Der Gott des Zwielichts. Joachim Kurtz

Читать онлайн.
Название Der Gott des Zwielichts
Автор произведения Joachim Kurtz
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754187104



Скачать книгу

ihr mit mir im Sinn?“

      Argwöhnisch, mit Fieberglanz auf den Augen, blickte er um sich. Im Hintergrund werkelte Vaelundars hinkende Gestalt an der Esse. Als er einen flüchtigen Blick über die Schulter warf, wurde eine über die rechte Gesichtsseite gespannte Augenklappe aus schwarzem Leder sichtbar.

      Schließlich trat eine große, behäbige Frauengestalt links neben ihn und verschränkte die Arme vor der ausladenden Brust. In ihrem Blick spiegelte sich milde Teilnahmslosigkeit.

      „Aedhwyn.“

      Und da eine Antwort ausblieb, fügte sie an:

      „Wißt Ihr, wer ich bin, König Aedhwyn?“

      Immer noch zögerlich, entgegnete der Angesprochene:

      „Yldrun. Was beim....“

      „Sein Verstand ist klarer als mir lieb ist“, seufzte die Heilerin, indem sie ihm den Rücken zuwandte. „So sei es denn. – Vaelundar?“

      Der Schmied nahm einen Gegenstand aus dem Feuer der Esse. Prüfend musterte er die nach Art eines Dolchs geformte, jetzt dunkelrot glühende Klinge, die Brygida ihm auf Yldruns Geheiß kurz zuvor überbracht hatte.

      „Noch nicht ganz, Yldrun.“

      „Will mir jemand erklären, was hier gespielt wird?“ knurrte Lyghdar ungehalten, als Vaelundar die Klinge wieder in die Esse legte und sich anschickte, das Feuer aufzufachen.

      „Vor vielen Jahren“, ließ Yldrun nach kurzem Schweigen verlauten, „als ich noch eine Gehilfin Yghias war, unternahm Bryannar jenen Feldzug gegen die Masgadhrim, von dem er selbst nicht mehr lebend zurückkam. Aber außer Bryannars Leichnam führte das vandrische Heer auch eine ansehnliche Schar Gefangener mit ins Winterquartier. Einer von ihnen war der alte Xailyppo. Als Yghia von seinen Heilkenntnissen erfuhr, für die er unter den Masgadhrim berühmt war, kaufte sie ihn in ihren Dienst. Nun befand sich unter den wenigen Dingen, die er mit sich führte, ein Werkzeug, das er – und nur er! – zum Stillen des Blutes zu verwenden wußte; in dieser Kunst unterwies er Yghia, und von ihr habe ich selbst sie gelernt. Jenes....“

      „Yldrun!“

      Die Angesprochene drehte sich um. Zwischen Vaelundars Gesicht und dem ihren ragte das Messer auf, dessen Griff der Schmied mit der rechten Faust umklammert hielt. Er hatte den ledernen Schutz jetzt aufgeklappt, und in beiden Augen spiegelte sich metallene Glut, rot wie die eisige Sonne an einem klaren Morgen im Mittwinter.

      „Warte noch ein klein wenig....“

      Vorsichtig nahm die Heilerin das Messer aus Vaelundars Hand. Bei näherem Hinsehen wäre erkennbar gewesen, daß sich eine eingravierte Schlange um den beinernen Griff wand.

      „Diese Klinge, Lyghdar: weißt du, wie viele deiner Krieger sie schon von Khwéals Schwelle zurückgeholt hat?“

      Mit steifer Miene bestaunte der Lugdhir das glühende Eisen.

      „Vor Urzeiten“, fuhr Yldrun fort, „wurde sie von Aegnis gefertigt, den die Masgadhrim als Gott der Schmiedekunst verehren. Als sein Geschenk kam sie herab auf die ersten Heilkundigen unter den Menschen; Xailyppo hatte sie einst aus der Hand seines Meisters empfangen, und der wiederum von dem seinen, und der von seinem eigenen.... bis zurück in die Zeit, als ein großer Zwist die Götter gegeneinander aufbrachte. – So versicherte es uns Xailyppo auf dem Sterbelager.“

      „Jetzt“, raunte Vaelundar, der keine Sekunde den Blick von der mählich ausglühenden Klinge abgewandt hatte. „Yldrun, rasch!“

      „Aber nicht nur zum Stillen des Blutes ist sie geeignet.“

      Blankes Entsetzen malte sich in Aedhwyns Gesicht, als die Heilerin das immer noch glühende Eisen unmittelbar über seine Hüftwunde hielt.

      „Seid Ihr bereit, Aedhwyn, König der Bhyandrim?“

      Statt einer Antwort weitete der so Gewarnte noch mehr die Augen, die jetzt starr auf das Messer gerichtet waren, und spannte sämtliche Glieder an. Als wäre er bereits genesen, schien auf einmal alle Schwäche dahin.

      „Ich werde bis fünf zählen.“ Und den Blick fest auf Mraeghdar gerichtet, fügte die Heilerin an: „Ihr haltet ihn nieder. Gemeinsam. Und mit aller Kraft!“

      Aedhwyn genas von seiner Verletzung, wenn auch bei weitem nicht so schnell wie Yldrun es sich erhofft hatte. Nach dem Ausbrennen der Wunde hielt das Fieber an und erhöhte sich auch erwartungsgemäß während der folgenden Tage und Nächte; sooft sie an Aedhwyns Lager trat, fand Yldrun seinen vom Wachen erschöpften Leibsklaven mit einem durchnässten Schweißtuch auf dem Schoß neben ihm sitzen. Zu ihrer Befriedigung nahm die Vereiterung jedoch einen gesunden Verlauf, und der befürchtete Wundbrand blieb aus.

      Bei allen Besuchen war sie peinlich darauf bedacht, Dhréadyn nicht zu begegnen. Und wiewohl sie wußte, daß dies früher oder später nicht zu vermeiden sein würde – oder auch gerade deswegen – fuhr ihr der Schrecken durch alle Glieder, als der zu Recht angesehenste unter den bhyandrischen Heilkundigen einmal unerwartet hinter ihr im Halbdunkel von Aedhwyns Zelt stand. Der zuckende Widerschein des Kohlebeckens machte seine gefurchten Züge mit den selbst durch den Bart hindurch erkennbaren, abwärts gezogenen Mundwinkeln nicht gerade angenehmer, und Yldrun war froh, dem Raubvogelblick nicht länger standhalten zu müssen, als sie zum Verlassen des Zelts brauchte. Dhréadyn wich keinen Schritt zur Seite, so daß sie gezwungen war, einen kleinen Bogen um ihn zu machen. Das behagte ihr ganz und gar nicht. Wäre die Begegnung weniger überraschend verlaufen, hätte sie sich zweifellos behauptet, und ihr Rival und Standesgenosse hätte den Weg freimachen müssen. So aber war sie es, die das Feld räumte; sie tat es mit dem Gefühl, Dhréadyns kleine, mißgünstige Augen stächen ihr wie beodrische Pfeilspitzen in den Rücken.

      Der Heilprozeß verlief unterdessen langsam, zu langsam, nach Yldruns Empfinden. Einfluß hatte sie jedoch keinen mehr darauf, denn die Pflege des Königs oblag allein seinem Leibarzt, der jetzt umso eifersüchtiger über seinen schon einmal verletzten Zuständigkeitsbereich wachte. Sie beschränkte sich auf ihre täglichen, oder fast täglichen Besuche, und dieses Recht wagte ihr Dhréadyn nicht streitig zu machen, jedenfalls nicht offen. Und sie mußte noch nicht einmal den Verband öffnen, um sich über den Verlauf der Heilung ein Bild zu machen: es genügte ihr, daran zu riechen und sich von Khadmyr, der bei jedem neuen Aufstrich des Pflasters zugegen war, die fortschreitende Vernarbung nach bestem Vermögen beschreiben zu lassen.

      Es war wenige Tage vor der Sonnwende, als Aedhwyn – entgegen Dhréadyns wie auch Yldruns mehrfachen Rat – zum ersten Mal, und in voller Montur, das Lager verließ. Nicht, daß er auch nur annähernd kampftüchtig gewesen wäre; die Ausfahrt unternahm der eigensinnige Alte aus reinem Überdruß, und seiner Gewohnheit entsprechend natürlich ohne Leibgarde oder sonstige Begleitung, abgesehen von Hwyldur, seinem Wagenlenker.

      Aber um seine Wehrhaftigkeit wäre ja gar niemand besorgt gewesen. Seit jener Schlacht nämlich, bei der Aedhwyn die häßliche Pfeilwunde davongetragen hatte, war es zu keinem wenn auch noch so unbedeutenden Scharmützel mit den Kydhrimar mehr gekommen. Geschweige denn, daß der Feind sich nur auf Sichtweite dem vandrischen Lagerbereich genähert hätte. Die Kundschafter, die Mraeghdar ausschwärmen ließ, zogen immer weitere Kreise, wagten sich immer tiefer in die kydhrische Steppe vor. Bis zu drei Tagesreisen legten die Berittenen schließlich zurück, unter der Führung von Askailandro, einem noch jungen yildrischen Lanzenträger, der lange unter Kerothys' Befehl gestanden hatte, nach dessen Tod aber aufgerückt war und nun einen gleichwertigen Rang einnahm; allein, von den yildrischen und beodrischen Verbänden, die das vandrische Heer vor kaum einem Monat so erfolgreich abgewehrt hatte, fanden sie keine Spur mehr. Mit drei Tagesritten war hingegen eine Ausdehnung erreicht, deren Überschreitung auf mehr oder minder befestigtes kydhrisches Gebiet geführt hätte. Und ein solches Unterfangen konnte nicht ohne einen gewissen Truppenaufwand stattfinden.

      So rätselhaft das urplötzliche Verschwinden der Kydhrimar ausgerechnet zu Beginn des Kriegsjahres war, so unterschiedlich gingen die drei vandrischen