Mord aus gutem Hause. Achim Kaul

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Название Mord aus gutem Hause
Автор произведения Achim Kaul
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783753182087



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Keine Gewalt, keine Waffen, keine Glasflaschen, keine faschistischen Parolen. Sie wiederholten diese Selbstverständlichkeiten mit lauter Stimme und schier unerschöpflicher Geduld. Sie erklärten den Weg zum Königsplatz, auf dem sich alle bis um 13 Uhr einfinden sollten. Sie tranken Wasser. Sie lächelten. Sie verbreiteten gute Laune. Phil hatte sie bestens vorbereitet. Vor dem Buchhandlungs-Container stand eine kleinere Gruppe Männer um eine junge Frau herum. Sie entdeckte Phil und winkte ihm hektisch zu. Einer der Männer versuchte, sie am Arm zu packen. Phil war mit wenigen Schritten bei ihr und zwängte sich durch den dichten Ring, den die Männer um sie gebildet hatten.

      »Hallo Chris«, rief er, »wo liegt das Problem?« Der Anführer der Männer drehte sich zu ihm um.

      »Misch du dich nicht ein. Wir kommen ohne dich klar.« Der Mann war einen Kopf größer als Phil, Mitte fünfzig, trug eine grüne Anglerweste über schwarzem T-Shirt und olivgrüne Hosen, deren Taschen ebenso prall gefüllt waren, wie die seiner Weste. Seine Aggressivität waberte Phil entgegen wie eine üble Schweißwolke. Seine Begleiter ähnelten ihm in unangenehmer Weise. Phil fixierte sein Gegenüber unerschrocken.

      »Ich bin sicher, Sie haben einen Grund für Ihre Verhaltensweise. Aber meine Kollegin hat den Eindruck gewonnen, dass sie nicht angemessen ist.« Phil sprach in freundlichem Ton. Der Mann verschränkte die Arme vor seiner mächtigen Brust.

      »Da schau her! Meine Verhaltensweise ist nicht angemessen. Freundchen, ich sag dir jetzt mal was. Deine Kollegin hier hat uns saublöd angequatscht. Hat was gefaselt von: Kein Alkohol, keine Parolen und was weiß ich noch alles. Sind wir jetzt schon so weit, dass wir uns von kleinen Gretas rumkommandieren lassen müssen.« Phil blickte in die rotunterlaufenen Augen und ihm war klar, dass er es mit einem besonderen Exemplar zu tun hatte. Das war auch Melzick nicht entgangen, die sich unbemerkt herangepirscht hatte. Sie war gespannt, wie Phil reagieren würde. Der musterte der Reihe nach jeden einzelnen der Männer, die seinen Blicken höhnisch, hämisch oder dämlich grinsend begegneten.

      »Sie sind zu siebt.« Es war mehr eine Feststellung als eine Frage. »Sie dürften bestimmt alle schon einiges im Leben durchgemacht haben.« Der Anführer glotzte ihn sprachlos an. Er hatte keine Ahnung, worauf dieses Jüngelchen hinauswollte. »Sie wissen, wie man mit Krisen umgeht, wie man seinen Mann steht, wie man sich durchsetzt, stimmt’s?«, fuhr Phil fort und knuffte ihn jovial in den Oberarm. Der ein oder andere seiner Zuhörer ließ sich zu einem Nicken hinreißen. Chris stellte erleichtert fest, dass sie nicht mehr im Mittelpunkt des Interesses stand und bewegte sich ein paar Schritte seitwärts. Gebannt hörte sie Phil zu. Der machte mit dem Zeigefinger eine verschwörerische Bewegung, so dass der Anführer sich unwillkürlich zu ihm runter beugte. Die Männer rückten noch enger um ihn zusammen, um kein Wort zu verpassen.

      »Von mir aus«, raunte Phil, »können Sie weiterhin dem Alkohol frönen. Das ist ein freies Land.« Heftig zustimmendes Nicken ringsum. »Hier geht heute ’ne ziemlich große Party ab, das werden Sie ja schon mitgekriegt haben. Ist aber eine ganz besondere Party. Ich schätze mal, wir werden 6000 bis 7000 Gäste haben und ich bin der Gastgeber. Und außerdem bin ich Optimist. Ich vertraue auf die Vernunft der Leute. Die Polizei ist da anders. Die gehen vom Schlimmsten aus. Wenn es nach denen ginge, würden die uns am liebsten wieder nach Hause schicken. Aber das läuft bei mir nicht.« Wieder blickte er reihum jedem tief in die Augen. Er hatte den richtigen Ton getroffen. Nur der Anführer schien sich noch nicht beruhigt zu haben.

      »Deine Party interessiert mich einen feuchten Dreck.« Er tippte Phil mit seinem dicken Zeigefinger mehrmals heftig auf die Brust. »Ich lass mir von niemandem sagen, was ich zu tun und zu lassen habe!« Phil blickte ihn unbeeindruckt an.

      »Wenn das so ist …« Er kramte in seiner Hosentasche und hielt eine Münze mit Daumen und Zeigefinger in die Höhe. »Hier bitte. Ich geb Ihnen fünfzig Cent. Suchen Sie sich eine Parkuhr und unterhalten Sie sich mit der. Ich bin sicher, Sie werden sich gut verstehen.« Er warf die Münze in die Luft, drehte sich um und ließ das Rudel stehen.

      »Komm Chris, wir müssen los.« Er schnappte die junge Frau an der Hand und blickte sich suchend nach Melzick um, doch die war ihm schon ein paar Schritte voraus. Er grinste.

      »Ich hab’s nicht klimpern gehört. Hat er die Münze selbst gefangen?«

      »Nee, einer seiner Kumpels.«, sagte Chris. »Du bist gerade rechtzeitig aufgetaucht. Die hatten sich schon richtig an mir festgebissen. Das wär irgendwann eskaliert.« Sie waren jetzt auf gleicher Höhe mit Melzick.

      »Diese Art der Konfliktlösung hab ich so noch nicht erlebt«, meinte sie.

      »Für ein therapeutisches Gespräch war keine Zeit«, gab er zurück.

      »Ich kann sie nicht ausstehen, diese Profilneurotiker«, sagte Chris. Sie liefen zurück zum Königsplatz. Der Strom der Demonstranten überschwemmte die Bahnhofstraße in ihrer ganzen Breite. Ein beweglicher Wald aus Bannern und Transparenten wälzte sich an Kaufhäusern, Handyshops, Konditoreien, Schuhgeschäften und Imbissläden vorbei. Es knisterte in der Luft vor Erwartung.

      »Wird ’ne geile Party, wie es aussieht«, sagte Melzick. Phil schüttelte den Kopf.

      »Das wird viel mehr. Das kann ich dir versprechen.«

      Sokrates war unruhig. Er spürte, dass etwas in der Luft lag. Carlo legte seine schwere Hand beruhigend auf den glatten schwarzweißen Fellrücken seines Kompagnons.

      »Sind nur Leute, alter Junge. Jede Menge Leute«, brummte er und tätschelte Sokrates’ Hinterkopf. Der gab einen Hundeseufzer von sich und blieb flach liegen, weil er Carlo vertraute. Tausende Zweibeiner hatten sich inzwischen auf dem Königsplatz versammelt und verursachten Schwingungen, die die Annastraße entlang pulsierten und auf Sokrates’ empfindliche Sinne trafen. Aber er war ein kluger Hund. Er war ein zufriedener Hund. Er hatte noch weniger als eine Stunde zu leben, aber das wusste er nicht. Er blinzelte träge, während seine Ohren wachsam auf Empfang blieben. Carlo wagte ganz gegen seine Gewohnheit einen Blick in die Holzschatulle. Nach seiner Überzeugung brachte es Unglück, das vor der Mittagspause zu tun. Erfahrungsgemäß machten die Euros dann einen Bogen um ihn und die Geldbörsen blieben fest verschlossen, da konnte er noch so ergreifend „El Condor Pasa“ auf seiner Flöte spielen. Zuweilen weigerte er sich, darin einen Zusammenhang zu sehen und tat seiner Neugier keinen Zwang an, nur um dann wieder die gleiche Erfahrung zu machen. An guten Tagen lagen sechzig Euro und mehr in seiner Schatzkiste. Aber es gab auch Tage, an denen er über zehn Euro froh sein musste. An diesem Morgen lagen gerade mal ein paar 50-Cent-Stücke in der Schatulle. Carlo verzog seine Lippen, ließ sich aber sonst nichts anmerken. Nicht, dass es jemandem aufgefallen wäre, aber sein Stolz verbot es ihm, Enttäuschung zu empfinden. Er stellte sich stattdessen vor, am Abend genug verdient zu haben, um Sokrates und sich ein schönes Essen zu gönnen. Er griff nach seiner Flöte, ohne zu ahnen, dass Sokrates kein Abendessen mehr brauchen würde.

      »Lucy, der Nachtisch war zu viel für mich«, stöhnte Kommissar Zweifel. »Mir war nicht bewusst, dass Ihre Bestrafung so hart ausfallen würde.« Lucy nahm die beiden Dessertteller vom Tisch und stellte sie in die Spülmaschine.

      »Jetzt nehmen Sie mal das mit der Strafe nicht so wörtlich, Herr Komm …, ach so, das darf ich ja nicht mehr sagen, Adam. Ich wollte Sie nur in einen Zustand versetzen, in dem Sie meinen Fragen wehrlos ausgeliefert sind.« Zweifel rülpste dezent hinter vorgehaltener Hand.

      »Das scheint mir eine etwas teure Verhörmethode zu sein. Aber immerhin — sie hat ihren Zweck erfüllt. Ich verspreche, die Aussage nicht zu verweigern. Aber nur, wenn ich eine Tasse von Ihrem speziellen Koffeingetränk bekomme.« Lucy schüttelte den Kopf.

      »Wie wollen Sie in Zukunft ohne mich auskommen?« Zweifel lehnte sich in seinem Stuhl zurück.

      »Die Frage habe ich mir noch gar nicht gestellt.« Lucy hantierte an ihrer Kaffeemaschine und seufzte zum wiederholten Mal.

      »Das ist typisch für Jungs in Ihrem Alter. Einfach mal so eine Entscheidung treffen, ohne sich groß Gedanken zu machen.«

      »Ah, ah, ah«, widersprach Zweifel, »Sie meinen die Jungs in meinem Alter, die sich ’nen Porsche kaufen, obwohl sie nur in einen Fiat passen, oder die sich ’ne zwanzigjährige