Wegbier. L. A. Hermann

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Название Wegbier
Автор произведения L. A. Hermann
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783748587200



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nicht gehen wollen. Sie waren lustig drauf gewesen und Markus musste Eva hoch und heilig versprechen, dass er sich nach einem letzten Bier rauswerfen würde. Aus einem Bier wurde drei. Er hatte natürlich mit getrunken.

       Mimi sah er schon vom Schaufenster aus. Auf einem Tablett balancierte sie Kaffee und Kuchen. Sie trug ein schwarzes T-Shirt und eine hellblaue Jeans. Um die Taille hatte sie eine weiße Schürze mit Spitzenborte gebunden. Das ganz wirkte ziemlich altmodisch, aber besser als diese hässlichen grellen Polo-Shirts mit Stickerei auf der Brust, die das Personal in anderen Bäckereien trug. „Die Schürze hat Stil“, meinte er. Erschrocken drehte sich Mimi um. „Ach du“, sie lächelte. „Willst du einen Kaffee?“ „Klar.“ „Gut.“ „Milch und Zucker stehen hier vorne.“ „Danke, aber ich trinke ihn schwarz.“ „Beeindruckend.“ Sie stellte ihn den dampfenden Kaffeebecher hin. „Der Erste geht aufs Haus. Aber nicht weiter erzählen.“

      Gegenüber Kaffee holen wurde schnell zum Ritual. Und das obwohl sie in der Buchhandlung einen 1A-Filter-Kaffee hatten, aber Frau Macharzenski hatte schon lange aufgehört sich zu wundern. Markus genoss die kurzen Pausen, wenn er mit Mimi herum albern konnte. Bald lief ein kleiner Deal zwischen den beiden, ganz stillschweigend. Er gab ihr zehn Prozent auf Bücher, den eigentlich nur Familienmitglieder bekamen, und im Gegenzug bekam er den zweiten Kaffee umsonst. Manchmal nach Ladenschluss sogar ein Stück Kuchen oder eine Kirschtasche, was eben so übrig geblieben war.

      Nach Feierabend, wenn beide bis 18 Uhr arbeiten mussten, schlenderten sie oft gemeinsam zur Tram-Halstestelle. Mimi liebte lesen. Ihr Traum war es, in einem Verlag als Lektorin zu arbeiten. Seit eineinhalb Jahren war sie mit dem Studium fertig und seitdem auf Jobsuche. Ein paar Monate war sie im Ausland gewesen. Mit dem Rucksack in Südamerika. In der Hoffnung, dass es danach auf dem Stellenmarkt etwas besser aus. Es hatte etwas besser ausgesehen und immerhin für ein einjähriges schlecht bezahltes Praktikum in einem kleinen Reisebuchverlag gereicht. Für eine Festanstellung war das Budget der Redaktion dann leider doch zu wenig und Mimi war, wie vor der Reise und dem Praktikum, verzweifelt auf Jobsuche. Sie schimpfte etwas von Zeitverschwendung und falschen Hoffnungen. Ihre Tante hatte ihr schließlich den Job in der Bäckerei vermittelt. Gott sei Dank, wie Mimi stets betonte. Noch immer wohnte sie in ihrer Studenten-WG, aus der sie dringend heraus wollte. „Der Mietmarkt in München ist ja unter aller Sau“, hatte sie gesagt und war wütend mit ihren Chucks in eine Wasserpfütze getreten.

      Mimi war generell oft wütend. Sie hasste Ungerechtigkeiten und wurde nicht müde, sich darüber zu beschweren. Sie war oft sauer, wenn sie etwas nicht bekam, was ihr, nach ihrem Ermessen, eigentlich zu stehen hätte sollen. Das hatte Markus schnell gemerkt, als sie von einer Kollegin erzählte, die das Trinkgeld ungerecht verteilte. Markus wusste aus eigener Erfahrung, wie scheiße das war, aber noch nie hatte er jemanden so lange darüber reden hören wie Mimi. Vermutlich hätte sie noch weiter darüber geschimpft, wäre ihre Tram nicht gekommen. Markus hatte bei ihrem Monologe immer wieder lachen müssen. Das hatte Mimi zwar kurz aus dem Konzept gebracht, den roten Faden aber verlor sie nicht. Markus bewunderte ihre Hartnäckigkeit. Ihre Gespräche dauerten nie länger als zehn Minuten, weil entweder ein Kunde kam oder die Tram einfuhr. Manchmal sahen sie sich tagelang nicht. Oft waren die Gespräche der Höhepunkt Markus Tages. Sie redeten viel über Musik. Mimi liebte Sixties. The Kinks, The Sonics, The Velvet Underground. Sie lachte, als Markus erzählte, dass er als Kind Gitarren-Unterricht hatte, aber so schlecht war, dass die Lehrerin ihm empfohlen hatte aufzuhören. Gerne hätte er ihr von Sebastian und seinen Erfolgen als Musiker erzählt, aber dann rollte auch schon wieder die Tram ein. „Ich komm dich mal besuchen in der Kneipe!“, rief sie ihm nach. „Komm Samstag! Da ist es meist besser.“ Als die Tür schloss und sie ihn nicht mehr sehen konnte, grinste er.

      Und tatsächlich. Sie war ins „Rabatz“ gekommen. Im Schlepptau hatte sie eine Freundin. Mimi grinste ihn unsicher an. Sie war nervös, das merkte er gleich. Der Laden war voll und er hatte viel zu tun. Bierflaschen öffnen, Gin Tonic mischen, abkassieren. Und Markus musste ein Auge auf Patrick haben, der hier erst vor ein paar Wochen zum Arbeiten angefangen hatte. Alles um ihn herum dröhnte von den vielen Gesprächen und der lauten Musik. Die Mädels kämpfen sich durch das Gedränge. Bei Eva bestellten sie zwei Bier, die er schnell seiner Kollegin abnahm. „Geht aufs Haus!“, stellte er ihnen die Flaschen hin.

       Er wusste, dass Mimi ihn verstohlen beobachtet. Immer wenn er hinsah, kicherte sie mit ihrer Freundin. Als ein Platz frei wurde, setzten sie sich in die Ecke. Irgendwann verlor Markus sie aus den Augen. Einen Abend, an dem so viel los war, wie heute hatte er lange nicht mehr erlebt. Ihm war heiß, der Schweiß rannte ihm von der Stirn.

      Und dann saß sie am Tresen. Es war schon recht spät und langsam leerte sich das „Rabatz“ endlich. Mimi war betrunken. Sie kämpfte mit der Müdigkeit und dem Rausch. Sie war ganz blass und ihre Augen glasig. Immer wieder musste sie gähnen. Gerade war ihre Freundin gegangen. Ein dickes Mädchen mit langen braunen Locken. Ziemlich mutig von Mimi, dass sie noch geblieben war. Sie hatte sich wohl von dem Abend etwas erwartet.

      „Hey, magst du noch ein Bier? Sorry, dass ich vorhin so wenig Zeit für dich hatte. Aber es war echt die Hölle los.“ „Kein Problem. Ich bleib noch ein bisschen.“ Markus grinste und öffnete zwei Bier.

      Es war kurz nach halb vier, als der letzte Gast aus der Türe torkelte und Eva zusperrte. Mimi war immer noch da. Zwischen durch hatten sie immer mal wieder kurz geredet. Er hatte die ganze Zeit über ein schlechtes Gewissen gehabt, sie da alleine sitzen zu lassen. Aber er musste arbeiten. Teilweise hatten sich die Gäste schon beschwert, weil er sie so lange warten ließ.

      „Alles gut bei dir?“, fragte Markus. Sie nickte. Das Bier vor ihr war auch schon wieder leer. „Ich räum die noch schnell weg und dann!“

      Dann was? Das wusste Markus ja selbst nicht. Er war plötzlich ziemlich nervös. Verstohlen wischte er sich die schwitzigen Hände an der Hose ab. Ihn verwunderte es, warum sie noch da war. Gut, dass er so viel getrunken hatte. Mit Patrick sammelte er die letzten Flaschen und Gläser ein und stellte die Stühle hoch. Eva machte wie immer die Kasse. Heute hatten sie bestimmt guten Umsatz gemacht. Wenn er sich zu Mimi umblickte, tippte sie etwas auf ihrem iPhone. „Was geht mit euch?“, fragte Patrick. Markus zuckte mit den Schultern. „Geh halt zu ihr. Ich schaffe das schon allein. Ist ja nicht mehr viel.“ Nachdem die Kasse gemacht war, verabschiedete sich Eva. „Ich räum hinter der Bar noch auf!“, rief Markus ihr hinter her. „Du kannst ruhig heim gehen“, wandte er sich an Mimi. „Oder noch ein Bier mit mir trinken.“ „Bier.“ Markus öffnete geschickt zwei Flaschen und stellte sie an der Theke ab. Patrick winkte und verschwand durch den Lagerraum. Er wollte noch irgendwo tanzen gehen, hatte er gesagt. Jetzt waren sie allein.

      Markus spürte, wie ihm das Bier die Kehle hinunter rannte. Kalt und irgendwie viel langsamer als normal. „Jetzt wo wir unter uns sind: Einen speziellen Musikwunsch?“ Mimi schloss die Augen und grinste. „The Sonics. Have love will travel.“ Markus suchte das Lied auf Spotify. Während die ersten Töne erklangen, schmiss er die Spülmaschine an. „In einer Kneipe zu arbeiten ist viel lustiger als in einem Café“, Mimi beugte sich über den klebrigen Tresen zu ihm rüber. „Ja, aber auch viel Anstrengender. Stressiger. Viel mehr Betrunkene, viel mehr Glasscherben.“ „Na und! Dafür kriegst du mehr Trinkgeld. Und die Musik ist besser“, Mimi stemmte sich hoch. Sie schwankte jetzt richtig. „Du erlebst hier was! Ich räume Teller ab und putze nach Feierabend die Kaffeemaschine.“ „Das stimmt. Aber wir haben hier auch eine Kaffeemaschine zum Putzen.“ Er deutete hinter sich auf die blinkende Maschine. „Die müsste ich eigentlich auch noch sauber machen. Du als Fachfrau kannst mir dabei sicher helfen.“ „Scheiß auf die Kaffeemaschine! Ich will tanzen!“, Mimi stürmte aufgedreht wie ein kleines Kind, das zu viel Cola getrunken hatte, die Tanzfläche. Sie schüttelte ihr blondes Haar in alle Richtungen. Beim Tanzen verrutschte ihr langes schwarzes T-Shirt immer wieder. Ob ihr das alles morgen wohl peinlich sein würde? Markus nahm sich eine Zigarette und gesellte sich zu ihr. Sie tanzten. „Für diesen Scheiß werd ich mich morgen so schämen,“ lallte sie. Markus musste lachen, als sie sich weiter im Kreis drehte. „Kannst du die Musik lauter machen?“ Jetzt lachte er. „Ich hol mir noch ein Bier. Für dich besser keins.“ „Ja, für mich besser keins. Und für dich auch nicht. Tanz lieber mit mir!“ „Fuck, es ist