Wegbier. L. A. Hermann

Читать онлайн.
Название Wegbier
Автор произведения L. A. Hermann
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783748587200



Скачать книгу

war um eine Zigarette zu drehen, war sein Blick auf ein Schild im Schaufenster einer kleinen Buchhandlung gefallen: „Aushilfe gesucht“. Mit Handschrift verfasst. Nicht am Computer. Das hatte ihm gefallen. Markus hatte diese kleinen Geschäfte schon immer viel lieber gemocht als die großen Ketten. Trotzdem kaufte er dort ein. Oder bestellte im Internet.

      Als er die Tür öffnete, hatten kleine Glöckchen laut über ihn geklingelt. „Kann ich Ihnen helfen?“, hatte ihn eine etwas rundlichere Frau mit grauen Haaren und einer dicken, kantigen Brille gefragt. Das ultimative Klischee einer Buchhändlerin. „Äh ja, ich bin hier wegen dem Aushang da. Suchen Sie noch jemanden?“ Die Frau hatte genickt, ihre Brille abgenommen und ihn von oben bis unten gemustert. „Das ist richtig. Für zwanzig, bis dreißig Stunden in etwa. Als Schwangerschaftsvertretung. Haben Sie denn Erfahrung in dem Bereich oder im Einzelhandel?“ „Nein. Aber ich lerne schnell.“ „So, und ab wann können Sie denn anfangen?“ „Eigentlich ab sofort. Jetzt, wenn Sie wollen.“ „Nun, einen jungen starken Mann könnten wir hier tatsächlich gut gebrauchen. Vor allem im Lager. Da fällt viel an. Mehr als man glaubt. Aber kommen Sie doch erst mal zum Probearbeiten.“ Markus hatte genickt. „Von mir aus gleich morgen.“ „Gut, dann kommen Sie doch um zehn Uhr. Da haben wir gerade die Lieferung bekommen. Und bringen Sie mir mal Ihren Lebenslauf mit. Ich bin übrigens Frau Macharzenski“, hatte sich seine Chefin vorgestellt.

      Von der Probearbeit war er nahtlos in den regulären Betrieb über geglitten. Markus fing die fehlende Zeit einer Kollegin, die ein Baby bekommen hatte, auf und arbeitete von Mittags bis Ladenschluss. Er packte die Lieferungen aus, sortierte die Bücher und räumte Regale ein. Ihm gefiel die Arbeit in der Buchhandlung. Er half den Kunden gerne weiter und hatte auch bald das umständliche, altmodische Kassensystem verinnerlicht.

      Wenn im Laden nichts los war, rauchten er und Frau Macharzenski im Hinterhof. Frau Macharzenski war zynisch und schien ihre Mitmenschen nicht besonders zu mögen. Mit Anfang 40 hatte sie sich von ihrem Mann scheiden lassen. Kinder hatten sie keine. Eigentlich wollte sie Anwältin werden, hatte aber gleich nach dem Abitur in der elterlichen Buchhandlung anfangen müssen und war dort hängen geblieben. Nach dem Tod ihrer Eltern war sie ihr eigener Chef geworden. Die Buchhandlung war für sie trotzdem ein Klotz am Bein.

      Frau Macharzenski wohnte über dem Laden in der Wohnung, in der sie aufgewachsen war. Markus war noch nie oben gewesen, aber im Treppenhaus roch es meist nach einer Mischung aus Räucherstäbchen und Grünkohl. Er stellte sich vor, dass die Wohnung seiner Chefin mit allen den Büchern vollgestellt war, die niemand kaufen wollte. Ein Heim für Ladenhüter. Frau Macharzenski mochte Markus. Sie versuchte, ihn zu motivieren sich nach etwas anderem umzusehen oder weiter zu studieren. Denn für immer konnte er nicht als Vertretung in der Buchhandlung bleiben.

      Markus machte das nichts aus. Er lebte gern in den Tag hinein. Eigentlich. Doch wenn er sich so seine Freunde an sah, hatte sich etwas verändert. Sie hatten plötzlich richtige Jobs. Sein bester Freund Sebastian, mit dem er damals nach dem Abi von Franken nach München gezogen war, war sogar schon verheiratet. Waren Sie etwa erwachsen geworden, ohne dass er es gemerkt hatte? Er vermisste die Zeit, in der sie alle noch in WGs gelebt und studiert hatten. Das waren die besten Jahre seines Lebens gewesen.

      Damals hatte er mit Sebastian zusammen gewohnt. In ihrer Wohnung war fast jeden Abend irgendwas los gewesen, denn als Student feiern gehen war in München verdammt teuer. Ständig war Besuch da, der Kasten Augustiner immer sofort leer. Sebastian hatte dann Gitarre gespielt, sie hatten alte Platten gehört und über Gott und die Welt gesprochen, während irgendwer einen Joint gebaut hatte. Das schlimmste, was ihnen damals passieren konnte, war, wenn niemand Gras dabei hatte. Verpasste Vorlesungen oder nicht bestandene Prüfungen, so lang nicht der Drittversuch anstand, waren kein Problem. Markus hatte in dieser Zeit so viel gemalt, wie noch nie zuvor. Groß und auf Leinwand. Das Leben war gut. Irgendwann hatte Sebastian dann eine Freundin gehabt. Melanie. Und mit ihr wurde alles anders. Bei einem Gig seiner Band, der ziemlich unspektakulär war, hatten sie sich kennengelernt. Melanie hatte Fotos für einen Konzert-Blog gemacht und die beiden waren ins Gespräch gekommen. Da in ihrer Zweier-WG ein Zimmer frei wurde, zog Sebastian schon nach ein paar Monaten zu Melanie.

      Ohne Sebastian war es in der WG nicht mehr das Gleiche gewesen. Der neue Mitbewohner beschwerte sich ständig über Markus Unordnung. Ihn störte es, wenn er besoffen polternd nach Hause kam oder dass ständig Farbpinsel in der Spüle lagen. Noch dazu fand er, dass Markus nicht in der Wohnung mit Acryl-Fabe malen sollte, weil es so furchtbar stank. Irgendwann hatte Markus genug von den ständigen Nörgeleien und hatte sich eine eigene Wohnung gesucht. Schweren Herzens. Bald hatte er aber angefangen die Freiheiten in seiner Obergiesinger Bude zu schätzen zu wissen: Er kochte früh morgens nach der Arbeit in der Kneipe Spaghetti Bolognese, spülte selten ab und steckte in jede leere Weinflasche eine Kerze. Im ersten Sommer hatte er bei offenem Fenster gemalt und laut Musik gehört, die nur er mochte. Die Bücher auf seinem Schreibtisch, die er für das Studium brauchte, begannen in dieser Zeit Staub anzusetzen. Irgendwann hatte er beschlossen, im Sommersemester keine Prüfungen mitzuschreiben. Dann war er gar nicht mehr in Vorlesungen gegangen. Und das war es mit dem Kunstgeschichte-Studium gewesen.

       Trotz der vielen Freiheit war es in der WG doch schöner gewesen.

      2. Freunde

      Die Sonne war längst untergegangen, als er sich auf den Weg in die Kneipe machte. Er spürte immer noch die Auswirkungen des gestrigen Katers. Die Müdigkeit und den ekligen Geschmack im Mund. Ein Konterbier wäre jetzt genau das Richtige. In der Tram-Bahn schloss er die Augen. Noch ein bisschen ausruhen. Es war Donnerstagabend und das beginnende Wochenende war auch hier zu spüren. Die Feierwütigen machten sich auf, diese Nacht zu etwas Besonderem zu machen. Was immer das sein mochte.

      Markus war die Strecke ins „Rabatz“ schon so oft gefahren, dass er mit geschlossenen Augen und ohne Durchsage wusste, wann es an der Zeit war auszusteigen. Gut 20 Minuten brauchte er, was in München eine kurze Strecke war. Dann machte er sich zu Fuß auf in die Kneipe. Die harten Schuhsohlen klapperten auf dem regennassen Asphalt.

      Eva war schon da. Sie hatte heute Frühschicht und den Laden aufgesperrt. Noch war es ruhig. Vereinzelt saßen ein paar Leuten an den Tischen und unterhielten sich bei schummrigen Licht. Leise lief HipHop, was eine Ausnahme war. Markus mochte den Beat.

      Eva begrüßte ihn mit einer freudigen Umarmung. Markus arbeitete gern mit ihr zusammen. Mit Eva Schicht zu haben bedeutete immer Spaß und garantierte einen reibungslosen Ablauf. Eva war Mitte 30. Die ersten tiefen Fältchen hatten sich bereits in ihr Gesicht gegraben. Sie war zierlich und klein, hat aber schon oft Hausverbot erteilt. Ihre schwarz gefärbten Haare glättete sie täglich. Sie war immer sportlich angezogen. Markus konnte sich Eva nicht in einem Kleid vorstellen.

      In den fast sieben Jahren, in den Markus hier schon arbeitete, hatte er die Abläufe verinnerlicht. Er ging nach hinten in das Lager, hängte seine Jacke auf und schnappte sich einen Kasten Augustiner Helles und ging wieder vor an die Bar. Eva war gerade dabei, einem Mädchen, vermutlich Studentin, eine Weinschorle zu machen. Die Biere packte Markus in die Schubladenkühlung. In der Kneipe wurden Flaschenbiere verkauft. Das war schon immer so und wird auch immer so bleiben, lautete die Ansage vom Ralph, dem Inhaber. Er machte nicht viele Vorschriften, aber wenn es um Bier ging, verstand er keinen Spaß. Bier aus Gläsern empfand Ralph als unästhetisch. Markus sah das ähnlich und öffnete sich gleich die erste Flasche des Abends. Eine der Vorteile im „Rabatz“ zu arbeiten, war, dass man umsonst trinken durfte. Zwar musste man aufschreiben, was und wie viel, aber einen kostenlosen Rausch brachte man schon zusammen.

      Eigentlich war es in der Kneipe immer das Gleiche. Getränke kühlen, etwas aufräumen, Zitronen und Limetten klein schneiden. Richtig los ging es erst gegen elf Uhr, wenn der Laden sich langsam füllte. Zum Klientel gehörten hauptsächlich Studenten. Es hatte die ein oder andere Nacht gegeben, in der die Stimmung übergekocht war und Markus total besoffen auf dem Tresen getanzt hatte. Ein paar Mal, nicht oft, hatte er im „Rabatz“ sogar übernachtet. Er hatte vom vielen Bier einfach so tief geschlafen, dass ihn seine Kollegen nicht wach bekommen hatten. Sie ließen sie ihn auf der großen Couch am anderen Ende des Raumes seinen Rausch ausschlafen. Zugedeckt mit von Gästen vergessenen