Das Mysterium der Wölfe. Anna Brocks

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Название Das Mysterium der Wölfe
Автор произведения Anna Brocks
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783754954881



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um beleidigend zu werden, aber das ist mir momentan völlig egal. Es regt mich so dermaßen auf, dass sie sich auch noch damit brüsten, unfair gekämpft zu haben.

      Eine weitere Stimme hallt von weiter hinten hervor: „Ist doch egal, wie wir es angestellt haben! Ein Sieg ist ein Sieg! Das Ergebnis bleibt gleich!“

      Ich lache bitter: „Eigentlich amüsant, wie wenig ihr von Ehre versteht. Selbst ich besitze mehr davon und ich bin immerhin eine Schattenwölfin. Hat euch euer Anführer noch nie etwas von wahrem Stolz erzählt?“ Sie schweigen. „Wo ist Leader eigentlich? Hat sich der Feigling im Eifer des Gefechts verkrochen?“

      Ein großer Wolf wendet sich an die Gruppe: „Hört nicht auf sie. Wir warten hier, bis Leader zurück ist. Er wird erfreut sein zu sehen, dass die anderen nicht mehr benötigt werden.“ Die anderen? Scheint so, als wäre er losgelaufen, um Verstärkung zu holen. Das ändert die Lage erneut. Eigentlich habe ich darauf gehofft, mich noch einmal losreißen zu können, aber das wird nun schwierig. Allein komme ich da nicht mehr raus, so viel steht fest.

      Nun muss ich wohl verhandeln: „Könntet ihr nicht wenigstens eurer kleinen Freundin sagen, dass sie aufhören soll, ihre Zähne in meine Wunde zu drücken? Die Schmerzen stören mich zwar wenig, aber je länger sie das tut, desto schlechter wird die Verletzung heilen.“

      Der große Wolf wirkt überrascht: „Und warum sollten wir das tun? Es kann uns doch wohl egal sein, wenn du dein Bein verlierst! Im Gegenteil, das ist sogar besser für uns!“ Diese Antwort habe ich schon erwartet. Eine Schwachstelle des Rudels habe ich nun entdeckt. Sie sind berechenbar.

      Also nutze ich das zu meinem Vorteil: „Glaubst du wirklich, dass euer Anführer froh darüber sein wird, wie ihr mich hier behandelt? Ihr habt das Gespräch vorhin doch alle mitverfolgt, oder etwa nicht? Leader will mich in eurem Rudel haben, schon vergessen?“ Er antwortet nicht darauf. Die übrigen Wölfe flüstern untereinander. Hoffentlich fällen sie schnell eine Entscheidung. Mir bleibt nicht mehr viel Zeit, um zu verschwinden. Wer weiß, wie viele Wölfe Leader noch mit sich bringt?

      Wieder übernimmt der Große die Antwort: „Gut, lass sie los, Silent.“ Leader hat das mit der Namensgebung seines Rudels doch tatsächlich ernst gemeint. Was für ein Schwachsinn. Endlich lässt die kleine Wölfin mein Bein los und ich atme erleichtert auf. Der Schmerz ist zwar noch immer heftig, aber besser als zuvor ist es allemal. Gut, nun muss ich noch einmal all meine Kräfte sammeln. Das ist meine letzte Chance, um von hier wegzukommen.

      „Ah! Hilfe!“ Was war das? „Wir werden angegriffen!“ Das kam von weiter hinten.

      „Was zum Teufel?“ Plötzlich wird der große Wolf, der vor mir steht, in hohem Bogen weggeschleudert. Alles geht rasend schnell. Ich konnte nicht einmal erkennen, wie das Ganze von statten ging. Dann spüre ich, wie der Wolf, der mich am Nacken hält, von mir gerissen wird. Ich reagiere sofort und springe auf, als mein linkes Bein erneut nachgibt.

      „Du musst dich in einen Menschen verwandeln, schnell!“ Eine unbekannte Stimme tönt hinter mir hervor. Ehe ich mich umdrehen kann, springt eine weiße Silhouette über mich hinweg und stellt sich schützend vor mich. Das Rudel ist noch völlig gebannt und reagiert nicht. Der weiße Wolf dreht sich noch einmal um. „Tu, was ich dir sage, sonst bist du geliefert!“ Kenne ich ihn? Er sieht so vertraut aus. Seine Größe, seine Statur, all das erinnert mich an jemanden. Nein, das kann gar nicht sein! „Bist du taub?“ In diesem Moment greift ihn der erste Wolf an. Die anderen sehen nur tatenlos zu. Der weiße Wolf wehrt sich und kann ihn geschickt von sich werfen.

      Verwirrt rufe ich ihm zu: „Was soll das bringen? Ich verwandle mich doch jetzt nicht wieder in meine menschliche Gestalt! Das wäre Selbstmord!“

      „Vertrau mir einfach!“ Einem Fremden einfach so vertrauen? Das klingt nicht sehr klug. „Wenn du leben willst, hör auf mich!“ Es folgt erneut ein Angriff, diesmal sind sie zu zweit. Wieder packt er zuerst den einen und wirft ihn gegen den anderen. Er legt noch ein paar heftige Schläge mit seinen Klauen nach. „Wird’s bald? Na los!“ Der Wolf scheint mir nichts Böses zu wollen. Außerdem habe ich keine andere Wahl. Gut, ich befolge seinen Rat.

      Wieder in einen Menschen verwandelt, hocke ich nun am Boden: „Gut, ich habe getan, was du gesagt hast! Was nun?“ Er kann mir nicht antworten, da ihn ein großer Wolf gerade zu Boden geworfen hat und sich auf ihn stürzt. „Komm schon! Sag mir, wie ich dir helfen kann!“ Plötzlich drückt er den Wolf von sich und springt auf. Er dreht sich um und stürmt in meine Richtung. Binnen Sekunden senkt er seinen Kopf, packt mich am rechten Arm, beißt zu und reißt mich in die Luft. Gekonnt fängt er mich auf, sodass ich auf seinem Rücken lande.

      „Festhalten!“ Instinktiv folge ich seiner Anweisung und kralle meine Finger in das dichte, weiße Fell. Dann läuft er los und hetzt die Straße runter. Die anderen nehmen die Verfolgung auf, aber der Kerl ist verdammt schnell. Ich mache mich klein und drücke mich fest an seinen Körper. Wenn er das Tempo beibehält, gelingt die Flucht mit Sicherheit.

      Was für ein Tag. Ich habe mit so einigem gerechnet, als ich die Stadt betreten habe, aber das überstieg meine kühnsten Vorstellungen. Wäre mir dieser fremde Wolf nicht zur Hilfe geeilt, hätte das Ganze schlecht für mich enden können. Das alles war wohl ein glücklicher Zufall, falls es tatsächlich einer war. Ich habe einige Fragen an den mysteriösen Unbekannten. Sobald er zurück ist, werde ich sie ihm stellen.

      Momentan hocke ich auf einem durchgelegenen Bett in einem dunklen Zimmer. Die Fenster sind mit Holzbrettern zugenagelt und es kommen nur wenige Lichtstrahlen in den Raum. Der weiße Wolf hat mir versichert, dass uns die anderen hier nicht finden werden. Hoffentlich irrt er sich da nicht.

      Die provisorische Dusche, die ich gerade hatte, tat wirklich gut. Es gibt hier zwar weder fließend Wasser noch Strom, aber es ging trotzdem. Der Unbekannte hat mir das Bad gezeigt, in dem sich ein riesiger Wassertank befindet. Mit Eimer, Schwamm und Bürste konnte ich dann endlich den Dreck der letzten Wochen abwaschen und meine Wunden reinigen. Danach waren meine Klamotten an der Reihe, die nun im Bad zum Trocknen hängen. So sitze ich also frisch gewaschen und in ein großes Tuch gewickelt auf dem Bett und warte auf die Rückkehr des Wolfes, der gesagt hat, dass er noch etwas erledigen müsse.

      Mittlerweile bin ich mir sicher, dass ich ihn noch nie gesehen habe. Ich muss zugeben, dass ich im ersten Moment schockiert war. Ein weißer Wolf eilt mir zur Hilfe. Was in dieser Situation mein erster Gedanke war, ist ja wohl ziemlich offensichtlich. Ich habe schon lange nicht mehr an Jake gedacht, aber nun?

      Plötzlich geht die Tür auf und ein großer, schlanker Mann tritt in den Raum. Er schließt die Tür hinter sich. Ich bleibe starr auf dem Bett sitzen und warte auf eine Reaktion. Als er mich überrascht ansieht, erschrecke ich. Ist das vielleicht jemand anderes?

      „Tut mir leid, ich wusste nicht, dass du nichts anhast.“ Er wendet sich ab. Na schön, es ist doch der weiße Wolf von vorhin. Ich erkenne ihn an seiner Stimme. So sieht er also als Mensch aus. Groß und schlank, hellbraune Haare, grüne Augen. Mit den zerrissenen Jeans, dem schwarzen Hemd und den ebenso schwarzen Lederstiefeln hat er etwas von einem Helden aus einem Wildwestfilm. Dieses Bild muss ich mir merken, um zukünftigen Missverständnissen aus dem Weg zu gehen.

      Ich ziehe das Tuch etwas fester um meinen Körper: „Keine Sorge, ich bin ja nicht völlig nackt. Du kannst die Augen ruhig wieder aufmachen.“ Etwas zögerlich folgt er meiner Anweisung. Dann bemerke ich den Rucksack, den er in der rechten Hand hält und deute darauf. „Was ist das?“

      Er kommt zu mir und stellt ihn aufs Bett: „Ich war unterwegs, um meine Spuren zu verwischen und ein paar neue zu machen, die das Rudel in die Irre führen sollen. Dabei habe ich etwas zum Versorgen deiner Wunden geholt.“ Schnell entfernt er sich von mir und setzt sich auf einen Stuhl an der Wand. Er wirkt noch etwas unsicher mir gegenüber. Kein Wunder, schließlich hat er mich vermutlich eine Zeit lang beobachtet, bevor er mir geholfen hat.

      „Danke.“ Ich öffne den Rucksack und schaue mir dessen Inhalt an. Darin befinden sich Verbandszeug, Desinfektionssalben und mehrere Pflaster. „Wo hast du all das her? Diese Stadt sieht nicht gerade so aus, als könnte man das mal schnell um die Ecke in einem Laden kaufen.“