Das Überlebensprinzip. Christian Ruf

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Название Das Überlebensprinzip
Автор произведения Christian Ruf
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742735614



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Nun mussten wir loslassen und wieder ganz von vorne anfangen. Aber die Notwendigkeit weg gehen zu müssen lag nicht nur seit dem letzten Vorfall auf der Hand - es gibt hier einfach keine Zukunft.

      Wir schlugen unseren Weg Richtung Süden ein, folgten aber nicht der Straße, sondern gingen querfeldein und meistens durch den Wald. Anders geht es nicht ohne dabei Gefahr zu laufen von weitem gesehen zu werden - und das wäre tödlich. Immer wenn ein Tal vor uns lag suchten wir uns einen guten Ausblick und ich prüfte mit dem Fernglas ob es Spuren von Menschen gab: Felder die bewirtschaftet wurden, Rodungen, eingezäunte Tiere, aufsteigender Rauch, Trampelpfade und so weiter…

      Auf einmal entdeckten wir frische Spuren in den noch vorhandenen Schneeflächen. Zum Glück war es nur eine einzelne. Wir schlugen sofort eine völlig andere Richtung ein und verwischten dabei unsere Abdrücke mit den belaubten Zweigen einer Eiche. Dies kostete uns natürlich ungeheuer viel Zeit. Wir kamen an diesem Tag nur halb so schnell vorwärts! Ständig versicherten wir uns rückblickend, dass uns ja niemand folgte.

      Am Abend stellten wir relativ gefrustet unser Zelt zum ersten Mal im Freien auf. Wenn das in diesem Tempo so weitergehen würde, schaffen wir es nicht bis zum nächsten Winter über die Berge nach Süden zu kommen. Außerdem hatten wir beide mächtig Hunger. Eigentlich hatten wir ja vor in den Nachbarorten nach Lebensmitteln zu schauen zu.

      Als Ben eingeschlafen war, schaute ich beim Mondschein in das Tal vor uns. Weiter links lag am gegenüberliegenden Hang ein Dorf. Den ganzen Abend lang hatte ich weder Rauch noch Licht sehen können. Ob ich es wagen sollte alleine im Schutz der Dunkelheit nach Lebensmitteln zu schauen? Vielleicht wäre das sogar besser als bei Tag, dachte ich mir.

      Ich nahm eine Tasche und mein Messer mit. Für Ben schrieb ich schnell noch eine Notiz - falls er aufwachen würde und ich bis dahin noch nicht wieder zurückgekommen wäre. Dann machte ich mich auf den Weg durch die glitzernd weiß gefrorene Schneefläche.

      Erst wechselte ich etwas weiter oberhalb die Talseite damit man nicht nachvollziehen konnte aus welcher Richtung ich kam. Die Spur wurde vorsichtshalber gründlich verwischt. Wenn es noch mal schneien würde, wird man sie so schnell nicht erkennen können. Nun begab ich mich von hinten an den Ortsrand. Hier auf der dem Süden zugewandten Höhe lag ein ehemaliges Neubaugebiet. Im Dunkel der Nacht wirkten die verlassenen Häuser gespenstisch. Junge Familien hatten sich hier ihr Zuhause errichtet, mit allem was das Herz begehrt! Spielgeräte und Baumhäuser im Garten, den gemütlichen Kachelofen drinnen, große Garagen mit Fahrrädern, Anhängern, Motorrädern und sogar Traktoren. Nun waren die Häuser verlassen. Es waren alle geflohen - wohin auch immer. Niemand dekorierte und pflanzte mehr, keine Kinder rannten und riefen und der angehäufte Wohlstand macht keinen Sinn mehr.

      Egal - hoffentlich gab es noch jede Menge Reste an Lebensmittel. So stieg ich in jedes Haus hinein, nach und nach die ganze Straße entlang. Es war nur wenig was ich fand, aber für die nächsten zwei, drei Tage würde es wohl reichen.

      Plötzlich bemerkte ich, dass draußen jemand rumlief. Nackte Angst überfiel mich. Ich lauschte und spähte zum Fenster vorsichtig hinaus. Ob man auf mich lauerte und wartete bis ich zur Tür rausging? So einfach wollte ich mich nicht abknallen lassen!

      Nachdem ich eine halbe Stunde nichts mehr gehört hatte, suchte ich mir ein Fenster Richtung Garten hinaus. Hier konnte ich schnell zum Waldrand rüber laufen und zur Not hinter den Gartenlauben noch mal Deckung nehmen. Alles lief völlig geräuschlos und störungsfrei ab. Im Nu war ich raus aus dem Ort und rannte rüber bis in den schützenden Wald. Ab hier begann ich wieder damit die Spuren zu verwischen und lief in einem großen Bogen mit meiner Ausbeute an Lebensmitteln wieder Richtung unseres Lagerplatzes.

      Als ich mitten im Wald war, bemerkte ich wieder diese Laufgeräusche hinter mir. Es waren sogar mehrere! Und ganz schnelle Schritte. Es war komisch. Das waren doch keine Menschen - das waren Tiere! Eine Horde verwilderter Hunde hetzte mir nach. Sie hatten meine Witterung aufgenommen und wollten nun ihr Revier verteidigen! Solche Tiere sind wild aufgewachsen und benehmen sich wie ein Rudel hungriger Wölfe. Sie bellten gefährlich scharf als sie durch den Wald auf mich zu rannten. Wohin sollte ich jetzt? Was tun? Mit dem Messer konnte ich nichts gegen diese Horde ausrichten.

      Ich ließ meine Sachen fallen und rannte stapfend zum nächsten Baum, versuche daran hochzuklettern und rettete mich in die Höhe. Es war geschafft! Der Baum wurde sofort umringt und angebellt. Wann würden diese Viecher wieder verschwinden? Es war eine wirklich dumme Situation. Ich ärgerte mich dabei am allermeisten über meine Hilflosigkeit.

      Doch plötzlich jaulten die Hunde auf. Zogen den Schwanz ein, liefen kurz weg, kamen aber wieder und benahmen sich dabei sichtlich gequält. Ich verstand das Ganze nicht. Schließlich rannten sie alle bellend davon. Es war mir ein Rätsel. Ob ich es wagen soll die Gelegenheit zur Flucht zu nutzen?

      So sprang ich runter von meinem Ast und sammelte die Sachen schnell wieder ein. Da hörte ich wie sich ein Mensch näherte! Sofort warf ich mich hinter den nächsten Busch auf den Boden in Deckung. Das Messer lag bereit in meiner Hand. Die Gestalt kam näher und sucht nach mir…

      Aber zu meiner Überraschung war es Ben! Verblüfft kam ich aus meinem Versteck hervor. Er freute sich mich zu sehen und grinste. In der einen Hand hatte er meinen Zettel und in der anderen eine Hundepfeife! Jetzt kapierte ich. Es ist eine der Pfeifen die für das menschliche Ohr unhörbare Hochfrequenz-Töne erzeugt, die aber für Hundeohren äußerst schmerzhaft sind. Ich musste lachen! Wo hatte er die nur her? Die musste er sich vor unserer Abreise noch eingesteckt haben.

      „Super Ben! Danke. Erstklassig reagiert.“ lobte ich ihn. Er aber grinste nur stolz.

      8. Tag

      Nach einem opulent großen und gutem Frühstück - es gab für jeden ein halbes Glas mit Schokoladencreme, die ich die Nacht über in meinen Schlafsack mit reingelegt hatte damit sie nicht einfriert, sowie einer noch intakten Packung Knäckebrot - begaben wir uns gut gelaunt auf die nächste Tagesetappe. Zu unserer weiteren Freude fing jetzt endlich das warme Frühlingswetter an durchzubrechen. Der Himmel leuchtete blau und die Sonne löste die ihrer Wärme hilflos ausgesetzten Schneedecken immer mehr auf. Es fühlte sich herrlich schön an!

      Wir gingen unseren Weg weiter durch den Wald und kreuzen nur gelegentlich eine Lichtung. Uns begegneten jede Menge Tierspuren aber keinerlei menschliche Abdrücke. Das machte mich schon sehr nachdenklich. Wo sind nur die Leute alle hin? Sind es wirklich nur noch so wenige? Irgendwann wird diese ganze Landschaft verwildert sein und irgendwann wird es hier nur noch hektarweise Wälder geben. Wie vor gut zweitausend Jahren…

      Als wir am Abend zusammen saßen und mitten im Wald zwischen den hohen Stämmen der Bäume unser Lager aufgeschlagen hatten, überfiel mich beim Rauschen des Windes in den Ästen eine melancholische Stimmung. Ben bemerkte es, setzt sich direkt neben mich und legte seinen Arm um meine Schultern.

      „Ich vermisse die anderen Menschen um mich herum.“ erklärte ich ihm meinen traurigen Blick. Ben schaute mir direkt in die Augen und zeigt auf sich. Ich verstand und lächelte ein wenig. „Das ist wahr, wir haben ja uns beide.“

      Dabei war es noch gar nicht so lange her, dass wir uns kennen gelernt hatten. Vor ca. zweieinhalb Jahren sah ich zwischen den Feldern diesen Jungen herum streunen. Blondes langes Haar, völlig wild und ungekämmt hing es ihm ins Gesicht und über seine lange schmale Nase. Wie ein wildes, struppiges Vogelnest sah es aus. Seine Kleidung war verdreckt und teilweise zerrissen. Schuhe besaß er keine. Sein Blick war umsichtig, sein Gang aber eher müde und erschöpft, ein wenig lustlos.

      Solche Begegnungen passierten nur alle vier bis fünf Monate. Er hatte mich zum Glück nicht gesehen und stöberte hungrig in den Häusern nach Essbarem herum. Ärgerlich, dass er ausgerechnet in meinem Dorf Unterschlupf suchte und ich mich nicht mehr draußen blicken lassen konnte! Wenn man Glück hatte, war dies nur kurzzeitig bis so ein Besucher dann endlich wieder weiterzog. Für diesen Fall hatte ich ja mein Versteck im Wald, was ich nun notgedrungen aufsuchen musste…

      Ich beobachtete ihn bestimmt zwei Wochen lang. Er blieb.

      Es kamen auch keine weiteren Menschen nach. Da er alleine