Wende auf Russisch. Michael Blaschke

Читать онлайн.
Название Wende auf Russisch
Автор произведения Michael Blaschke
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783752961270



Скачать книгу

gemacht. Wo war die emanzipierte Frau, wo war sie geblieben? Morosow registrierte das, aber es interessierte ihn nur am Rande.

      Lew Rabitschew hatte von Grigori Moskwin per Telefon Bescheid bekommen, sich wie vereinbart auf den Weg zur Grenze zu machen. Von Kursk bis Sutza war er zirka zwei Stunden unterwegs. Er hoffte, ohne Probleme mit dem alten BMW zur russischen Grenze zu kommen. Es regnete, schlechte Sicht und die Straße eine einzige Katastrophe. Ein so großes Land braucht vernünftige Straßen, dachte Rabitschew, aber sie waren so viele Jahre von Dummschwätzern regiert worden, dachte er weiter und versuchte langsam durch eine riesige Pfütze zu fahren. Es war schon dunkel, als er in Sutza ankam. Ein verlassener, schmutziger Grenzort. Der Übergang zur Ukraine bestand aus einer Holzbaracke, einem Schlagbaum, dem Fahnenmast und einer dürftigen Straßenlampe. Es sah trostlos aus. Am Schlagbaum hing ein weißes Schild mit schwarzer, russischer Schrift: ´Diese Grenze bleibt von 22 bis 6 Uhr geschlossen´.

      Rabitschew fuhr an den Schlagbaum, stieg aus, um die Beine zu vertreten und sich umzuschauen. Er stand auf einem Schotterplatz, der wohl als Parkplatz diente. Einige Laternen warfen schummriges Licht. Im Halbdunkel konnte Rabitschew drei große Tieflader ausmachen, die mit Baufahrzeugen beladen waren. Die Zugwagen hatten russische Kennzeichen. Alles war dunkel und Rabitschew saß ratlos im Auto und wusste nicht weiter. Wo war Moskwin? Schliefen die Fahrer etwa in den Kabinen? Er sah auf seine Uhr, es war kurz nach Mitternacht. Rabitschew wollte bis Tagesanbruch warten und ein bisschen schlafen.

      Auch auf der ukrainischen Seite war nichts zu hören und zu sehen. Hinter dem Niemandsstreifen sah er die Umrisse einer Baracke, auch der ukrainische Posten war nicht besetzt. Das gleichmäßige Trommelgeräusch des Regens ließ Rabitschew einschlafen.

      Durch gleissendes Scheinwerferlicht wurde er aus seinem unruhigen Schlaf gerissen. Zwei Gestalten in langen Regenmänteln kamen auf ihn zu. Trotz Regenschutz konnte er eine Uniform und eine russische MP erkennen. Die Militärmützen, mit Nässeschutz versehen, zeigten die Hoheitszeichen der Grenztruppen. Einer öffnete die Wagentür und Rabitschew musste aussteigen. Der zweite Grenzer stand weiter weg und sicherte mit seiner Waffe den Vorgang. Rabitschew musste sich ausweisen und wurde registriert.

      „Was machst du hier, mitten in der Nacht?“, wurde er gefragt.

      „Ich soll den Transport der drei Fahrzeuge begleiten und sie nach Kursk überführen.“

      „Du überführst gar nichts, die Schwerlaster werden beschlagnahmt, denn sie sind Diebesgut.“

      „Das kann doch nicht sein“, empörte sich Rabitschew.

      „Bist du taub?“

      Er bekam einen Tritt in den Unterleib und ging zu Boden. Er wälzte sich auf dem nassen Schotter.

      „Das Gesicht in den Dreck“, befahl der Grenzsoldat. „Du bleibst so lange liegen, bis wir dir Bescheid geben.“

      Rabitschew merkte, dass die Fahrzeuge von russischen Grenzern kurzerhand übernommen wurden. Die Fahrer wurden unsanft aus den Schlafkabinen gezerrt, sie wurden gezwungen, hinter einem Militärjeep mit Blaulicht herzufahren. Hinter der Kolonne fuhren noch zwei weitere Wagen der Grenztruppe. Die ganze Aktion verlief mit viel Geschrei und Protesten und doch ging alles zügig.

      Rabitschew zogen die Nässe und Kälte in die Glieder. Der Parkplatz lag wieder im Dunkel, von Ferne hörte er Hundegebell. Er rappelte sich auf, setzte sich in den alten BMW und fragte sich, was das sollte und wie es weiterging.

      Von Grigori Moskwin war nichts zu hören oder zu sehen. Sollte der noch in der Ukraine sein, konnte er vor sechs Uhr nicht über die Grenze. Warum überhaupt dieser gottverlassene, selten benutzte Übergang, fragte sich Rabitschew. Er hatte sich peinlich genau an die Vereinbarung gehalten. Seine Hoffnung, schnelles Geld zu verdienen, war geplatzt. Zum Glück reichte das Benzin, um nach Hause zu kommen. Nichts wie weg hier.

      13.

      Nikolai Volkov war entschlossen, seinen sechzigsten Geburtstag gebührend zu feiern. Der Winter war verschwunden und der Sommer zeigte sich von seiner besten Seite. Er hatte Anweisung gegeben, alles im Garten zu organisieren. Tische, Stühle, Sonnenschirme und ein Bierausschank einer russischen Brauerei, ja, eine Kapelle spielte russische Weisen und sorgte für die nötige Stimmung. Auch für das leibliche Wohl war gesorgt, vom Grill bis zur Eisbombe. Volkov zeigte sich von seiner spendablen Seite, wie es in Russland üblich war.

      Er hatte viele Leute aus seinem früheren Berufsleben eingeladen. Kollegen aus Partei und Gewerkschaft. Es war eine gewisse Selbstdarstellung, das war nicht zu übersehen. Dass er auch Missgunst und Neid hervorrufen könnte, daran dachte er nicht. Eine Fete für arme Schlucker wollte er ja nicht feiern. Es wurde über die schlechte Versorgungslage im Land diskutiert, über die beschämende Armut, besonders bei den Alten und über den Ausverkauf der Sowjetunion. Der Alkohol floss in Strömen, es wurde gefeiert und keiner wollte mehr über Politik reden.

      Nicht lange und die ersten Gäste bekamen sich in die Wolle oder lagen besoffen herum. Olga Volkov, die Tochter, war bemüht, das Fest nicht ausufern zu lassen. Schon als Kind hatte sie Angst vor den alkoholischen Exzessen und sie erinnerte sich, dass ihr trinkfester Papa seine Gäste, wenn sie aus der Rolle fielen, zum Teufel jagte. Jetzt konnte ihr Vater das nicht mehr, die Mutter war schon unauffällig verschwunden, der Rummel war ihr zu viel.

      Olga konnte nicht verstehen, was sich der Vater von derartigen Festivitäten versprach. Den gemeinsamen Arbeitsplatz gab es nicht mehr. Jeder war mit sich beschäftigt und musste sehen, wie er mit der neuen Freiheit zu Recht kam. Durchfressen, saufen und noch Ärger machen, das konnte es nicht sein. Die letzten Gäste gingen, als sich ein neuer Tag bemerkbar machte.

      Nikolai frühstückte mit seiner Familie, als er einen Anruf bekam. Grigori Moskwin meldete sich mit einer vernichtenden Nachricht.

      „Nikolai, ich stehe hier in Sutza an der Grenze und muss feststellen, die Tieflader samt Baufahrzeugen sind verschwunden.

      „Grigori Moskwin, bei deiner Mutter, was redest du für einen Schwachsinn. Willst du mir erzählen, dass die Fahrzeuge gestohlen wurden?“

      „Nikolai, glaub mir, die Wagen sind weg. Ich habe den örtlichen Polizeiposten gefragt, ob er etwas Auffälliges bemerkt hat. Man hat mir gesagt, dass Fahrzeuge, auch Schützenpanzer der Grenztruppen, hin und wieder des Nachts durch den Ort fahren. Schwere Zivilwagen würden da nicht auffallen.“

      „Grigori, ich erwarte dich noch heute“, sagte Volkov und legte auf.

      Hundertfünfzigtausend DM hatte er für die Baufahrzeuge ausgegeben und nun so ein Reinfall. An Diebstahl glaubte er nicht. Hier in Russland war alles möglich, doch als eingefleischter Apparatschik dachte er gleich an Konkurenten, die ihm das Wasser abgraben wollen. Im Moment konnte er nichts unternehmen. Es war vernünftiger, die Auskunft Moskwins abzuwarten.

      Volkov hatte Teile der Instandsetzungsbetriebe der Staatsbahn in Kursk weit unter dem tatsächlichen Wert gekauft, mit zinsgünstigen Krediten der russischen Staatsbank. Die Filetstücke hatten die Wirtschaftsnomenklatura und die Nomenklatura aus Politik, Partei und Bürokratie unter sich aufgeteilt. Die jahrelang besonders Regimetreuen bereicherten sich auf parasitäre Weise. Volkov gehörte zwar nicht zu den Großen und doch hatte er Teile eines Ganzen erworben, was nicht zerschlagen werden durfte. Volkov hatte nur das gekauft, was noch rentabel war. Die Bahn sollte privatisiert werden, mit allem, was dazu gehörte. Volkov sorgte dafür, dass nicht alle seine Beschäftigten entlassen werden mussten. Im Bausektor sah er für die Zukunft eine gute, gewinnbringende Möglichkeit, aber auch der gehörte zur Staatsbahn. Er sollte aus dem Geschäft gedrängt werden, daran bestand kein Zweifel. Sie waren alle Galgenvögel, durch die Bank! Sie hatten immer gut gelebt und waren für ihr politisches Geschwätz noch belohnt worden. Sie hatten sich aus dem Trümmerhaufen des wirtschaftlichen Imperiums die wertvollen und brauchbaren Teile in die Taschen gesteckt und wie Diebe in der Nacht davon geschlichen. Keine Selbstkritik, kein Bedauern, es ging nur darum, das sinkende Schiff zu verlassen. Was aus den Anderen wurde, interessierte diese Ratten nicht. Nikolai Volkov dachte so und vergaß, dass er auch dazu gehörte. Diese Gauner hatten doch immer eine passende Rechtfertigung.

      Volkov wartete, bis er von Grigori