Wegbier. L. A. Hermann

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Название Wegbier
Автор произведения L. A. Hermann
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783748587200



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aufs Bett, starrte an die Decke und dachte weiter nach.

      4. Mädchen

      Er war etwas spät dran, daher konnte er die Zigarette nicht zu Ende rauchen. So locker Frau Macharzenski auch drauf war, sie hasste Unpünktlichkeit. Als Markus in den Laden kam, war von seiner Chefin nichts zu sehen. Vermutlich war sie selbst rauchen. Nur eine blonde Frau in hellblauer Jeansjacke war da. Vor dem Regal, ihm den Rücken zu gewandt, bei den Romanen. Markus hastete nach hinten in das Lager. Frau Macharzenski nickte ihm von der geöffneten Tür, die in den Hof führte, zu. Natürlich hielt sie eine Kippe in der Hand. „Ich mach mal kurz Pause“, sagte sie. Markus nickte und ging zurück in den Laden. Er tänzelte an einem Stapel Bücher vorbei und überprüfte die Kasse. Immerhin 150 € hatten sie heute schon eingenommen.

      Sie hatten hier wenig Laufkundschaft. Die meisten Leute, die in die Buchhandlung vorbei schauten, waren Anwohner oder Rentner, die schon seit Jahrzehnten herkamen. Markus checkte die Bestellungen am PC und räumte den Stapel Bücher, Reiseführer für Portugal und Spanien, in den Ständer gleich neben der Kasse. Die junge Frau drückte sich nach wie vor bei den Romanen rum. Vermutlich stöberte sie. Aber da ihn Frau Macharzenski gut eingelernt hatte, wusste Markus, wann es an der Zeit war, einen Kunden zu fragen, ob Hilfe benötigt wurde. Und das war jetzt.

      „Entschuldigung? Kann ich ihnen helfen?“ Die Frau drehte sich zu ihm. Sie war jung. Sein Alter. Vielleicht sogar ein bisschen jünger. Sie war kaum geschminkt und das schulterlange blonde Haar wirkte ungekämmt – sie sah verdammt cool aus. „Ich gucke nur“, wimmelte sie ihn leicht genervt ab. „Alles klar“, Markus ging zurück an die Kasse. Er mochte die Art Kunden, die keine Hilfe brauchten. So hatte er seine Ruhe. Ihm ging es ja selbst so, wenn er einkaufen war. Er beobachtete sie zwischen Computer und dem Bücherturm an der Kasse. Er hatte sie hier noch nie gesehen. Wohnte sie in der Gegend oder war sie nur zufällig hier vorbei gekommen?

      „Ich suche einen Roman, kann ihn aber im Regal nicht finden,“ nach einer Weile war das Mädchen doch zu ihm an die Kasse gekommen. „Die Entdeckung der Langsamkeit.“ Markus musste den Titel erst gar nicht in das System eintippen. Er wusste auch so den Namen des Autors (Sten Nadolny) und dass sie das Buch nicht da hatten. Ihr Bestand setzte sich aus Kitsch und Thriller zusammen, oder was sonst gut lief. Angebot und Nachfrage, sagte Frau Macharzenski. Ein Antiquariat wäre ihr zwar lieber, aber sie musste ja auch über die Runden kommen.

      „Das haben wir gerade nicht da. Aber ich kann es dir bestellen.“ Bewusst siezte er sie nicht. Nicht jemanden der so aussah. „Morgen Nachmittag gegen drei ist das Buch im Laden.“ Das war gelogen. Das Buch wäre schon am Vormittag da, würde er jetzt bestellen. Aber Markus wollte das Mädchen morgen nochmal sehen, und er arbeitet nun mal nur nachmittags.

      „Ok.“ „Alles klar, auf welchen Namen darf ich das Buch vormerken?“ „Marlies Michlfelder.“ Markus nickte und tippte den Namen in das Formular ein. Marlies. Lisa oder Nina würden so viel besser passen. Marlies. Er kannte niemanden, der so hieß. Marlies. So hießen Omas, die kleine Deckchen in Pastelltönen häkelten.„Ist bestellt!“ Marlies Michlfelder nickte. „Alles klar, dann bis morgen.“ Mit ihren eisblauen Augen starrte sie ihn an. „Bis morgen!“

      Die Glocken klingelten länger nach als sonst, nachdem Marlies Michlfelder den Laden verlassen hatte. „Hat sie was gekauft?“, hörte Markus Frau Macharzenski aus dem Lager rufen. „Sie war immerhin lang genug da.“ „Nein, aber sie hat was bestellt. Einen Roman. Kommt morgen.“ Ohne es zu sehen wusste Markus, dass Frau Macharzenski zufrieden nickte. Das tat sie immer.

      Markus war am nächsten Tag überpünktlich im Laden. Frau Macharzenski beäugte ihn skeptisch über die Ränder ihrer Brille, als er um drei nicht mal eine Raucherpause einlegen wollte. „Kannst schon ruhig raus gehen. Ich bin ja da.“ „Nee, danke.“ „Willst du etwa aufhören?“ Markus lachte. „Niemals. Aber vielleicht ein bisschen weniger Machen.“ Das war gelogen. Markus wollte rauchen. Sehr sogar. Aber er hatte Angst, Marlies Michlfelder zu verpassen. Er hoffte, sie würde bald kommen, damit er in Ruhe im Hinterhof rauchen konnte.

      Der Nachmittag verging langsam. Zwei „Pixie“-Bücher hatte er einer aufgedrehten alten Dame für den Besuch ihrer Ur-Enkelin verkauft, außerdem zwei Thriller. Wie immer was von Sebastian Fitzek. Er hatte die Bestellungen abgearbeitet und die neuen Lieferungen ausgepackt. Der bestellte Roman von Marlies Michlfelder, „Die Entdeckung der Langsamkeit“, lag neben der Kasse. Frau Macharzenski hatte sich schon gewundert und das Buch weggeräumt. Markus hatte es sich wieder zurückgeholt. Ganz heimlich. „Irgendwie bist du heute komisch“, meinte Frau Macharzenski als sie zu einer Raucherpause nach hinten schritt.

      Es war halb sechs. 30 Minuten vor Ladenschluss. Markus war nervös, ihm fehlte das Nikotin. Noch immer keine Spur von Marlies Michlfelder. Heute Abend würde Markus die erste Schicht der Woche in der Kneipe arbeiten. Mittwoch war gut. Mittwoch war meisten nicht sonderlich viel los. Er würde Zeit haben mit Eva zu ratschen.

      Scheppernd ging die Tür auf. Die kleinen Glöckchen wollten sich gar nicht mehr beruhigen. Marlies Michlfelder blickte sich erschrocken um. Sie trug die gleiche Jeansjacke wie gestern, nur hatte sie heute die Haare zu einem schlampigen Zopf gebunden. „Das passiert öfter mal“, sagte Markus. Es war gelogen. „Man darf die Türe nicht so ruckartig aufreißen.“ Leicht verunsichert kam sie zur Kasse. „Ich hab ein Buch bestellt.“ Markus kramte betont langsam im Regal hinter ihm herum, obwohl er genau wusste, dass das Buch direkt unter der Kasse lag. „Die Entdeckung der Langsamkeit für Marlies Michlfelder, richtig?“ „Ja, richtig.“ „Einen kleinen Moment. Ich muss es nur noch finden.“ Er hoffte, er konnte sie damit beeindrucken, dass er ihren Namen noch kannte. Vielleicht aber dachte sie dadurch, die Buchhandlung würde so schlecht gehen, dass sie die einzige Kundin war, die gestern ein Buch bestellt hatte und er daher noch ihren Namen wusste. „Für was brauchst du das Buch?“, fragte er. „Zum Lesen. Eine Freundin hat es empfohlen. Klang ganz spannend.“ „Ah, ich dachte, du würdest es vielleicht fürs Studium brauchen.“ Sie schüttelte den Kopf. „Nein, nein mit dem Studium bin ich schon fertig. Jetzt habe ich den Luxus nur noch zum Vergnügen zu lesen.“ Markus schmunzelte. „Was hast du studiert?“ „Medienwissenschaften,“ antwortete sie knapp. „Und was machst du jetzt?“ Sie lachte abfällig. „Ich kellnere im Café gegenüber.“ Café war übertrieben. Es war eher eine Bäckerei, in der sich nachmittags die Rentner zu Kaffee und Kuchen trafen. Markus hatte sie da noch nie gesehen. „Ich hol mir da ganz gerne mal einen Kaffee.“ „Ich arbeite erst seit dieser Woche da. Meine Tante ist die Geschäftsführerin.“ „Irgendwie muss man ja die Miete bezahlen. Ich hab auch mal studiert. Allerdings abgebrochen. Eigentlich wollte ich wieder damit anfangen, aber irgendwie ...keine Ahnung. Ich glaube, ich bin durch mit der ganzen Uni-Sache.“„Ich würde vermutlich auch nicht mehr studieren. Oder zumindest etwas anderes machen. Was Sinnvolleres, Marlies Michlfelders Miene verdunkelte sich. „Ha, hier ist es ja!“, Markus hob triumphierend das Buch nach oben. „9,99.“ Marlies drückte ihm zwei fünf Euroscheine in die Hand. „Willst du eine Tüte?“ „Nee, geht auch ohne“, sie stopfte das Buch in ihre dafür eigentlich zu kleine Ledertasche. Zu ging die Tasche aber trotzdem. „Was hast du denn studiert?“ „Kunstgeschichte.“ „Oh, also kennst du auch die ganzen doofen Taxifahrer-Sprüche.“ „Oh ja, zu genüge ...“ „Komm doch mal auf einen Kaffee rüber.“ „Klar, gerne! Ich liebe Kaffee.“ Marlies grinste zum ersten Mal in dem Gespräch. „Ich auch. Und das Gute an dem Job ist, ich kann so viel trinken, wie ich will. Geht alles aufs Haus.“ „Das ist gut.“ „Ja, und die Rentner sind nett und lieb und geben ordentlich Trinkgeld. Eigentlich kann ich nicht klagen.“ „Gut, dann komm ich mal vorbei, Marlies.“ „Ach, eigentlich heiß ich Mimi“, sagte sie. „So, ich muss dann mal los. Man sieht sich!“ Mit einem Krachen fiel hinter ihr die Tür ins Schloss. Wieder schepperten die Glocken. „Manche Leute haben einfach kein Feingefühl was Türen angeht!“, hörte er Frau Macharzenski im Lager wettern. „Vielleicht sollten wir die Glocken auch wegmachen, nervt doch nur. Und die Alten erschreckt sie teilweise.“ „Nein! Die Glocken bleiben da! Das war bei meinem Vater schon so. Sonst wissen wir ja auch gar nicht, wenn jemand in den Laden kommt. Das mit den Raucherpausen könntest du dann auch vergessen. Auch wenn du