Das Überlebensprinzip. Christian Ruf

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Название Das Überlebensprinzip
Автор произведения Christian Ruf
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742735614



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zu seinem Schutz keine Schusswaffe nehmen möchte. Vielleicht ein Trauma? Wer weiß…

      Ich fragte mich, wo der Rest der Bande geblieben war? Vielleicht im Haus, dort wo der Streit ausbrach? Bevor wir zum Eingang hineingingen spähten wir durch die Fensterscheiben nach innen. Ja, tatsächlich - da lagen sie!

      Ich öffnete vorsichtig die Tür und ging als erster hinein. Das Wohnzimmer sah furchtbar aus! Überall Müll, leere Flaschen und Zigarettenkippen. Das letzte Mal wo ich solch ein Chaos gesehen hatte, war auf dem 18. Geburtstag meines Cousins. Als wir morgens aufwachten sah es so ähnlich aus…

      Als ich mich von dem leblosen Zustand des Mädchens und der beiden Jungs in ihrer Nähe überzeugt hatte, merkte ich im Augenwinkel wie plötzlich hinter mir der dritte Kerl seinen Kopf leicht zur Seite bewegte und mit ausgestrecktem Arm zu mir herüber schaute!!

      „Schieß!“ rief ich Ben zu. Sofort zielte er mit seiner Waffe auf ihn, drückte aber nicht ab! So ein Mist - ich drehte mich ruckartig selbst um, hob mein Gewehr zum Ziel an - da stöhnte der Kerl ein gequältes: „Ja mach!“ zu mir herüber.

      Das machte mich so perplex, dass ich erstmal nur da stand - jedoch ihn keine Sekunde aus den Augen lassend! Am Ende zündete er noch eine Handgranate oder so etwas und reißt uns alle in den Tod. Ich wusste in diesem Moment auch nicht warum ich nicht geschossen und uns diesem Risiko ausgesetzt hatte.

      Während ich ihn so betrachtete, bemerkte ich immer deutlicher den sehr schlechten Zustand von ihm. Er schien sehr viel Blut verloren zu haben so dass er viel zu schwach war überhaupt noch etwas zu machen. Außerdem musste er total ausgehungert sein wenn er sich seit vorgestern nicht mehr bewegt und hier nur rumgelegen hatte. Kein Wunder, dass er lieber sterben wollte - es gibt ja keine Ärzte mehr und erste Hilfe brachte hier leider auch nicht mehr viel…

      „Wenn ihr mich nicht umbringt, dann gebt mir wenigstens eine Waffe.“ krächzte seine Stimme.

      „Kommt gar nicht in Frage.“ antwortete ich.

      „Bitte - wenigstens ein Messer…“

      „Nein!“

      Erschöpft blickte er mit leeren Augen an die Decke. Er hatte schulterlanges, blondes Haar. Dazu einen Dreitagebart und grüne Augen. Ich war irgendwie müde und hatte einfach keine Lust jemanden in einer derart hilflosen Situation zu töten. Selbst wenn es ihn von seinen Leiden befreit hätte. Ich kann den Tod nicht mehr sehen!

      „Wie heißt du eigentlich?“ fragte ich ihn, einfach um ein Gespräch anzufangen und auf andere Gedanken zu kommen.

      „Viktor.“ sagte er ohne seinen Kopf umzuwenden.

      „Was ist den passiert?“ wollte ich wissen und setzte mich dabei mit Ben etwas entspannter ihm gegenüber auf den Boden. Allerdings noch immer mit der Waffe auf ihn gerichtet.

      Er erzählte uns seine ganze Geschichte: wir er mit seinen Kumpels damals sich zu einer Bande zusammengeschlossen hatte. Als die Gewalt überhandnahm, wollte er gerne aussteigen. Aber das ließen die anderen nicht zu - nur die Gruppe biete ihm Schutz… Der Schnee hatte sie gezwungen irgendwo Quartier zu beziehen. Dieses Haus mit seinen vielen Vorräten war ein echter Glückstreffer gewesen. (Kann ich mir denken!)

      Dann feierten sie eine Party. Mit scharfen Getränken natürlich. Bis plötzlich ihr Bandenchef einen anderen anmachte, er solle seine Freundin nicht anfassen! Danach geriet alles außer Kontrolle…

      Seine Lippen waren noch blasser geworden und er fing fürchterlich an zu husten.

      „Viktor, magst du etwas trinken?“

      „Ja gerne. Es tut mir nur so weh beim Schlucken…“

      Ihm lief eine Träne über die Wange.

      „Es hat mir schon lange keiner mehr einen Gefallen getan. Ich musste mir immer alles selbst nehmen.“ Viktor schaute zu uns herüber.

      Ben brachte ihm ein Glas eiskaltes Wasser. Ich nahm es und ging zu ihm rüber. In der einen Hand das Glas, in der anderen mein Messer. Ben behielt ihn dabei fest im Auge und ließ den Lauf seiner Waffe stets auf ihn gerichtet.

      Als Viktor große Augen machte und verängstigt auf mein Messer schaute, beruhigte ich ihn: „Keine Sorge, ich tue dir schon nichts. Es ist nur zu meiner Sicherheit.“

      Er ließ es geschehen. Vorsichtig setzte ich das Glas an seine Lippen und er trank gierig aber mit Schmerzen in der Brust.

      „Danke dir.“ stotterte Viktor und versuchte zu lächeln. „Ich wollte nie so werden und auch nicht so enden. Wenn meine Eltern jetzt hier wären würde ich mich schämen…“

      „Niemand wollte so werden.“

      „Ich hätte einfach abhauen sollen - aber wohin?“

      „Ist schon gut - niemand kann seine Vergangenheit im Nachhinein ändern.“ versuchte ich ihn zu beruhigen.

      „So viele, die ich auf dem Gewissen habe und jetzt bin ich selber dran!“

      Ich versuchte ihn auf andere Gedanken zu bringen:

      „Ist dir nicht kalt? Soll ich dir eine Decke holen?“

      Ich stand auf ohne seine Antwort abzuwarten.

      „Bitte geh nicht fort!“ rief Viktor mir nach während ich im Nebenraum verschwand und eine Decke besorgte.

      Ich setzte mich neben ihn, deckte ihn zu und nahm seine rechte Hand. Angst hatte ich keine mehr. Ben beobachtete uns von der anderen Seite des Zimmers. Viktor erzählte mir noch so einiges aus seinem Leben. Es war so schön mal mit einem Menschen reden zu können. Doch auf einmal schwieg er.

      „Ich werde nicht wieder gesund, oder? Was wird sein, wenn ich tot bin?“

      „Keine Ahnung.“ gab ich ehrlich zu.

      „Muss ich dann Rechenschaft ablegen? Ich, ich… es tut mir leid. Es tut mir ALLES so leid!“ er weinte.

      Ich wischte seine Tränen von den Wangen ab. Hier vor mir lag ein kleiner, kaputter Junge der sich einfach nur wünschte angenommen zu werden.

      „Viktor, du bist ein feiner Kerl. Glaubst du mir das?“

      „Ich weiß nicht, wie denn - meinst du das wirklich ernst?“

      „Ja, weil du zu den wenigen gehörst denen es von Herzen leid tut…“

      Ich war selbst darüber verblüfft, dass es überhaupt noch möglich sein konnte jemanden nicht als potentielle Lebensbedrohung sondern als Mitmenschen erleben zu können Viktor war nun viel gelassener. Er hatte sein Leben noch innerlich ordnen können. So starb er dann wenig später.

      6. Tag

      Nachdem wir unser Haus aufgeräumt und die Toten etwas weiter weg in einem Garten versteckt hatten, konnten wir diese Nacht wieder in unserem „Zuhause“ verbringen. Leider war von den Lebensmitteln die wir für die Reise zusammengesucht hatten nichts mehr übrig. Zum Glück aber waren unsere Kleidungsstücke noch unversehrt.

      So machten wir noch mal eine Runde durch alle Häuser. Aber das Ergebnis war eher spärlich. „Dann müssen wir halt gleich beim nächsten Ort nachschauen was es dort noch gibt.“ entschied ich.

      Glücklicherweise begann allmählich wieder das Tauwetter, denn schließlich war vor ungefähr zwei Wochen schon Frühlingsanfang gewesen. Die Toten werden in der Wärme bald zu verwesen anfangen. Sie aber jetzt noch zu beerdigen, dazu fehlt uns die Zeit und die Kraft. Wir werden diesen Ort eh für immer verlassen - gleich morgen früh!

      7. Tag

      Es ging nun endlich los! Ben und ich waren total aufgeregt als wenn wir in Urlaub fahren würden. Ein spürbar wärmerer Wind strömte von Südwesten übers Land und den Schnee schnell zum Schmelzen brachte. Das werden wir unbedingt ausnutzen.

      Wir hatten gut gefrühstückt