Der Gott des Zwielichts. Joachim Kurtz

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Название Der Gott des Zwielichts
Автор произведения Joachim Kurtz
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754187104



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Das Feuer kroch an seinen Beinkleidern hinauf. Die Höhlen vermochten kaum mehr das Weiß seiner Augen zu halten, das die Pupillen von allen Seiten umschloß, und sein Mund überdehnte die Gesichtszüge zum dämonenhaften Spottbild eines Lachenden. Dabei weinte er wie ein Kind. Ein entsetzlicher Geruch erfüllte die Luft; Lyghdar hielt sich mit gespielter Empörung die Nase zu, und Khadmyr kniete kreidebleich vor dem Zelt auf dem Boden und übergab sich. Mraeghdar kehrte dem jungen Sklaven den Rücken zu und wartete mit vor der Brust verschränkten Armen.

      Und dann geschah es. Genau wie er erwartet hatte.

      Die schrille Stimme des dem Feuertod nahen Beodhir gab einem Röcheln statt, als der Pfeil sein Herz durchbohrte und seitlich wieder aus dem Brustkorb trat. Sein Blick aus weit aufgerissenen Augen drückte so etwas wie Überraschung aus, ungläubig starrte er auf den schräg aus seiner Brust ragenden, gefiederten Schaft; dann bäumte sich der mit angewinkelten Armen am Querbalken hängende Körper noch ein letztes Mal auf und sackte leblos und mit auf die Brust gesunkenem Kinn in sich zusammen.

      Mraeghdar befahl das Feuer endgültig zu löschen und sandte einen Soldaten nach Yldrun aus. Lyghdar hatte sich derweil von seinem Sitz erhoben und war zu ihm getreten. Stutzig geworden, prüfte er mit zusammengekniffenen Augen die mutmaßliche Flugbahn des Pfeils, die knapp am vorderen Zeltpfosten vorbei gegangen sein mußte. Dann blickte er den beiden Soldaten entgegen, die den gänzlich erschöpften, erneut bewußtlos gewordenen Schützen an den Füßen hinter sich her schleifend den Hügel heraufkamen.

      „Wie weit....“

      „Dreihundert Schritte. Abgemessen von mir selbst. Du wirst bemerkt haben daß der Schuß....“

      Ein überraschter Ausruf Khadmyrs ließ die beiden Könige alarmiert herumfahren.

      Aedhwyns Oberkörper hing über den Tisch gebeugt und sein Gesicht lag seitlich im Teller. Der Leibsklave hatte ihn bereits in die Sitzhaltung zurückgeholt, als sie hinzugeeilt waren. Mraeghdar schob polternd Speisen und Geschirr beiseite. Dann nahm er Aedhwyn bei den Schultern; Lyghdar packte ihn an den Füßen, und gemeinsam wuchteten sie den bhyandrischen Herrscher auf die Tischplatte, wo er rücklings zu liegen kam. Aus seiner Ohnmacht schien er vorerst nicht zu erwachen, auch nicht als Khadmyr seinen Überwurf abnahm, ihn in mehrere Schichten zusammenlegte und seinem Herrn als Kissen unter den Nacken schob.

      „Wo bleibt Yldrun?“ donnerte der Großkönig in Richtung einiger tatenlos herumstehender Soldaten. „Die Heilerin! In Khwéals neunmal verfluchtem Namen, muß ich euch Beine machen?! Schafft mir Yldrun herbei, aber schnell!“

      Die Soldaten machten sich davon, als wäre der Totengott selbst hinter ihnen her. Mraeghdar riß einem in der Nähe verbliebenen Krieger höheren Ranges den wollenen Umhang von den Schultern und warf ihn dem immer noch besinnungslos im nassen Gras liegenden beodrischen Schützen über.

      „Was hast du vor mit ihm?“ fragte Lyghdar, nicht ohne einen abfälligen Seitenblick.

      „Was würdest du tun, nach allem was du gesehen hast?“

      Lyghdars Gesichtsausdruck war zu entnehmen, daß kein Vorschlag von ihm zu erwarten war. Mraeghdars graue Augen verengten sich leicht.

      „Gestern morgen“, sinnierte er, „gestern vor der Schlacht machtest du mir zum ich weiß nicht wievielten Mal zum Vorwurf, wie deine Männer damals in einen beodrischen Hinterhalt gerieten....“

      „Vergiß nicht, unter wessen Führung.“

      „....und welchen Schaden sie dabei erlitten. Schön. Hier hast du einen weiteren Beweis für die Schlagkraft der Bogenschützen. Laß einen von ihnen die ganze Nacht bei Kälte, Wind und Regen halbnackt am Schandpfahl hängen; dann gib ihm die Möglichkeit, durch einen einzigen Schuß selbst dem Feuertod zu entrinnen und zugleich seinen Stammesbruder von der Marter zu erlösen, und entkräftet wie er ist, verfehlt er sein Ziel auf dreihundert Schritte Entfernung nicht.“ Mraeghdar schwieg einen Augenblick, ehe er fortfuhr: „Mit solchen Feinden haben wir es bei den Beodhrim zu tun. Ihre Scharen werden immer zahlreicher, ihre Pfeilspitzen immer tödlicher. Sag mir, Lyghdar, König der Lugdhrim: was haben wir ihnen auf lange Sicht entgegenzusetzen?“

      Und da die Antwort ausblieb, ganz gemäß seiner Erwartung, erteilte der Großkönig sie selbst:

      „Ihre eigenen Waffen.“

      Lyghdar brummte etwas unverständliches, während er sich abwandte und zurück unter das Zeltdach begab.

      Da endlich hörte Mraeghdar hinter sich die vertraute Stimme:

      „Du hast mich rufen lassen, Großkönig?“

      Gemessenen Schrittes kam sie den Hang herab, Yldrun, in Begleitung zweier junger Schülerinnen, von denen jede ein mit Utensilien und Arzneimitteln gefülltes Tuch zum Umhängen an der Hüfte trug. Die korpulente Frau mit dem graumelierten Haar und den wasserfarbenen Augen wogte ohne Umschweife dem Tisch zu, auf dem Aedhwyn ausgestreckt lag. Mraeghdar schnitt ihr überraschend den Weg ab.

      „Ehe du dich des Königs annimmst: siehst du den Kydhmar da am Boden liegen? Ich brauche ihn, und ohne deinen Beistand krepiert er womöglich. Du bürgst mir mit deinem Leben für ihn, hörst du?!“

      „Ich werde tun was ich kann“, erwiderte Yldrun unbeeindruckt. „Laß ihn in mein Zelt bringen und beordere zwei Wachen ab. Und einen kydhrischen Dolmetscher. Und.... ah, Kalyomelas, dich suchte ich. Dein Bruder ist tot. Mögen die Geister seiner Ahnen ihn sicher hinabgeleiten. Seine letzten Atemzüge tat er unter meiner Obhut, ich komme geradewegs aus seinem Zelt. – So, und jetzt zu Aedhwyn. Seine Gesichtsfarbe verrät mir nichts Gutes....“

      Sie beugte sich über den König und versuchte, ihn mit mehreren leichten Wangenschlägen zu sich zu bringen. Als dies nicht gelang, zog sie mit Daumen und Zeigefinger nacheinander die Lider beider Augen auseinander und blickte prüfend darunter. Dann begann sie, vom Bauch an aufwärts, das lederne Wams zu öffnen.

      „Helft mir mit dem Verband“, befahl sie ihren beiden Begleiterinnen. Diese entledigten sich augenblicklich ihrer Traglast und gingen ihrer Lehrmeisterin zur Hand, indem sie den regungslos daliegenden Körper sachte anhoben oder zur Seite drehten. Mehrmals blinzelte Aedhwyn und ließ ein mühsam hervorgebrachtes Stammeln vernehmen, kam jedoch nicht ganz zu Bewußtsein.

      Mit wenigen, geschickten Handgriffen waren die Bandagen schließlich gelöst; als Yldrun das Pflaster entfernte und die darunterliegende Wunde sah, sog sie mit einem zischenden Geräusch Luft durch die Zähne ein.

      „Kundra, rasch: zwei Sklaven mit einer Tragbahre! Brygida, bring dieses Messer zu Vaelundar, er weiß, was er zu tun hat....“ Die Heilerin klatschte energisch in die Hände. „Beeilt euch!“

      „Vaelundar?“ Lyghdar schien ehrlich verblüfft. „Der Feldschmied?“

      „Der beste von allen“, ließ Yldrun verlauten. „Bei ihm lernte Irmwyn das Handwerk. Sein Geschick würde selbst Gnidhr neidisch machen. Frag Mraeghdar.“

      „Irmwyn ist unübertrefflich“, bestätigte der Großkönig, „aber nur weil sein alter Meister darauf beharrt, sein Leben mit den Kriegern zu teilen. Unterhielte Vaelundar eine Werkstatt in Kadhlynaegh, stünde Irmwyn noch immer in seinem Schatten.“

      „Und wie kann ein Schmied....“

      „....einer Heilerin nützlich sein?“ Furchtlos hielt Yldrun Lyghdars funkelndem Blick stand. Sie genoß es, ihre auf Ansehen beruhende Macht vor den Königen auszuspielen. Keiner von ihnen, noch nicht einmal Mraeghdar, würde es wagen, Hand an sie zu legen, wie oft sie ihnen auch ins Wort fiel oder sie gar zurechtwies. „Komm mit vor Vaelundars Esse, und sieh selbst. Deine starken Arme und zupackenden Hände sind ebenfalls willkommen.“

      Selbst das schluckte Lyghdar. Schweigsam folgte er, mit düsterer Miene und angespannten Kiefermuskeln; aber er folgte.

      So standen sie kurz darauf in Vaelundars Feldwerkstatt um Aedhwyn herum, der auf einem niedrigen, robusten Holztisch aufgebahrt lag: der Großkönig an der rechten, Lyghdar an der linken Schulter, Hraedlin und Hwyrdun in Kniehöhe; Gwynnar und Khadmyr hielten sich am Fußende bereit. Aedhwyn war mittlerweile