Mord aus kühlem Grund. Achim Kaul

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Название Mord aus kühlem Grund
Автор произведения Achim Kaul
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783750231757



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      Melzick zwang sich zu einem Lächeln, was nicht ganz einfach war, bei den Gedanken, die ihr durch den Kopf schossen, während sie Herrn Schilling und seiner Sekretärin gegenübersaß. Vielleicht lag es an der Art und Weise wie diese Frau gelangweilt ein dünnes Salamiwürstchen aus der Aluminiumverpackung pellte und anfing, daran herumzunagen.

      »Ich hoffe sehr, dass wir nicht allzu lange brauchen werden«, ließ Schilling in seinem Chefton verlauten.

      »Liegt an Ihnen«, gab Melzick zurück. Schilling nahm seine randlose Brille ab und fixierte Melzick von oben herab. Melzick schaute seine lustlose Sekretärin an.

      »Name?« Zwei blaue Augen hefteten sich auf Melzicks Frisur.

      »Doris Deh.«

      »Ach was. Wie die Schauspielerin?«

      »Welche Schauspielerin?« fragte Doris Deh und kaute ohne Enthusiasmus auf ihrer Salami herum wie auf einem Kaugummi. Schilling setzte seine Brille wieder auf und verschränkte ungeduldig die Arme. Seine Finger trommelten auf seine Ellbogen. Melzick schaute ihm betont gelassen in die Augen. Immerhin hatte sie Urlaub. Ein Vergnügen am Tag wollte sie sich gönnen.

      »Ungeduld ist selber schuld«, sagte meine Oma immer.« Doris Deh verschluckte sich. Melzick wartete ihren Hustenanfall in Ruhe ab und holte in der Zwischenzeit ihr Notizbuch samt Bleistift hervor.

      »Könnten Sie Ihren Namen dann bitte buchstabieren?«

      John Fischli hatte Zweifel nichts erspart. Es gab keine Tür, die er nicht für ihn geöffnet hatte. Überall waren die Mitarbeiter bemüht gewesen, sich nichts anmerken zu lassen. Der komplette Saunabereich war zwar bis auf Weiteres gesperrt. Das Sport- und Familienbad, sowie die große, von riesigen Palmen umsäumte Schwimmhalle, Thermenparadies genannt, waren jedoch wieder geöffnet. Ein dünnes Absperrband verhinderte, dass Gäste im Freien in die Nähe der künstlichen Insel und der Saunablockhütten kamen. Ein eilig gemaltes Schild »Baustelle – wir arbeiten für Sie« tat ein Übriges. Von den Vormittagsgästen war keiner mehr da. Der Geruch, den die Nebelgranaten verursacht hatten, hatte sich verflüchtigt. Die Lüftungsanlage funktionierte wieder einwandfrei. Die Leute, die jetzt die Liegen rundum allmählich bevölkerten, hatten von den Geschehnissen des Vormittags keine Ahnung. Die riesige Scheibe, die Bekanntschaft mit einer resoluten Baggerschaufel gemacht hatte und seitdem ein hässlich gezacktes, riesiges Loch aufwies, blieb für die neuen Badegäste unsichtbar, da der Bereich gesperrt war. Eine Handvoll Bauarbeiter war damit beschäftigt, die Trümmer aufzuräumen. Thermenchef Schilling wollte unbedingt vor dem Eintreffen Kronbergers alle Spuren beseitigt haben. Die Einkaufsgalerie, die mit einem halben Dutzend Läden bestückt war, machte den gleichen Eindruck wie an jedem normalen Arbeitstag. Wer genau hinsah, spürte jedoch, dass hier etwas passiert war. Zweifel bedankte sich bei Fischli, der sich erleichtert von ihm verabschiedete, als eine drängende Frauenstimme ertönte.

      »Herr Fischli, ach Herr Fischli! Hätten Sie kurz Zeit? Es wäre dringend. Dauert auch nicht lang, nur ein paar Minütchen. Ich mach Ihnen auch einen kleinen Schwarzen. Da sagen Sie nicht nein, nicht wahr? Natürlich nicht. Soviel Zeit muss sein. Aber Herr Fischli! Nun bleiben Sie doch endlich mal stehen!« Fischli blieb schließlich widerwillig stehen und warf die Hände theatralisch in die Luft. Er drehte sich um.

      »Frau Sontheimer. Ich hab keine Zeit. Ich muss …«

      »Ach was. Tun Sie doch nicht so beschäftigt. Sie haben doch den Adnan.« Zweifel war ein paar Meter entfernt stehengeblieben und tat so, als interessiere er sich für die Preisliste des Coiffeurs, der sein Geschäft neben dem Laden von Frau Sontheimer hatte, die Bademoden und Dessous verkaufte. Fischli warf Zweifel einen verstohlenen Blick zu.

      »Wer ist denn jetzt der Tote? Mir können Sie es doch sagen. Von mir erfährt keiner was.« Sie hatte Fischli vertraulich am Arm gefasst und versuchte, ihn in ihren Laden zu lotsen.

      »Von mir auch nicht. Hat mir die Polizei verboten. Fragen Sie doch den Kommissar, der steht schon hinter Ihnen.« Sie riss die Augen auf und schwenkte hastig herum. Zweifel, so plötzlich ins Spiel gebracht, reagierte sofort.

      »Gegen einen Espresso hätte ich nichts einzuwenden«, sagte er mit einem gewinnenden Lächeln. Ilse Sontheimer, reich verwitwet, die ihren Laden hauptsächlich als Gerüchteküche und geschickt getarntes Kommunikationszentrum für das gehobene weibliche Publikum nutzte, verschlug es für wenige Sekunden die Sprache. Zweifel nutzte diesen taktischen Vorteil aus. »Vielleicht wäre es auch wieder mal Zeit für eine neue Badehose«, sagte er und ging schnurstracks an ihr vorbei in den menschenleeren Laden. Ein Blick auf die Preisschilder genügte ihm. Sie hatten eine eher abschreckende Wirkung auf die 0815-Kundschaft. Ilse Sontheimer blieb nichts anderes übrig, als ihm zu folgen. Er drehte sich zu ihr um. »Schön, Frau Sontheimer, so war doch Ihr Name, mein Name ist Zweifel, Kriminalkommissar. Dann wollen wir uns doch mal ungestört unterhalten.« Sie fand ihre Sprache wieder.

      »Mit einem kleinen Schwarzen habe ich einen Mokka gemeint. Espresso gibt es bei mir nicht. Das klingt so nach ›hoppla hopp‹ und ›wird’s bald‹ und ›jetzt aber fix‹. Mokka ist was für Genießer, die sich Zeit lassen können, finden Sie nicht?« Zweifel schenkte ihr ein Lächeln.

      »Dann lassen Sie in diesem Fall bitte den Zucker weg.« Sie nickte gleichfalls lächelnd und verschwand in einem Nebenraum, der als Kaffeeküche diente und kaum größer als eine Umkleidekabine war. Zweifel setzte sich in einen Korbstuhl, der dort platziert war, wo üblicherweise der männliche Teil der Kundschaft am besten aufgehoben war: In der Nähe der Kasse und darüber hinaus nicht im Weg. Er hörte sie emsig herumhantieren. Den Geräuschen nach zu urteilen verfügte »Sonny’s Dessous« über eine hochmoderne Mokkamaschine. Überhaupt waren nicht nur die Preise, sondern die gesamte Ladeneinrichtung hochklassig, wie Zweifel unschwer erkennen konnte.

      »Sie mögen Schweizer Pralinen, hoffe ich.« Ilse Sontheimer war mit einem Tablett erschienen, auf dem sich zwei goldgeränderte Designertassen neben einer gläsernen Etagere mit einer erklecklichen Anzahl verführerischer Schokojuwelen befanden.

      »Ich höre mich nicht Nein sagen«, sagte Zweifel.

      »Dann greifen Sie ungeniert zu«, sagte sie und stellte eine Tasse in seine Reichweite.

      »Gibt es denn viele Besucher, die 350 Euro für einen Badeanzug ausgeben?«, fragte er und angelte nach einer mit zwei Pistazien verzierten, hellbraunen Schönheit. Sie nippte an ihrer Tasse.

      »Mehr als Sie sich vermutlich vorstellen können. Vor allem Ausländer, Schweizer, um genau zu sein, gönnen sich gern mal was ganz Besonderes.« Sie stellte ihre Tasse ab. »Meine Ware ist ja nicht einfach nur teuer. Sie bekommen eben auch etwas ganz Außergewöhnliches für Ihr Geld«, fügte sie hinzu. Zweifel nickte und wechselte das Thema.

      »Wie haben Sie den Vormittag erlebt?«

      »Tja, Herr Kommissar, was soll ich sagen? Das war doch mal eine nette Abwechslung.«

      »Wie bitte?« Fast hätte er sich an seinem Mokka verschluckt.

      »Ich weiß natürlich, dass niemand ernsthaft zu Schaden gekommen ist, sonst würde ich nicht so daherreden. Das heißt …« Sie schaute ihn mit großen Augen an. »Jemand ist doch zu Schaden gekommen. Darf man wirklich nicht erfahren, um wen es sich bei dem Toten im Whirlpool handelt?« Er setzte seine Tasse vorsichtig wieder ab und inspizierte die Etagere. Sollte sie ruhig noch ein bisschen zappeln.

      »Was ist denn das hier für eine Köstlichkeit?« Er hatte sich eine schwarze Praline geangelt, die zur Hälfte in einer goldenen Papiermanschette steckte.

      »Neunzigprozentige Surabaya-Schokolade mit einer Füllung aus weißem Rum und Kokosnussmus.«

      »Da muss ich ja beinahe überlegen, ob das als Beamtenbestechung angesehen werden kann.« Sie antwortete ihm mit einem breiten Lächeln und sagte nichts. Er ließ sich ihre Praline und ihr Schweigen auf der Zunge zergehen.

      »Was haben Sie denn von dem Rauchgas mitbekommen?«

      »Von dem Rauch selbst so gut wie nichts. Ich hatte gerade meinen Laden dichtgemacht und wollte für eine Viertelstunde an die frische Luft. Ich rauche ganz gern