Wende auf Russisch. Michael Blaschke

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Название Wende auf Russisch
Автор произведения Michael Blaschke
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783752961270



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Das Einzige, was fehlt, wäre die Finanzierung, das heißt, es fehlen etwa zwanzig Prozent.“

      Eugen Gruber hatte bisher nichts gesagt und das Gespräch mit Interesse verfolgt. Er ging in die kleine Teeküche und machte einen guten Kaffee, der dankend angenommen wurde.

      Für ihn als Jurist hatte die Sache bis jetzt einen seriösen Charakter. Das Angebot seines Bruders war nach deutschem Recht okay. Wo dieser Russe sein Geld hernahm oder aus welchen Quellen es stammte, war ohne Belang. Der Tatbestand der Geldwäsche war öffentlich und auch juristisch kaum von Interesse. Es wurden Verträge abgeschlossen, ins Russische übersetzt und dann von einem Notar abgesegnet. Durch die Übersetzung hatte alles sehr lange gedauert. Nun ging es um das ´Eingemachte´. Volkov nahm sein Köfferchen und öffnete es.

      „Wir zählen die Scheine am besten hier auf dem Tisch, es wird wohl einige Zeit in Anspruch nehmen“, sagte Wasilewski.

      Danach verschwand das Geld in einem Tresor. Für die Brüder hatte der Anblick der Geldmenge etwas faszinierendes. Werner erhielt vier Prozent der Summe. Damit war sein Finanzproblem erledigt. Volkov wollte zwei Objekte sanieren. Es sollten Luxuswohnungen entstehen, die er mit Gewinn verkaufen oder vermieten wollte. Nach Mitternacht verließen die Russen das Büro um in einem Nachtlokal ordentlich einen zur Brust zu nehmen. Die Brüder Gruber saßen noch eine Weile zusammen, zufrieden traten sie den Heimweg an.

      Volkov war mit Wasilewski übereingekommen, dass der sich um Grigori Moskwin kümmerte, solange der in Berlin war. Er konnte ihm sicher behilflich sein.

      Volkov war auf dem Rückflug nach Kursk. Er dachte an die Zeit als Funktionär der Partei und nun wurde er Kapitalist.Er hatte einem System gedient, dass Millionen Menschen belogen, ausgebeutet und oft auch einfach umgebracht hatte. Nun geht man zur Tagesordnung über und arbeitet für die eigene Tasche. So einfach ist das!

      Die Konkursmasse muss doch aufgeteilt werden, dass daran Blut klebt, sieht man nicht oder will es nicht sehen.

      Jahrzehnte ´Glorreicher Erfolge´ manifestieren sich in einem alten Mütterchen, dass irgendwo an einer Bushaltestelle sitzt und ein Glas Gurken verkauft, um ihre beschämend kleine Rente aufzubessern. Möglicherweise gehörte sie damals zu den jungen Leuten, die mit Fähnchen und strahlenden Gesichtern auf dem roten Platz in eine herrliche Zukunft gelaufen sind. Oder es war ihr selbst das nicht vergönnt, weil sie als Kolchosearbeiterin, gar keine Zeit für so einen faulen Zauber hatte. Nikolai kannte das Mütterchen nicht, er konnte ja nicht alle ungezählten, armen, betrogenen Menschen kennen. Seine ungezählten stereotypen Reden auf den Versammlungen wurden doch immer mit großem Beifall belohnt. Den Zusammenbruch hatte er nicht zu verantworten, dass er nun zu den Kapitalisten gehörte, auf die er jahrelang kübelweise Scheisse gekippt hatte, vergaß er lieber ganz schnell. Nur der Rubel zählte!

      Wie lange hatte er noch zu leben? Natürlich wusste er das nicht, aber war es nicht besser, die letzten Jahre gut leben zu können??

      Am Flugplatz wurde er von seinem Fahrer abgeholt. Es war dunkel und die Fahrt durch die verwahrlosten Vororte war hässlich, ja bedrohlich.

      11.

      Es war ein Wochentag um die Mittagszeit. Lew Rabitschew lag noch im Bett, als er von Nina Gudsowski, die gerade Kaffee kochte, energisch geweckt wurde. Lew hatte kein Telefon. Um erreichbar zu sein, gab er in dringenden Fällen die Nummer seiner Nachbarin an. Grigori Moskwin war am Apparat.

      „Rabitschew, bist du am Apparat?“, fragte Moskwin.

      „Ja sicher“, erwiderte der und war plötzlich hellwach.

      „Hör zu, komm heute Abend zu mir. Du weißt, wo ich wohne?“

      „Ja, klar“, sagte Rabitschew. Zurück in seiner Wohnung strahlte er, nahm Nina in den Arm und tanzte mit ihr um den Tisch. Auf den Gefühlsausbruch war sie nicht vorbereitet und versuchte, sich von ihm zu lösen. Seit einigen Wochen lebte sie mit Lew zusammen, was nicht immer einfach war. Sie versuchte in diese kleine Einzimmerwohnung Ordnung zu bringen, Rabitschew machte jedoch keine Anstalten, seine schlampige Lebensweise zu ändern. Lew beruhigte sich und sagte zu Nina: „Ich soll heute Abend bei Moskwin vorbei kommen.“

      „Das war alles, was er gesagt hat?“, fragte Nina irritiert.

      „Ja, das war alles. Wenn es um große Geschäfte geht, wird darüber am Telefon nicht gesprochen.“

      Nina war davon überzeugt, dass dieser Grigori Moskwin ein großer Schaumschläger war und weiter nichts.

      „Es wäre besser, du würdest dich hier in der Stadt um Arbeit kümmern, als diesem Moskwin nachzulaufen.“

      Sie wollte keinen Streit vom Zaun brechen und ging nicht weiter auf das Thema ein. Was ihr aber im Nacken saß, dass waren ihre Geldnöte. Beide lebten von Ninas Arbeitslosengeld. Rabitschew hatte sich nicht die Mühe gemacht, Arbeitslosengeld zu beantragen. Er glaubte, mit wenig Arbeit das große Geld zu machen. Sie bekam nur einen Bruchteil ihres Verdienstes, davon konnte keiner leben, denn alles war teurer geworden und der Rubel befand sich im freien Fall. Der Sowjetstaat lag auf dem Müllhaufen der Geschichte. Was blieb, war ein riesiges Chaos.

      Es waren hilflose Versuche, die Privatisierung voran zu treiben. Es war die Zeit der Glücksritter, die Zeit der Volkovs. Rabitschew musste den alten klapprigen BMW, den er für ein paar Tage von Moskwin erhalten hatte, wieder abgeben. So blieb ihm nichts anderes übrig, als zu Fuß bis ans andere Ende der Stadt zu gehen, um seinen vermeintlichen Gönner zu treffen. Das war ein langer Marsch im Regen. Der Bus fuhr nicht und Moskwin wohnte in einer Datscha, am Rande der Stadt. Sein Kapital war der alte BMW.

      Um vor Nina und Wasil Saizew Anerkennung zu finden, hatte er Moskwin zum Großunternehmer gemacht. Moskwin wiederum hatte dem jungen Mann Flausen in den Kopf gesetzt. Jetzt brauchte er aber jemanden, den er kannte und dem er vertrauen konnte.

      Moskwins Datscha war sein Eigentum, sie war Teil seines früheren Lebens. Viele seiner Kollegen in führenden Positionen hatten eine Datscha, doch kaum einer pflegte diese alte russische Tradition noch. Heute besaßen sie Wochenendhäuser und die kleinen Gartenhäuschen verfielen oder wurden von Leuten genutzt, die am Rande der Gesellschaft lebten.

      Moskwins Datscha stand auf einem recht großen Gar-tengrundstück. Es gab nur einen Raum mit Kochecke, die Toilette war draußen.

      So lebte also ein großer Macher, ein reicher Russe? Rabitschew war von dem, was er sah, mehr als ernüchtert. Seine Neugier und die Hoffnung, doch noch einen lukrativen Job zu ergattern, ließ ihn eintreten.

      Moskwin holte gleich eine Wodkaflasche und normale Trinkgläser.

      „Komm, lass uns erst ein Gläschen heben“, meinte Moskwin und setzte sich an den wackligen Tisch mit zwei Stühlen, der mitten im Raum stand.

      „Hör zu, ich fliege morgen nach Berlin, um drei schwere Baufahrzeuge zu kaufen und zu begleiten, die auf Tiefladern nach Kursk gebracht werden. Ich rufe dich in zirka zwei Wochen über deine Nachbarin an. Dann bringst du meinen Wagen zur russischen Grenze, der Ort heißt Sutza, da bin ich dann mit den Tiefladern. Du übernimmst dann die Leitung des Transports, während ich in der Ukraine noch einiges erledigen muss. Tank den BMW voll und noch zusätzlich zwei Kanister in den Kofferraum. Schreib dir alles auf, ich gehe davon aus, dass ich meinen Wagen fahrtüchtig wieder bekomme.“

      Rabitschew fühlte sich in seinem Element, endlich durfte er eine große Aufgabe übernehmen. In Gedanken war er schon ein stinkreicher Kapitalist und konnte Nina mächtig imponieren. Da fiel ihm ein, dass er keine Kopeke besaß.

      „Grigori, ich brauche Geld“, sagte er kleinlaut.

      „Ja sicher brauchst du Geld“, erwiderte Moskwin, ging an ein kleines Schränkchen, holte ein Kuvert und legte es vor Rabitschew.

      „Das sind zweihundert Dollar, ich denke, dass du damit gut auskommst. Mehr gibt es nicht.“

      Er betonte den letzten Satz und gab zu verstehen, dass über diesen Punkt nicht mehr gesprochen würde.

      „Machst du Scheiße, war das dein letzter Auftrag. Halte dich genau an die Vereinbarung!“