut ohne mich aus. Und ich ohne sie, zumindest dachte ich das.

      Der Verdienst war mir schnuppe. Ich war dazu bereit, viel zu arbeiten, mich anzustrengen und dazuzulernen, unter der Voraussetzung, dass ich machen konnte, was ich gerne tat.

      Doch was war das? Ich kam noch immer nicht drauf. Es konnte so vieles sein, solange es… das zweite Wort für die Suchleiste poppte vor meinem inneren Auge auf: Computerarbeit. Am besten etwas schreiben, zeichnen oder ähnliche Dinge, die ich gerne tat, bei denen ich mir aber beim besten Willen nicht vorstellen konnte, dass mir jemand Geld dafür geben würde.

      Was soll's?, dachte ich. Fragen kostet nichts.

      Mich überkam ein Moment der Hoffnung, des Übermuts und der weltfremden Risikobereitschaft. Ich ergänzte meine ersten beiden Wörter mit „schreiben“, denn das konnte ich zumindest ansatzweise, und es wäre ein Traum gewesen, von zu Hause aus mit dem Computer irgendwas für andere zu schreiben, egal was, Hauptsache, es gab Geld dafür.

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      Anscheinend war ich zum richtigen Zeitpunkt ein weltfremder Träumer gewesen, und schon bald drauf ein Glückspilz auf Zeit.

      An diesem Morgen fand ich die Internetseite www.ich-schreibe-deine-arbeit.de.

      *

      Da stand: Gegen gutes Geld wissenschaftliche Arbeiten schreiben. Bis dahin hatte ich nicht einmal gewusst, dass das möglich oder besser gesagt legal war. Ich klickte.

      Ohne auch nur ansatzweise zu wissen, wie man wissenschaftlich schrieb, fing ich an, mich zu registrieren. Ich glaubte ohnehin nicht, dass sie mich nehmen würden, aber einen Versuch war es in meiner Situation wert, wie ich so dastand, mit dem Rücken zur kapitalistischen Wand, die mit dollargrünen Banknoten und markanten Unternehmensmarken tapeziert war.

      Jörg zog gut hörbar eine guten Morgen-Line, draußen wanderten die ortsansässigen Asis zum Aldi, um ihr Mittagsbier zu kaufen, ein paar Nachtschwärmer torkelten von ihren Clubs nach Hause und ich fälschte Bewerbungsunterlagen.

      Zuerst musste ich ein paar Angaben zu meiner Person machen – Name, Geburtsjahr, Adresse und ähnlichen Hokuspokus – und einen Reisepass-Scan hochladen. Kein Problem, diese Dinge hatte ich. Dann wurde es kniffliger, aber nicht schwierig. Man musste zwar keinen Uniabschluss vorweisen, aber wenigstens ein paar absolvierte Seminare an einer Hochschule bestätigen können. So eine Bestätigung war im Netz nicht einfach zu finden, deshalb lud ich mir eine Bachelor-Urkunde runter, von irgendeinem Hanswurst, der sie auf Facebook gepostet hatte, höchstwahrscheinlich, um vor seinen Freunden mit ihr anzugeben. Ich bearbeitete lediglich den Namen in Paint und war innerhalb weniger Sekunden, zumindest auf dem digitalen Papier, zu einem Bachelor of Arts geworden. Ich speicherte die Datei, lud sie hoch und war fertig, denn mehr wollten die bei www.ich-schreibe-deine-arbeit.de nicht. Da ich mich unmöglich auf eine Zusage seitens der Betreiber von ISDA verlassen konnte, suchte ich gleich nach weiteren Jobangeboten und verschickte weitere Mails an dutzende Unternehmen. Es dauerte in etwa zwei Stunden, ich war noch dabei, das Internet nach passenden Inseraten zu durchforsten und dachte gar nicht mehr daran, dass ich mich an diesem Morgen als Ghostwriter beworben hatte, als ich folgende Mail erhielt:

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      Da tritt mich doch ein Pferd.

      Ab sofort konnte ich bei Auktionen für Haus-, Bachelor- oder Masterarbeiten mitbieten. Es lief nämlich so ab: Kunden schrieben in wenigen Sätzen, was für eine Arbeit sie brauchten. Sie beschrieben Thema und Studienfach, gaben Länge der Arbeit und manchmal auch die Formatierungsangaben oder notwendige Literatur an. Die Experten, wie die Ghostwriter bezeichnet wurden, konnten ein Honorar für die Bearbeitung des Auftrages bieten und ein paar Zeilen zur eigenen Person hinzufügen, um den Kunden von sich zu überzeugen. So unterboten sich die Ghostwriter gegenseitig, freie Marktwirtschaft par excellence. Natürlich wurden vor allem die günstigen Angebote genommen, auch wenn die kostspieligeren Anbieter bessere Arbeiten versprachen. Aber zu günstig durfte das Angebot auch nicht sein, denn Ramsch wollte keiner haben. Für das, was die fleißigen Schreiber bei ISDA leisteten, waren die gängigen Preise ohnehin bereits auf Ramschniveau, für die Kunden waren sie naturgemäß nach wie vor zu teuer, aber