Die richtige Chemie. Günter Wirtz

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Название Die richtige Chemie
Автор произведения Günter Wirtz
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754184929



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mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ Wobei in seinem Fall noch der besonderen Schwere des Verbrechens Rechnung zu tragen war, da das Opfer, also er, länger als eine Woche der Freiheit beraubt und eine Gesundheitsschädigung, wie bereits in Gedanken ausgeführt, verursacht wurde. Hierüber, über seinen Fall, sollten seine Studenten einmal eine Hausarbeit schreiben! Nur gefälligst nicht bei ihm! Oh, wie er sie hasste, die Arbeiten!

      Zwei Wochen später lehnte sich Professor B. seufzend zurück und massierte sich die dunklen Augenringe unter der Halbmondbrille. Dann beugte er sich vor, legte die letzte Arbeit auf den Stapel und frohlockte innerlich: geschafft!

      Jetzt nur noch die Vorbereitung für morgen und er konnte endlich Feierabend machen.

      Das bedeutete:

      1. die Verköstigung einer 0.33 Liter-Flasche Bier,

      2. den Verzehr einer Handvoll Erdnüsse sowie

      3. die dreißigminütige Verfolgung des Fernsehgeschehens in Form der Tagesthemen. Endlich an keine Bes und Des, keine Kas und Ers mehr denken!

      Er nahm einen Ordner aus dem Aktenschrank und wollte ihn auf dem Schreibtisch ausbreiten, doch der war so voll, dass er den Klausurstapel erst wegräumen musste. Nur wohin mit ihm? Ah, auf dem Beistelltisch war noch Platz. Den wollte er ja auch noch reparieren. Eines der Tischbeine musste neu angeleimt werden. Gleich morgen nach der Uni würde er das erledigen.

      Nachdem er noch einmal die Unterlagen für seine morgige Vorlesung durchgegangen war, packte er sorgfältig seine Aktentasche und nahm sie hinunter in den Flur, wo er sie wie jeden Abend auf dem Sekretär postierte. Ordnung war das halbe Leben. Ersparte jede Menge Zeit. Justus würde das auch noch begreifen. Der wechselte seit dem Vorfall vor zwei Wochen kein Wort mehr mit ihm. War wohl immer noch ein wenig eingeschnappt. Na ja, das gibt sich schon wieder. Hach, geschafft, geschafft, geschafft!

      Als Professor B. am nächsten Tag von der Uni nach Hause kam, stellte er als erstes die blaue Papiermülltonne, die im Laufe des Vormittags geleert worden war, an ihren mit Kreide eingezeichneten Platz zurück. Dann schlenderte er pfeifend zur Haustür, gab seiner Frau F. einen Wangenkuss, fragte gleichzeitig „Na, wie war dein Tag?“ und begab sich, ohne eine Antwort abzuwarten, hoch in sein Arbeitszimmer. Als er es betrat, erstarb das Pfeifen auf seinen Lippen und er erbleichte. Der Beistelltisch war umgefallen, doch auf dem Boden lagen keine Heftmappen. Sein Blick raste durch den Raum: auf dem Schreibtisch, im Bücherregal, auf seinem Sofa – keine Arbeiten. Er durchsuchte jeden Zentimeter des Zimmers — nichts!

      Professor B. stürmte hinunter in die Küche: „Franziska, hast du meine Arbeiten gesehen, die Hausarbeiten? Sie lagen oben in meinem Zimmer auf dem Beistelltisch.“

      Seine Frau schüttelte den Kopf. „Du weißt doch, dass ich dein Arbeitszimmer überhaupt nicht betrete.“

      „Ja, aber ...“

      In diesem Moment fiel sein Blick auf seinen Sohn, der ihn stumm anstarrte und keine Miene verzog.

      „Justus, hast du etwa meine Arbeiten an dich genommen?“

      „Was denn für Arbeiten?“

      „Na, die Hausarbeiten meiner Studenten! Die ich korrigiert habe! Sie lagen auf dem Beistelltisch in meinem Arbeitszimmer.“

      „Auf dem Beistelltisch, nein. Aber da waren überall Blätter auf dem Boden. Die hab ich weggeworfen. So wie das rumlag, sah das aus wie Papierabfall, den du auf dem Boden liegen gelassen hast. Und ich dachte, ich helfe dir auch mal beim Aufräumen.“

      „Du hast sie weggeworfen?“

      Ohne eine Antwort abzuwarten, stürmte er nach draußen zu den Mülleimern, Justus schlenderte hinterher. Herr B. riss die Tonne auf und starrte hinein: Abfälle, aber keine Mappen, Justitia sei Dank!

      „Also ehrlich, Justus, da hast du mir aber wirklich einen Schrecken eingejagt! Für einen Moment habe ich doch tatsächlich geglaubt, du hättest die Arbeiten in den Müll geworfen.“ Professor Dr. jur. K. Brachacker lachte und wischte sich den Schweiß von der Stirn.

      „Aber Papa, doch nicht in den Restmüll. In die blaue Tonne: Ordnung muss sein!“

      Auf der Brücke

      Mann 1: Die Aussicht ist der Hammer, oder?

      Mann 2: Was, wo kommen Sie denn her? Sind Sie wahnsinnig, mich so zu erschrecken! Fast wäre ich abgestürzt!

      Mann 1: Ich dachte, Sie wären hier, um ‘nen Abgang zu machen.

      Mann 2: Sie meinen, ich will mich umbringen?

      Mann 1: Was machen Sie sonst um sechs Uhr morgens hinter dem Geländer einer Autobahnbrücke? Also was ist nun, springen Sie jetzt? Mir ist kalt.

      Mann 2: Warum haben Sie denn auch keine Jacke angezogen?

      Mann 1: Warum haben Sie denn auch keine Jacke angezogen? Sind Sie meine Mutter oder was? Warum wohl? Weil ich nicht gedacht hab, hier Schlange stehen zu müssen. Jetzt machen Sie schon!

      Mann 2: Nicht, wenn Sie zuschauen.

      Mann 1: Gut, dann mach ich die Augen zu.

      Mann 2: Das reicht nicht. Ich springe erst, wenn Sie die Brücke verlassen.

      Mann 1: Sie spinnen doch! Dann spring ich eben zuerst!

      Mann 2: Kommt gar nicht in Frage! Ich war zuerst hier.

      Mann 1: Fuck, wir sind doch hier nicht an der Fleischtheke!

      Mann 2: Mein Gott, sind Sie immer so ordinär? Ich frage mich, wie Ihre Frau es mit Ihnen aushält.

      Mann 1: Gar nicht. Sie will mich verlassen. Was meinen Sie, warum ich hier stehe? Und Sie, warum wollen Sie sich umbringen?

      Mann 2: Ich … Das geht Sie nichts an.

      Mann 1: Lassen Sie mich raten! Ich wette, Sie haben Liebeskummer.

      Mann 2: Jjjnein.

      Mann 1: Sie leiden an einer unheilbaren Krankheit.

      Mann 2: Jjjnein.

      Mann 1: Haben Sie Verstopfung? Was soll das heißen: Jjjnein? Ja oder nein?

      Mann 2: Das kann man nicht so klar beantworten. In gewisser Weise ja, aber eigentlich nein.

      Mann 1: Aha. Also mehr nein als ja.

      Mann 2: Nnnja.

      Mann 1: Fuck, mit Ihnen möchte ich auch nicht verheiratet sein.

      Mann 2: Ich mit mir auch nicht.

      Mann 1: Ich könnte einen Schnaps brauchen, Sie auch?

      Mann 2: Ich trinke nicht.

      Mann 1: Das hab ich mir gedacht. Aber so kurz vor Ihrem Tod können Sie eine Ausnahme machen. Abhängig werden Sie bestimmt nicht mehr.

      Mann 2: Hm, da haben Sie wohl Recht.

      Mann 1: Hier, nehmen Sie! Das hilft gegen die Kälte.

      Mann 2: Danke. … Uh, das Zeug brennt aber!

      Mann 1: Das Zeug ist Whisky und fünfundvierzig Jahre alt. Dreihundert Euro die Flasche. Dachte, zur Feier des Tages kann ich sie öffnen und in meinen Flachmann füllen.

      Mann 2: Dreihundert Euro? So viel würde ich nie für eine Flasche ausgeben!

      Mann 1: Das war klar.

      Mann 2: Wieso?

      Mann 1: Wieso? Weil Sie verdammt noch mal nicht den Eindruck machen, als würden Sie sich irgendwas im Leben gönnen.

      Mann 2: Wie kommen Sie darauf?

      Mann 1: Pff, kein Alkohol, die Art, wie Sie reden: Das alles ist so ordentlich und brav und korrekt.

      Mann 2: Nur weil ich nicht in jedem Satz scheiße oder fuck sage.

      Mann 1: Fuck, Mann, genau! Und an Ihrem scheiß Outfit