Julia im Liebestaumel. Christina Brand

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Название Julia im Liebestaumel
Автор произведения Christina Brand
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783748591382



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ein schöner Tag. Sie ließ die frische Luft in den Raum und verschwand im angrenzenden Bad. Nachdem sie ausgiebig geduscht hatte, bereitete sie sich das Frühstück und beschloss, hinunter in die Stadt zu fahren. Sie hatte noch einige Besorgungen zu erledigen, zuvor aber wollte sie Franks Anwalt ihre Ferienadresse und ihre Telefonnummer mitteilen. Falls er noch Fragen hatte, konnte er dann sie hier erreichen. Sie hatte ihm fast alles über Frank erzählt, dass sie von Kindheit an kannte, dass beide vieles in ihrer Jugend gemeinsam erlebt hatten und noch heute die besten Freunde seien. Beide hatten sich immer gut verstanden, und wenn sie sich zufällig trafen, erzählte Frank häufig von Kirstin. Dass es nicht einfach für ihn sei, mit ihr zu leben, aber er liebe sie. Erst vor ein paar Wochen, als Julia gerade dabei gewesen war, ihre Galerie zu verlassen, hatte Frank vor der Eingangstür gestanden und sie sprechen wollen. Julia war überrascht gewesen, und sie hatten beschlossen, zusammen zum Italiener an der Ecke zu gehen, um sich dort ungestört zu unterhalten. Frank schien nervös und angeschlagen. Julia versuchte, ruhig zu bleiben und der Situation etwas Normales zu geben. Nachdem sie bestellt hatten, ergriff Frank Julias Hände:

      „Kirstin will sich von mir trennen.“

      Seine Stimme zitterte, Julia schaute ihn mit großen Agen an.

      „Ja, aber warum, Frank?“

      „Sie will ihre Freiheit, sie will nicht mehr an mich gebunden sein. Stell dir vor, sie ist bereits ausgezogen mit allen ihren Sachen und wohnt jetzt bei ihrer Freundin Karla.“

      „Das gibt’s doch nicht! Frank, du musst noch mal mit ihr reden!“

      „Das wollte ich, aber sie will nicht mehr mit mir sprechen, und wenn ich bei Karla anrufe, lässt sie sich verleugnen. Heute morgen habe ich ein Schreiben von ihrem Anwalt erhalten, dass sie die Scheidung eingereicht hat.“

      „Ja, aber warum alles so schnell? Das verstehe ich nicht.“

      Kirstin war schon immer so, sie überlegt nicht lange, fasst schnelle Entschlüsse.“

      Frank sprach plötzlich lauter, am Nebentisch drehten sich die Köpfe zu ihnen herüber.

      „Reg dich nicht auf“, sagte Julia, „wir werden ganz ruhig darüber reden.“

      Der Kellner schenkte ihnen Wein ein und servierte die Pizza.

      „Frank, du hast immer erzählt, dass es nicht einfach wäre, mit Kirstin zu leben. Vielleicht ist es doch besser, wenn ihr auseinander geht?“

      Frank stützte sein Kinn in die Hände und schüttelte den Kopf.

      „Ich liebe sie, Julia.“

      „Aber es ist eine einseitige Liebe, Frank, überlege mal. Über kurz oder lang hättet ihr euch auseinander gelebt, hättet immer häufiger gestritten.“

      „Du hast ja recht, aber warum will sie keine Aussprache mit mir?“

      „Sie wird befürchten, dass du sie nicht verstehen willst, davor hat sie Angst.“

      Julia schaute auf die Uhr und deutete an, dass sie noch schnell zur Druckerei müsse. Am Samstag fände eine Vernissage in ihrer Galerie statt, und sie müsse noch die Einladungen verschicken. Der eilends herbei gerufene Kellner kassierte, und Julia verabschiedete sich von Frank mit ein paar tröstenden Worten:

      „Komm doch am Samstag in die Galerie, wenn du Lust hast, das lenkt dich ein wenig von deinem Kummer ab.“

      „Ich werd’s mit überlegen,“ meinte Frank, und beide winkten sich zum Abschied zu.

      Wie ein Film lief dies alles vor Julias Augen noch einmal ab. Rasch räumte sie das Geschirr zur Seite, griff nach ihrer Jacke, lief aus dem Haus den Hang hinunter zu ihrem Auto. Eigentlich war der Tag viel zu schön, um an traurige Dinge zu denken, aber Franks Schicksal ließ ihr keine Ruhe. Hier in dem idyllischen Ort hatten sie früher viel gemeinsam unternommen. Er war der Sohn von Bekannten ihrer Eltern und wohnte damals ganz in ihrer Nähe. Von klein auf waren sie zusammen gewesen, zuerst in der Grundschule und später auf dem Gymnasium, wo sie beide das Abitur ablegten. Da Julia keine Geschwister hatte und sich mit Frank so gut verstand, hatten ihre Eltern erlaubt, dass er die Ferien mit ihnen in ihrem Domizil hoch über dem See verbrachte. Es war eine schöne Zeit gewesen, die sie in den Sommermonaten miteinander verlebt hatten. Sie machten zusammen Ausflüge in die Umgebung und fuhren zum See, um zu baden. Und als sie etwas älter geworden waren, waren sie abends häufiger mit Raffaela und Angelo, zwei jungen Leuten, die sie im Ort kennengelernt hatten, in ein Tanzcafé gegangen. Es war immer etwas los gewesen, und sie hatten eine Menge Spaß gehabt. Aber wie lange lag das schon zurück? Es war noch vor dem Tod ihrer Mutter gewesen, erinnerte sich Julia, danach hatte sie Frank nicht mehr so häufig gesehen. Sie war für drei Jahre nach Genf gegangen, hatte dort Kunst studiert und anschließend eine Galerie in München eröffnet. Frank studierte zur gleichen Zeit Sprachen am Dolmetscherinstitut und war nun als Übersetzer in einer großen Firma tätig. Auch ihn hatte es nach München verschlagen, obwohl sie beide aus Hamburg stammten. Sie telefonierten gelegentlich miteinander, aber der Kontakt war immer spärlicher geworden, und manchmal hörten sie monatelang nichts voneinander. Bis eines Tages Frank bei ihr angerufen hatte: „Julia, ich habe die Frau meines Lebens gefunden. Wir werden bald heiraten und möchten dich zur Hochzeit einladen.“ Mit überschäumender Freude hatte er von Kirstin berichtet, die er in einem Fotoatelier kennengelernt hatte. Sie hatte Passfotos von ihm gemacht, und da hatte es gleich gefunkt. Er wollte wieder von sich hören lassen, denn er hatte vor, ihr als seiner vertrautesten Freundin Kirstin bald vorzustellen. Er war ganz verrückt gewesen vor Freude, sodass er nicht einmal nachfragte, wie es ihr ginge. Julia hatte nur „Ja, bis bald“ gesagt und aufgelegt. Damals schien es ihr, dass Frank der glücklichste Mann auf Erden werden müsse. Und nun das: Kirstin war tot, und Frank saß im Gefängnis.

      Auch ihre Beziehung zu Florian war vor kurzem auseinander gebrochen. Er hatte sich, als sie übers Wochenende verreisen musste, mit Myriam, einer gemeinsamen Bekannten eingelassen. Nun war sie schwanger. Myriam wollte das Kind unbedingt haben, ob mit oder ohne Vater. Florian selbst mochte sich weder für noch gegen das Kind entscheiden, war unschlüssig und ratlos. Julia nahm ihm den Seitensprung nicht einmal übel. Denn bevor Florian sie hintergangen hatte, war ihre Liebe zu ihm merklich abgekühlt gewesen. Sie hatte eigentlich keine Ursache für die Entfremdung gesehen und konnte sich selbst nicht erklären, warum sie immer weniger für Florian empfand. Sicher, zunächst hatte sie sich in ihrem Stolz verletzt gefühlt, aber dann überwog der Verstand. Es war besser so! Florian war nicht der richtige Mann für sie. Er sah alles viel zu oberflächlich, war mit seinen dreißig Jahren manchmal wie in Kind, unreif und ohne Verantwortungsbewusstsein. So war es auch jetzt, da Myriam ein Kind erwartete, und er nicht wusste, wie er sich entscheiden sollte. Aber das musste er alleine herausfinden, sie hatte keine Lust, ihm Ratschläge zu erteilen, für die er sicher dankbar gewesen wäre. Er hätte sich bestimmt noch ganze Tage mit ihr über sein Problem unterhalten, hätte alles Unangenehme bei ihr abgeladen, so wie er es immer getan hatte und anderen die Verantwortung übertrug. Aber Julia hatte ihm dieses Mal keine Gelegenheit dazu gegeben. Es war nun seine Sache, und er sollte sich mit Myriam auseinandersetzen. Vielleicht würde er jetzt erwachsen werden. So hatte Julia nur „Adieu, Florian, mach’s gut!“ gesagt und einen völlig verunsicherten Mann zurückgelassen.

      Julia hatte Glück und fand eine Parklücke nahe der Seepromenade. Sie wollte zunächst alle Besorgungen erledigen, zur Bank gehen und später in Ginos Restaurant eine Kleinigkeit essen. Sie nahm den Einkaufskorb, schloss ihren Wagen ab und lief beschwingt die paar Schritte zur Fußgängerzone. Was für ein herrlicher Tag, die Wärme tat ihr gut und sie fühlte sich jetzt schon besser als in den vergangenen Tagen. Es war richtig gewesen, dass sie ihren Urlaub einfach früher genommen hatte, sie musste ausspannen, auf andere Gedanken kommen. Da war dieser Ort gerade richtig. Einerseits das heitere, pulsierende Leben, das sich hier in den Straßen und Gassen dieser interessanten Stadt abspielte, und andererseits die märchenhafte Ruhe in ihrem idyllisch gelegenen Ferienhaus ‒ beides erleichterte es ihr, auf andere Gedanken zu kommen und die Erlebnisse der letzten Tage zu verdrängen, und sie war froh darum. Zielstrebig lenkte sie ihre Schritte dem Markt zu. Ja, das war ihr zweites Zuhause, die vielen kleinen Läden und Boutiquen, die Obst-, Gemüse- und Delikatessengeschäfte, ein paar Studenten,