Mannesstolz. Georg von Rotthausen

Читать онлайн.
Название Mannesstolz
Автор произведения Georg von Rotthausen
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783741805707



Скачать книгу

Und wenn Jugendliche einen Arbeitsplatz suchen oder erst einmal eine Lehrstelle brauchen, da ist sie zur Stelle und hilft. Hin und wieder müssen gleichaltrige Einheimische, mit denen sie zur Schule ging und sie gut kennen, sie ein wenig einnorden, aber das gehört zum menschlichen Miteinander dazu. Man ist ja im Dorf, man kennt sich. Aber bei der Straßenumlage, da wird sie zum Tier, langt gnadenlos zu. Da kann es schon mal sein, daß sie Hausbesitzern sagt, sie sollen halt verkaufen, wenn sie es sich nicht leisten können. Sie hängt sich wirklich ’rein, ist ständig auf Achse im Dienst an der Gemeinde, obwohl sie „nur” eine Ehrenamtliche mit Aufwandsentschädigung ist. Da beneidet sie schon ihren Kollegen in Grömitz, der rund 7.700 Einwohner verwaltet und ein fixes Gehalt bezieht. Und dann erst die lieben Beamten im Landratsamt, die alles besser wissen − mit Gehalt. Aber sie ist überall präsent, stellt ihre Plakate nicht nur zur Wahl auf. Aufmerksame Gäste, die Einheimischen sehen das schon gar nicht mehr, finden vor vielen Häusern ihren Namen auf kleinen Schildern. Man kann nämlich Ferienwohnungen bei ihr mieten. Da ist sie sehr geschäftstüchtig, und wer sie sehen will, und das muß man schließlich, wenn man eines der hübschen Feriendomizile ergattern will, der trifft sie dort, wo einst das schöne weiße Hotel zur Post stand, ungefähr da, wo man früher das Hotel betrat und rechts in den großen Speisesaal ging. Doch an diesem Morgen ist sie Bürgermeisterin, und nur Bürgermeisterin, mit der ganzen Energie ihrer Amtsführung.

      Sie entdeckt ein ihr bekanntes Gesicht.

      „Ah, guten Morgen, Hans …”

      „Guten Morgen, Hanne!” erwidert der Angesprochene, geht der Bürgermeisterin entgegen, und beide geben sich die Hand.

      „… was ist passiert?” bohrt die Bürgermeisterin nach, „Kannst Du mir mal sagen…?” Sie sieht Hans von Greiff fragend an.

      Ein großer Mann von 44 Jahren, imponierende 1,90 Meter groß, in heller, sommerlicher Kleidung, mit Rembrandt auf dem Kopf, tritt heran. Er hat ein angenehmes Gesicht, mit gepflegtem Schnurrbart und Spanischem Dreieck, man könnte ihn fast als „schönen Mann” bezeichnen. Seine kräftigen, gepflegten Hände zieren an den Ringfingern ein breiter goldener Ehering rechts und ein alter Siegelring links. Er wirkt noch etwas abgespannt, zeigt dabei immer noch leichte Züge von Verärgerung.

      Man hatte ihn an seinem freien Tag aus dem Bett geholt, wohlgemerkt nach einer heißen Liebesnacht. Auch nach fast 20 Ehejahren hat er sich nicht auf gelegentliche Alibi-Blumensträuße zurückgezogen, seiner schönen Frau seine Liebe zu zeigen; er weiß sehr wohl, daß Frauen bei plötzlich mitgebrachten Rosensträußen eher zu einem kaum noch fortzubringenden Mißtrauen neigen, und wenn sie sich noch so erfreut geben. Es wird immer mit brüllender Schweigsamkeit die Frage aufkommen, ob der Kerl ’was angestellt hat oder sich frische Jugend bei einer Jüngeren holt. Rosen sind ja ein so offensichtliches Ablenkungsmanöver. Seine Maren pflegt seit Jahren ihre hübschen Portulac-Röschen, die im Sommer so fleißig blühen, egal, wo sie bisher einen Garten zur Verfügung hatte; nun auch auf dem Grund ihres neuen Heims. Das genügte. Sie hatte sich dem, kaum, daß das Haus eingerichtet war, mit Feuereifer gewidmet. Und ebenso hatten sie sich in der vergangenen Nacht geliebt. In den Sommerferien mußte auch sein geliebtes Frauchen, wie er sie für sich gern nennt, nicht auf die Zeit achten. Lehrerprivilegien eben. Ihre drei Teenager hatten es längst gelernt, sich ohne elterliches Gluckenverhalten das Frühstück zu machen. Also waren beide eng aneinandergekuschelt beim Morgengrauen eingeschlafen, in der Zuversicht, irgendwann am Vormittag miteinander aufzuwachen und fortzusetzen, was sie in der Nacht so stürmisch begonnen hatten. Das Telephon war leise gestellt. So hatte er es nicht gehört, aber die Haustürklingel, obschon ein schöner Dreiklang − er haßte diese schnarrenden Terrorklingeln, wie er sie schon als Kind empfunden hatte, aller früheren Quartiere − bedient von seinem Kollegen Fritz Langeland, hatte ihn erbarmungslos aus seinen Liebesträumen geholt und mürrisch an die Haustür geführt − der Einfachheit halber nackt wie er war. Langeland hatte sich nicht einmal geräuspert. Dessen dänische Toleranz übersah das einfach. Die Meldung einer Tötung ließ ihn aufwachen, allerdings auch seinen Kollegen anmaulen, warum er nicht den Diensthabenden vom KDD aufgescheucht habe. Der sei anderweitig unterwegs − Raubüberfall, mal wieder bei einer Tankstelle. Er solle Malle aus dem Bett holen, der wohne ja gleich „um die Ecke”. Malvoisins Gesicht verzog sich und er selbst wieder ins Haus. Langeland hatte anschließend auf einer praktischerweise vor der Tür stehenden Bank gewartet, während sein Chef sich in aller Ruhe zurecht machte. Der Tote würde ihm eh keine Fragen mehr beantworten. Warum also eine unnötige und wegen der Störung nicht gewollte Eile an den Tag legen? Warum? So hatte er sich der norddeutschen Ruhe hingegeben. Man jümmers suutje. Die Hingabe an seine Frau war dagegen bedeutend temperamentvoller ausgefallen. Jetzt lag sie zusammengerollt friedlich schlummernd da, als er sich angezogen und noch einmal nach ihr gesehen hatte. Ein leise schnurrendes Kätzchen. Kein Vergleich zu der wilden Katze wenige Stunden zuvor. Er nahm sich die Zeit dieses weibliche Wesen zu betrachten, das er so unendlich liebte und das ihn so sehr liebte. Er kann das zwar nach all den Jahren noch immer nicht begreifen, aber warum soll er auch? Er findet es einfach nur schön. Dann riß er sich los. Fruchtsaft mit einem Tropfen besten griechischen Olivenöls, kaltgepreßt, selbst-verständlich, und grüner Tee mußten sein. Ohne das war er morgens kein Mensch. Er hatte noch drei Löffel seines am Abend zuvor angesetzten Matjestopfes genascht und war dann zum Dienst erschienen. Herr von Greiff stellt ihm die Bürgermeisterin vor:

      „Herr Kollege, ich darf Ihnen unsere Bürgermeisterin vorstellen: Frau Hanne von Bauwitz.”

      Der Angesprochene nimmt seinen Hut ab.

      „Hanne, ich darf Dir meinen Kollegen vorstellen: Kriminalhauptkommissar von Malvoisin … oder schon Erster?“

      „Seit kurzem, aber ‚Erster’ ist für mich nur eine geradezu österreichische Rangverliebtheit, Generalobersargträger und dergleichen. Oder dieser Quatsch mit Stabshauptmann oder Stabskaleu. Es kommt auf den Mann an, nicht auf den Dienstgrad, aber lassen wir das”

      „Na, da ist ja die ganze preußische Rangliste beisammen …” Die Bürgermeisterin hat ihre „spitzen” fünf Minuten. Malvoisin bleibt gelassen, verneigt sich kurz.

      „Ja, ja, 400 Jahre Franzosen, 300 Jahre Preußen, aber das ist jetzt auch unwichtig.”

      „Sagen Sie mal, sind Sie nicht gerade erst zugezogen?”

      „Ganz richtig, Madame, vor einem guten Jahr.”

      Er seufzt leise, hört an ihrer rauchigen Stimme, daß sie an der Kette hängt, und ein kurzes Einziehen der Luft bestätigt ihm: sie ist Raucherin.

      „Keine Zeit, sich vorzustellen.”

      „Das kann man doch von einem vielbeschäftigten Gemeindeoberhaupt nicht erwarten.”

      Frau von Bauwitz sieht Malvoisin indigniert an. Der hält das aus, fragt:

      „Madame, sind Sie schreckhaft?” und sieht das Gemeindeoberhaupt forschend an.

      „Junger Mann, ich bin fast 40 Jahre verheiratet, mich erschreckt gar nichts mehr! Aber ich habe es schon einmal gefragt: Was ist hier los?”

      Greiff wirft hinter vorgehaltener Hand leise ein: „Harte Admiralstochter…”

      „Na dann kommen Sie mal …”

      Malvoisin wendet sich dem H 55 zu und die Bürgermeisterin stapft im Sand hinter ihm her.

      Malvoisin bleibt stehen und wendet den Blick dem Korbinneren zu. Bauwitz tritt heran − und der schreckgeweitete Blick wird von einer Ohnmacht ausgelöscht. Ehe Malvoisin und Greiff zufassen können liegt Bauwitz im Sand.

      Malvoisin murmelt: „Da fehlen wohl noch 10 Ehejahre zur Abhärtung, wie?”

      Beide Männer knien nieder, um die am Boden liegende Bauwitz aufzuheben, doch kaum angefaßt, berappelt sie sich und wehrt die helfenden Hände ab.

      „Laßt mich, ich kann das allein!”

      Bauwitz steht auf und sieht, etwas nähertretend, zur Sitzseite des H 55.

      Im Strandkorb sitztliegt, etwas zur Seite geneigt, ein großer junger Mann, dem ersten Augenschein nach 23 bis 26 Jahre alt, durchtrainierter