Mord aus gutem Hause. Achim Kaul

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Название Mord aus gutem Hause
Автор произведения Achim Kaul
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783753182087



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als ihr Telefon läutete.

      »Mel! Schön, dass du anrufst. Willst du etwa doch noch vorbeikommen? Es ist noch jede Menge übrig von meinem Resteessen. Wenn du …« Den Rest verschluckte sie. Melzick brauchte nur wenige Worte.

      »Adam!«, rief Lucy und ihr Ton ließ ihn sofort aufspringen. Er nahm Lucy den Hörer aus der Hand.

      »Melzick, was gibt es?« Er lauschte etwa dreißig Sekunden und sah dabei Lucy an, die eine Hand vor den Mund hielt.

      »Wer hat die Einsatzleitung? Verstehe. Bin schon unterwegs.« Er legte auf.

      »Was ist…?«, fragte Lucy. Zweifel war schon an der Tür.

      »Melzick spricht von einem Amoklauf.«

      »Bei der Demo?«, hauchte Lucy fassungslos.

      »Tun Sie mir einen Gefallen, Lucy. Von den Augsburger Kollegen kenne ich noch niemanden. Könnte sein, dass ich Ihre spezielle Hilfe brauche.« Sie nickte, wenn sie auch keine Vorstellung davon hatte, was genau er damit meinte. Er suchte in der Jackentasche nach seinem Autoschlüssel.

      »Ihr Menü war unvergesslich. Ich werde mich revanchieren.« Schon war er draußen.

      »Oh Gott!«, rief sie ihm nach.

      Der Strom der Demonstranten riss immer noch nicht ab. Die Spitze mit Phil am Megafon war schon längst durch die Steinstraße zum Rathausplatz marschiert. Sie konnte seine Stimme hören, die durch die kurze Querstraße „Unter dem Bogen“ verzerrt herüberschallte. Melzick sah den jungen Polizisten Griebl in einiger Entfernung auf der anderen Seite der Annastraße. Er kniete neben einem Mann, der dort an der Mauer auf dem Boden lag, und sprach in sein Funkgerät. Sie sah auch die beiden Mädchen. Eines hielt sich die Hände vor das Gesicht und weinte, das andere stand hilflos daneben und wusste nicht, wie es die Freundin trösten sollte.

      »Nicht noch ein Todesopfer«, dachte Melzick. Zacharias kam mit zwei kleinen Decken an.

      »Wir sollen keine Flecken reinbringen«, sagte er.

      »Das glaub ich jetzt nicht«, stöhnte Melzick. »Wissen die überhaupt, was passiert ist?«

      »Natürlich nicht, Mel. Ich geh doch da nicht rein und sag ›haben Sie mal was zum Zudecken, wir hätten da ’ne Leiche‹!«, zischte er. »Die denken, das ist ein bewusstloser Penner.«

      »Ok, das hat du gut hingekriegt.« Er nickte und war immer noch so blass wie Milchschaum. Sie legten die beiden buntkarierten Decken auf den leblosen Körper.

      »Die sind zu kurz«, sagte Zacharias, »die Schuhe schauen raus.«

      »Ist unauffälliger, wenn wir den Kopf freilassen«, sagte Melzick. Zacharias starrte sie an.

      »Was ist da los, Mel? Verdammt, was ist da passiert?«

      »Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass jemand in die Menge geschossen hat. Wie geht es Jocelyn wirklich?« Zacharias schüttelte den Kopf.

      »Wir haben ’nen Druckverband gemacht und ihr Aspirin gegeben. Die Wunde ist wahrscheinlich nicht so schlimm. Aber sie dreht fast durch vor Angst.«

      »Dann geh zu ihr. Die Ärzte müssen gleich da sein. Bleib auf jeden Fall in ihrer Nähe.«

      »Du meinst doch nicht etwa, dass sie absichtlich angeschossen wurde, weil sie eine Schwarze …«

      »Ich sag doch, ich weiß es nicht. Behalt die Nerven. Bleib ruhig. Denk nicht zu viel nach.« Zacharias schnaufte verächtlich und ließ Melzick allein.

      »Was ist hier los? Wer sind Sie und was tun Sie hier?«, schnarrte eine unangenehme Stimme hinter Melzick. Sie drehte sich um und stand einem Polizisten gegenüber, der sie in Haltung und Gesichtsausdruck irritierend deutlich an den Verkehrs-Cop aus Hitchcocks Psycho erinnerte. Sogar die verspiegelte Sonnenbrille schien er aus dem Filmfundus beschlagnahmt zu haben. Melzick war weit davon entfernt, sich einschüchtern zu lassen. Sie zückte ihren Dienstausweis.

      »Kriminalobermeisterin Zick. Wird Zeit, dass Sie kommen. Ich sichere den Tatort. Wir brauchen dringend einen Sichtschutz. Dieser Mann wurde vor etwa einer Viertelstunde auf offener Straße erschossen, Herr …«, sie studierte sein Namensschild, »Herr Keitel.« Er nahm ihr den Ausweis aus der Hand und hielt ihn misstrauisch so dicht vor seine Sonnenbrille, dass Melzick ihr Foto darin sehen konnte. Nach schier endlosen Sekunden gab er ihr den Ausweis zurück.

      »Die korrekte Anrede ist Kriminalhauptmeister Keitel. Wer hat Sie gerufen?«, schnarrte er.

      »Niemand.« Melzick hatte keine Lust auf irgendwelche Kompetenzstreitigkeiten, aber sie hatte auch keine Lust, sich rechtfertigen zu müssen.

      »Wie kommt es, dass Sie so schnell am Tatort waren?« Der vorwurfsvoll misstrauische Ton ließ ihren Geduldsfaden reißen.

      »Da gibt es drei Möglichkeiten. Sie wissen sicher aus Ihrer Ausbildung an der Polizeihochschule, dass es immer drei Möglichkeiten gibt«, antwortete sie und schlug den Oberlehrerton an. »A: Ich habe den Mann selbst erschossen, B: Ich weiß im Voraus, wann und wo ein Mord geschieht, C: Ich habe an der Demonstration teilgenommen und lief nur ein paar Meter hinter dem Mann.« Melzick verschränkte die Arme. »Dies ist der richtige Zeitpunkt«, dachte sie, »an dem du dem Gespräch eine konstruktive Wendung geben kannst, zum Beispiel durch ein Lächeln oder auch nur, indem du diese verdammte Brille von deiner großen Nase nimmst.« Sie musterte unverhohlen den Rest seines Gesichts und wusste, dass Humor nie weiter von einem menschlichen Wesen entfernt war. Er schien alle drei Möglichkeiten für durchaus gleich wahrscheinlich zu halten. Melzick machte kurzen Prozess.

      »Zu meiner Zeit war Vorsagen nicht erlaubt. Ich geb Ihnen trotzdem eine kleine Hilfestellung, damit wir nicht noch mehr Zeit verplempern. Wenn A zuträfe, würde ich wohl kaum an der Seite meines Mordopfers warten, bis die Polizei geruht, einzutreffen. Träfe B zu, hätte ich den Mord verhindert.« Sie konnte förmlich hören, wie es hinter dieser hohen Stirn ratterte und knirschte. Ohne ein weiteres Wort an Melzick zu verschwenden, gab er den Beamten, die ihn begleiteten die Anweisung, sich um die unter den karierten Decken verborgene Leiche herum zu postieren.

      »Das reicht als Sichtschutz.«

      »Ihr Kollege Griebl kümmert sich da drüben um ein weiteres Opfer«, sagte Melzick und ging voraus.

      »Wer hat ihm den Befehl dazu gegeben?«, fragte Keitel.

      »Niemand, er tut es aus reiner Nächstenliebe«, flötete Melzick. »Guter Mann übrigens«, fügte sie hinzu.

      »Die Beurteilung meiner Mitarbeiter fällt nicht in Ihren Aufgabenbereich.«

      »Mir egal«, erwiderte Melzick. Sie fand langsam Gefallen an diesem Gespräch. Keitel fühlte sich endlich veranlasst, seine Brille abzunehmen. Er warf Melzick einen stechenden Blick aus engstehenden Augen zu, der jeden seiner Untergebenen zu Eis hätte erstarren lassen. Melzick beachtete ihn nicht. Die Hierarchie hatte sie noch nie sonderlich beeindruckt und die Tatsache, dass Keitel einen höheren Rang als sie hatte, war für sie etwa so bedeutend, wie ihre unterschiedlichen Schuhgrößen. Griebl kam ihnen entgegen. Als er Keitel sah, nahm er unbewusst eine straffe Haltung ein.

      »Der Mann ist nicht in Lebensgefahr, sagt der Notarzt. Er hat einen Schuss in den Oberschenkel bekommen, die Kugel ist noch drin. Er steht unter Schock.«

      »Wo war er, als er getroffen wurde?«, fragte Melzick bevor Keitel reagieren konnte. Griebl deutete auf dieselbe Stelle wie die Mädchen vorhin.

      »Ist er ansprechbar?«

      »Ähm …«, Griebl blickte von Melzick zu Keitel, »ich glaube schon.« Keitel schob Melzick zur Seite und schritt energisch auf den etwa vierzigjährigen Mann zu, der bereits auf einer Sanitätsliege festgeschnallt war. Er hatte das Bewusstsein zurückerlangt. Seine Tochter stand verstört und tränenüberströmt daneben. Der Arzt klappte seine Notfalltasche zu. Das Mädchen hielt die Hand des Vaters umklammert. Keitel verlor keine Zeit.

      »Sie heißen?«. Der Mann sah ihn aus glasigen Augen an, als wäre er bei etwas ertappt worden.

      »Fabian«,