Rache: Blendwerk II. Adam Wutkowski

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Название Rache: Blendwerk II
Автор произведения Adam Wutkowski
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783753181431



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      «Von deinem Vater? Leider Nein!.», entgegnete der Stammesführer knapp.

      «Na gut.», sagte Jamie schließlich und wandte sich an die Versammelten. «Wenn es sonst nichts Wichtiges zu besprechen gibt, würde ich gern die verbliebene Zeit nutzen, um sie mit meiner Familie zu verbringen, bevor ich sie für einen ungewissen Zeitraum verlasse.»

      «Dein Ansinnen ist nur verständlich. Geh und genieße die Zeit, die dir verbleibt.», beendete dieser offiziell die Versammlung mit einem verständnisvollen Lächeln.

      Zufrieden erhob sich Jamie auf seine Füße und trabte zwischen den Zelten hindurch, zu dem Zelt, welches seinen Angehörigen zugewiesen wurde.

      «Wirst du zurechtkommen?», richtete Jamie die Frage an seine Mutter, als er neben ihr zum Stehen kam.

      Freya wandte sich ihrem Sohn zu und blickte diesen lächelnd an. «Um mich und den kleinen Ian musst du dir keine Sorgen machen. Sieh! Er tollt bereits mit den anderen Kindern des freien Volkes umher.»

      «Das tue ich auch nicht. Aber wie ist es mit Lena?»

      «Keine Sorge. Ihr Ärger wird schon bald verflogen sein. Dann wird sie sich an die Umgebung und die Menschen anpassen.»

      «Ich bin da nicht so optimistisch. Zumal sie mehr von mir hat, als mir das lieb ist.»

      Mit einem Lächeln musterte Freya Jamie. Und dann trat sie einen Schritt vor und umarmte ihren Sohn. Für einen Moment fiel die Anspannung von Jamie ab. Seine trüben Gedanken und Ängste lösten sich wie ein unsichtbarer Schleier und verschwanden. Plötzlich konnte er sogar das Rauschen des Meeres im Hintergrund wahrnehmen. Ruhe und Zufriedenheit begann sich in ihm auszubreiten. Genauso wie damals, bevor der Konflikt ihn und seine Familie in einen reißenden Strudel zog. Auf einmal manifestierte sich die Silhouette seines Vaters vor seinem inneren Auge und begann ihn anzulächeln. Tränen begannen sich schließlich ihren Weg in die äußere Welt zu bahnen und den Kummer um das Verlorene mit sich zu tragen.

      «Geht es dir gut mein Sohn?», fragte Freya einen Moment später, eine Träne mit dem Daumen von Jamies Gesicht wegwischend.

      «Ja.», bedeutete Jamie seiner Mutter in einem Ton, in dem Bedauern steckte. «Es ist nur so, dass ich immer wieder an die Zeit zurückdenken muss, als ich mit Vater im Streit lag. Heute würde ich so einiges dafür geben, nur noch einen Moment mit ihm und euch allen, einen einzigen Tag auf unseren Hof verbringen zu können.»

      «Jamie. Es hilf dir nichts, dem nachzutrauern, was nicht mehr ist. Weißt du Jamie an wen du mich im Moment erinnerst?», stellte sie die Frage ohne eine Antwort zu verlangen. «An deinen Vater. Damals, als ich ihn aufgelesen habe. Er war so mit der Vergangenheit und damit, dass er an seinen eigenen Vorstellungen von sich selbst und der Welt gescheitert ist, beschäftigt, dass er für nichts mehr offen war. Jamie! Wir sind so, wie wir sind. Fehlerhaft, naiv, überheblich und ein stückweit dumm. Wir können nicht ändern was war. Aber wir können versuchen zu ändern was kommt. Darauf musst du dich konzentrieren. Alles andere musst du lernen loszulassen.»

      «Ich kann nicht.», zischte Jamie zwischen zusammengepressten Zähnen hervor und senkte langsam niedergeschlagen den Kopf herunter.

      Freyas Reaktion kam völlig unerwartet und erwischte Jamie unvorbereitet. Aber die Ohrfeige verfehlte nicht ihre Wirkung.

      Erschrocken blickte Jamie seine Mutter an und wusste zuerst nicht, was er sagen sollte.

      Doch schon im nächsten Augenblick übernahm Freya das Wort: «Jamie, du kannst dich selbst hassen, quälen oder anderweitig bestrafen. Aber eins lass dir gesagt sein. Dein Vater hat nicht für dich und alle anderen sein Leben geopfert, damit man dem, was war, nachtrauert, sondern um dir und all den anderen eine Zukunft zu schenken. Also reiß dich endlich zusammen und sei der Mann der du bist. Schließlich bist du nicht der einzige der etwas verloren hat. Aber du fragst nicht einmal, wie es den anderen geht oder?», stellte Freya bekümmert fest und blickte ihren Sohn herausfordernd an.

      Jamie wusste zuerst nicht, was er sagen sollte. Doch dann nahm er die Bedeutung der Worte wahr. Plötzlich begann er Scham zu empfinden. Scham darüber, dass er völlig ausgeblendet hat, dass ebenfalls andere einen Vater oder Ehemann verloren haben. In diesem Moment spürte Jamie Wut in sich aufsteigen. Wut über seine Kurzsichtigkeit. Er wollte am liebsten laut aufschreien und all der Wut und was ihn sonst noch bedrückte freien Lauf zu lassen. Doch dann spürte er zwei sanfte Hände an sich, die ihn zu sich zogen und ihn festhielten.

      «Es ist nicht deine Schuld Jamie. Dein Vater hat am Ende selbst entschieden, so zu handeln wie er gehandelt hat. Nicht du. Er hätte auch den Kampf zwischen den beiden Armeen entfesseln können. Doch ihm war das Leben so viel wert, dass er bereit war vieles dafür zu tun, um es zu bewahren. Und du weißt jetzt nach dieser Erfahrung wie wertvoll das Leben ist. Was es bedeutet, wenn eines dieser Leben plötzlich nicht mehr da ist. Also nutze diese Erfahrung für dich, für all die Männer, die du die Tage und Wochen anführen wirst. Verstanden!»

      Langsam bewegte Jamie seinen Kopf vor und zurück.

      «Da ist noch eine Sache, die ich dir jetzt schon mit auf den Weg geben möchte. Ich habe es damals auch deinem Vater gesagt. Wenn du jeden Morgen aufstehst und du das Gefühl hast, dass das Leben einen faden Beigeschmack hat, dann steh auf, stell dich hin und sag zu dir selbst: „Neuer Tag, neues Glück“. Denn schließlich atmest du noch und kannst deine Welt mit deinem Handeln beeinflussen. »

      Der Tag des Aufbruchs kam schneller als erwartet. Am frühen Morgen des folgenden Tages wurde Jamie von Geräuschen geweckt. Langsam und von Müdigkeit erfüllt, stand Jamie auf und verließ das Zelt seiner Mutter und Schwester sowie seines Neffens. Die Sonne war gerade dabei im Osten aufzugehen. Der Himmel am Horizont war in einen roten Schleier gehüllt. Jamie blickte auf das Meer und das Panorama und fühlte sich an die Worte seiner Mutter erinnert. Er kam sich albern vor. Doch ohne weiter darüber nachzudenken sagte er schließlich die Worte: «Neuer Tag, neues Glück.»

      «Es ist an der Zeit Jamie», begrüßte Brutus sein gegenüber mit einem Lächeln und legte diesem freundschaftlich eine Hand auf die Schulter.

      Schweren Herzens löste sich Jamies Blick von dem Naturschauspiel. «Komm! Das wird ein langer Tag mein Freund.»

      In den nächsten Minuten wandelte sich die schlafende Zeltstadt in ein Gewirr aus Leibern und Stimmen. Überall liefen Frauen und Männer herum, verstauten die letzten Vorräte in ihren Satteltaschen oder verabschiedeten sich von ihren Angehörigen. Hier und da liefen die Kinder mit ihren Holzschwertern zwischen den Menschen herum und spielten ihren eigenen Feldzug nach. Als schließlich alle Anzeichen auf Aufbruch deuteten, trat Jamie ein letztes Mal an seine Mutter und Klein-Ian zu.

      «Mutter, ich werde…», begann dieser und wurde von seiner Mutter unterbrochen.

      «Bitte. Keine Versprechen. Denk einfach an das, was ich dir gesagt habe.»

      «Ja, Mutter. Ich werde mich bemühen.», versicherte Jamie und blickte sich um. «Wo ist Lena?»

      Auf seine Frage hin begann seine Mutter zu lächeln. Aber genauso schnell wie das Lächeln kam, verschwand es und Tränen begannen sich aus ihren Augenlidern zu lösen.

      «Sie ist wirklich meine Schwester. Aber keine Sorge. Ich werde auf sie aufpassen.», versuchte Jamie seine Mutter zu trösten und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn. Schließlich entließ er sie aus seiner Umarmung und hob für einen kurzen Moment seinen Neffen hoch und blickte ihm in die Augen. Er ließ Klein-Ian langsam herunter, dann stieg Jamie auf sein Pferd und ließ seinen Blick entlang der versammelten Gesichter schweifen. Schließlich traf sein Blick auf Gul-Marak und wie zur Bestätigung nickte Jamie.

      Daraufhin übernahm Gul-Marak die Führung des Zuges und trieb die Männer unter den Rufen der Zurückbleibenden fort von dem Zeltlager in Richtung der Berge im Süden. Es dauerte fast eine halbe Stunde bis der letzte Mann die Ebene verließ und sich dem Zug anschloss. Aber nun waren sie endlich auf dem Weg in eine unbestimmte Zukunft.

      Ihr Weg führte sie über Wiesen, vorbei an einem Fluss, entlang vereinzelter Bäume bis sie schließlich die Ausläufer der Berge erreichten. Gul-Marak