Mord aus kühlem Grund. Achim Kaul

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Название Mord aus kühlem Grund
Автор произведения Achim Kaul
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783750231757



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Pause. Zweifel wechselte einen Blick mit Fischli.

      »Solche Schreie gibt es immer wieder mal. Wenn wir da jedes Mal springen würden …« Adnan hob entschuldigend die Schultern. »Aber dann gab es einen zweiten Schrei. Und er hörte sich — diese Schreie waren —«, er schaute zu Fischli hinüber, »einfach schrecklich.«

      »Von wo kamen sie?«

      »Aus dem hinteren Saunabereich, von da wo die Kelosauna und die Stollensauna sind.«

      »Können Sie sich erinnern, ob zu dem Zeitpunkt Musik lief?«

      »Na ja, das übliche Gedudel eben«, mischte sich Fischli ein.

      »Kam das aus allen Lautsprechern?«, fragte Zweifel. Fischli schaute Adnan fragend an.

      »Beschwören kann ich’s nicht«, sagte er dann. »Die Technik hat heute verrückt gespielt, das haben Sie ja mitgekriegt.«

      »Darauf komm ich später noch zurück. Können Sie sich an den blinden Badegast erinnern?«

      »Sie meinen Elvis?«, sagte Fischli, »natürlich, den kennen viele hier.«

      »Denken Sie, er hat ein gutes Gehör?«

      »Logisch«, sagte Fischli und grinste. »Der kann Ihnen sagen, ob das Bier alkoholfrei ist oder nicht. Ohne einen Schluck zu trinken. Das erkennt der am Geräusch beim Einschenken.« Zweifel nickte langsam.

      »Was würden Sie sagen, wenn er behauptet, dass die Schreie nicht echt waren, sondern vom Band kamen?« Adnan stutzte.

      »Wie jetzt? Aus den Lautsprechern?«, fragte Fischli ungläubig.

      »Lassen Sie sich das in Ruhe durch den Kopf gehen«, sagte Zweifel.

      »Was meinst du, Adnan?«, fragte Fischli. Der wiegte seinen Kopf hin und her.

      »Möglich wär’ das schon. Aber warum sollte jemand das machen? Und wie?«

      »Ausschließen kann man gar nix«, sagte Fischli.

      »Wer könnte Näheres dazu wissen?«

      »Da müssen Sie die Kollegin fragen, die die Durchsagen macht. Die ist auch für die Musik zuständig.«

      »Und wer ist das?«

      »Keine Ahnung. Die wechseln sich immer ab. Die von heute war jedenfalls nicht die hellste Kerze am Baum. Machte unmögliche Durchsagen, die nur für Verwirrung sorgten. Die hat die Leute erst richtig verrückt gemacht.«

      »Haben Sie mit ihr gesprochen?«

      »Natürlich, ich hab sie angerufen. ›Lass Musik laufen!‹, sag ich zu ihr. Das hätte die Leute vielleicht etwas beruhigt. Aber nix! Die hat das nicht hingekriegt.«

      »Sie sagten vorhin die Stimme kam Ihnen unbekannt vor. Was ist mit Ihnen, Adnan?«

      »Darüber hab ich noch nicht nachgedacht. Ich hab nur eine Durchsage mitbekommen. Aber jetzt wo Sie es sagen – die hab ich hier noch nie gehört«, sagte er und kratzte sich verwundert am Kopf.

      »Sie hörten also den zweiten Schrei, und dann taten Sie was?«

      »Na ja, ich ging so schnell wie möglich in den hinteren Saunabereich. Um die Uhrzeit ist da normalerweise wenig los.«

      »Vielleicht gehen wir da jetzt mal hin«, sagte Zweifel. Sie verließen Fischlis Büro.

      »Kamen Ihnen Badegäste entgegen?«, fragte Zweifel während sie das Restaurant durchquerten.

      »Nur ein paar. Die hatten die Schreie natürlich auch gehört.«

      »Ist Ihnen jemand aufgefallen?«

      »Nein, nur etwas später kam so ein dicker Berliner vorbei, der nach seinem Neffen gesucht hat.«

      »Stimmt«, bestätigte Fischli.

      »Und?«

      »Da war kein Neffe.« Sie waren vor der Stollensauna angelangt. »Ich hab den Berliner dann weggelotst. Der war mir zu neugierig«, sagte Fischli. »Ich bin mit ihm nach vorn gegangen und hab Adnan gebeten, alle Gäste aus dem hinteren Bereich zu verscheuchen und aufzupassen, dass sich niemand hierher verirrt. Zu dem Zeitpunkt konnte ich ja nicht sicher sein, ob dieser unangenehme Geruch nicht doch ein Anzeichen für eine Gesundheitsgefährdung war.«

      »In der Kräutersauna, dahinten um die Ecke, waren zwei ältere Frauen in ihr Gespräch vertieft«, sagte Adnan. »Die hab ich dann gebeten, nach vorne zum Vitalbecken zu gehen. Der unangenehme Geruch hatte sich schon überall verbreitet.«

      »Deswegen hatten wahrscheinlich alle anderen Badegäste bereits die Flucht ergriffen«, ergänzte Fischli. Zweifel betrat die Stollensauna und schaute sich um.

      »Ich bin dann kurz hiergeblieben und hab mich vergewissert, dass sich wirklich kein Mensch mehr in diesem Bereich aufhält. Die Nebelduschen, die Kelosauna, die Stollensauna hier – es war niemand mehr zu sehen. Also bin ich wieder nach vorn, wo der Teufel los war. Ich wollte sehen, wo ich helfen konnte«, fuhr Adnan fort. »Ich hab so etwas noch nie erlebt. So eine Situation mit den vielen Menschen, so total außer Kontrolle. Irgendwann kam dann dieser Bagger und hat die Scheibe zertrümmert.«

      »Wann haben Sie den Toten entdeckt?«, fragte Zweifel. Adnan fuhr mit der Hand über die Stirn.

      »Als ich den Bagger gesehen hab, bin ich nochmal zurück und hab alle Räume durchsucht, auch die Toiletten.« Er machte eine Pause. »Zuletzt hab ich einen Blick hier reingeworfen. Da lag plötzlich ein Mann auf der obersten Etage auf dem Rücken, das Gesicht zur Wand gedreht. Ich war total überrascht, weil ich ihn ja vorher nicht bemerkt hatte. Ich hab ihn angesprochen, aber er reagierte nicht.« Erneut machte Adnan eine Pause. »Ich dachte erst, er sei eingeschlafen und hab es nochmal lauter probiert. Dann stand ich da und hab ihn einfach nur angesehen. Und dann wusste ich, was los war. Sein Brustkorb bewegte sich nicht. Er hat sich einfach nicht bewegt.«

      »Haben Sie ihn angerührt?«, wollte Zweifel wissen. Adnan schaute ihn aus seinen tiefschwarzen Augen an und nickte.

      »Ich musste ja sichergehen. Deswegen hab ich seinen Kopf zu mir herumgedreht. Sein Gesicht war so weiß wie …«, er suchte nach einem treffenden Vergleich, »… wie ein Eisberg. Ich hab dann sofort die Sauna verlassen und die Tür geschlossen und Herrn Fischli gerufen.«

      »Und Sie haben zu diesem Zeitpunkt niemanden in der Nähe bemerkt?« Er schüttelte den Kopf.

      »Kurz darauf kam Herr Fischli.«

      »Ich konnte das gar nicht glauben, Herr Kommissar. Das ist mein erster Toter und ich mach die Arbeit schon verdammt lange.«

      »Warum haben Sie dann nicht die Polizei gerufen?«, fragte Zweifel. Der alte Bademeister warf beide Hände in die Luft.

      »Das fragen Sie am besten Herrn Schilling. Ich habs seiner Sekretärin oder Assistentin oder was auch immer die Dame tut, mehrfach laut und deutlich gesagt. Mit dem Ding hier komm ich ja nicht weit.« Er zeigte sein schnurloses Telefon.

      »Sie haben vorhin die Durchsagen erwähnt …«

      »Genau! Schon die erste war ’ne Meisterleistung. Anstatt klar und deutlich zu sagen, welchen Weg die Leute nehmen sollen, faselt sie irgendwas von Sicherheitsgründen und bricht einfach mitten im Satz ab.« Zweifel drehte sich zu Adnan um.

      »Haben Sie die Durchsagen hier hinten auch gehört?«

      »Nein, ich sagte ja, ich hab nur eine mitbekommen, als ich vorn war, aus den Lautsprechern hier kam nichts mehr.« Er überlegte einen Augenblick und versuchte dann ein Lächeln. »Vielleicht haben ihnen die Schreie den Rest gegeben.«

      »Auf jeden Fall hat die zweite Durchsage mir den Rest gegeben«, sagte Fischli. Zweifel warf einen kurzen Blick in die Duschen und inspizierte dann die anderen Saunaräume. Fischli folgte ihm auf Schritt und Tritt. »›Die Glastüren sind verriegelt. Bitte nutzen Sie …‹, und dann bricht sie einfach wieder ab. Als dann auch noch die Menschenmenge von vorne, also vom Eingangsbereich her, sich wie eine Lawine in den Raum wälzte, war das Chaos perfekt.«