Die Damaszener-Rose. Johann Widmer

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Название Die Damaszener-Rose
Автор произведения Johann Widmer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783752991284



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aber Jahre ins Land, in denen die Nachfrage nach Töpferwaren immer kleiner wurde und im Hause Hasans Eltern begann der Hunger aus den dunkeln Ecken zu starren. Zwei seiner Brüder arbeiteten bereits, sehr ungern zwar, bei einem Fellah, einem Gemüsebauern in der Oase, da zu Hause keine Arbeit für sie mehr war und halfen mit ihrem magern Verdienst über die grösste Not hinweg. Die Karawanen wurden aber immer seltener, immer kleiner.

      Da kam endlich wieder einmal ein richtig grosser Handelszug in die Stadt. Es mochten über tausend Lasttiere gewesen sein, Esel, Maultiere und Kamele. Und was für herrliche Kamele! Kaufleute in reichen, bunten Gewändern erwarteten mit stolzer Gleichgültigkeit Kundschaft, die vielen Kameltreiber schrien und brüllten herum, wohl um ihre eigene Wichtigkeit zu zeigen und eine grosse Schar von schwarzen Männern beeilte sich die Lasttiere zu entladen, zu füttern und zu tränken.

      Die Handwerker hofften alle auf grosse Geschäfte, aber Hasans Vater konnte nur eine allereinzige Kamellast von Geschirr einem befreundeten Kaufmann verkaufen. Die Geschäfte würden nicht mehr so gut gehen wie früher, klagte dieser, der Salzpreis sei niedrig wie noch nie und an den Datteln liesse sich auch nichts mehr verdienen, sogar der Transport von Hirse sei ein Hungerleidergeschäft geworden und Töpfe, das kleine dicke Männchen schnaubte verächtlich durch die Nase, Töpfe und Geschirr nehme er aus purer Freundschaft zu Hasans Vater noch mit auf die Reise. Da jeder zerbrochene Teller auf seine Kosten gehe, könne man sich leicht ausrechnen, was für ihn noch übrig bleibe, lamentierte der recht wohlgenährte Kaufmann weiter. Wenn das so weitergehe, seufzte er, seinen dicken Bauch streichelnd, werde er demnächst verhungern, elendiglich verhungern. Na ja, so sei das nun einmal und nur Allah allein wisse, wozu das gut sein möge. Das Männchen seufzte ein weiteres Mal und sagte traurig, dass er sogar seinen Gehilfen hätte entlassen müssen, weil der zuviel Lohn gefordert habe, aber wer belud nun seine Kamele? Wer hütete seine Waren, wenn er einen dringenden Geschäftsgang zu tun hatte?

      Hasan, der diesmal bei den Geschäftsverhandlungen zugegen war, fühlte, dass jetzt der wichtigste Moment seines Lebens da war. Hier bot sich die Möglichkeit, endlich seinen grossen geheimen Wunsch zu erfüllen.

      Der Vater, ein Sesshafter, war von der Idee seines Sohnes, ein Reisender und Karawanenhändler zu werden, gar nicht begeistert. Das müsse man noch alles durchdenken, meinte er, aber der Kaufmann hatte eingeschnappt, er hatte ja bereits im Stillen gehofft, Hasans Vater trete ihm einen seiner Söhne ab, um den weggelaufenen Gehilfen zu ersetzen. Arbeit war keine da, das Essen fehlte und auch die Kleider dieser Leute waren offensichtlich nicht die allerneusten. Hier musste man froh sein, einen unnützen Esser loszuwerden. So etwa hatte sich der Händler Omar die Sache vorgestellt, nun kam ihm der junge Bursche noch entgegen.

      Hasans Vater äusserte viele Bedenken. Was hatte man nicht alles schon gehört von verirrten und verdursteten Karawanen, von verheerenden Sandstürmen, die in kürzester Zeit den grössten Lastzug unter riesigen Dünen begruben, von wilden Tieren, von Räubern und Sklavenjägern.

      Omar meinte dazu, das vom Sandsturm sei ein dummes Märchen, wie so vieles, was man von der Wüste erzähle. Und die Räuber, ja freilich, die gebe es schon, aber die würde er nicht fürchten und mit rollenden Augen blickte er auf seine Pistole mit dem armdicken Kanonenrohr, die er nun aus seinem Gürtel zog. «Pif, paf, pum und selbst die blauen Männer auf ihren Rennkamelen ergreifen die Flucht,» schrie der mutige Omar und fuchtelte dabei wirklich furchterregend mit seinem unförmigen Schiessprügel in der Luft herum.

      Hasans Vater war scheinbar wenig beeindruckt von dieser kriegerischen Demonstration und meinte nur, Omar solle das Ding wegstecken, er könnte sich damit noch wehtun.

      Schliesslich einigte man sich, dass Hasan mitziehen werde. Vorerst würde die Reise durch einige Oasenstädte der Gegend gehen, wo Datteln eingekauft wurden, dann quer durch die grosse Wüste bis nach Agadez. Dort sollte Hasan mit der nächsten Karawane nach Norden seinen Heimweg antreten, denn Vater wollte nicht, dass er bis zu den Salzoasen mitreiste.

      Von der grossen Tenerewüste hatte er schon zu viele Schauergeschichten gehört.

      Omar schwor, dass er Hasan behandeln und behüten werde, wie einen eigenen Sohn, Allah solle Zeuge sein, und vielleicht könne er sogar einen tüchtigen Händler aus dem Jungen machen, der später ihre Töpferwaren in der ganzen Welt der Gläubigen vertreiben und verkaufen werde, In schah' Allah!

      Als sich die grosse Karawane von der Oase entfernte, ritt Hasan an der Seite seines Meisters auf einem schönen weissen Kamel, das ihm dieser als Reittier zur Verfügung stellte. Omar hatte wirklich Wort gehalten und behandelte Hasan wie einen eigenen Sohn und verlangte auch von den Kamelführern und Sklaven, dass sie ihm respektvoll begegneten und seinen Anweisungen Folge leisteten ohne zu Murren. Hasan staunte schon am ersten Reisetag, wie gross die Welt war. Nach zehnstündigem Ritt und Marsch durch eine eintönige steinübersäte Ebene traf man endlich auf ein Brunnenloch. Der Anführer gab Befehl zum Anhalten und Abladen .

      Hasan war von der langen Reise in der Sonnenglut und dem heissen, trockenen Wind wie ausgedörrt. Dass das Reiten auf einem Kamel auch gelernt werden musste, war seine zweite schmerzliche Erfahrung und dass das Gehen neben oder vor dem Reittier in der Felswüste eine sehr harte Angelegenheit war und jeder Schritt im weichen Sand ihn spüren liess, wie schwer seine eigenen Füsse waren. Müde, durstig, hungrig und mit blasenbedeckten und zerschundenen Füssen musste er das Abladen der Kamele überwachen, damit nichts zerbrach und nichts verloren ging.

      Als er in seine weiche Decke gehüllt am warmen Feuerchen auf das Essen wartete, fiel er in einen derart tiefen Schlaf, dass ihn der schwarze Koch, der das Abendbrot brachte, mit keinem Mittel wachkriegen konnte. «Lassen wir ihn schlafen,» meinte Omar, der fürsorglich noch eine weitere Wolldecke über den Jungen legte, damit dieser sich in der Kühle der Nacht nicht erkälte.

      Frühmorgens, lange bevor der Tag anbrach, noch vor dem Morgengebet, wurden die weidenden Kamele eingefangen, auf die Knie gezwungen und dann mit viel Geschrei, Lärm und Unruhe wieder beladen.

      Über dem wiederangefachten Feuerchen hatte der Koch eine dicke Bohnensuppe, den Ful, gekocht und bevor die Sonne aufging, war die lange Karawane schon wieder auf dem Marsch. Hasan sass an diesem Tag schon etwas sicherer auf seinem Reittier und fürchtete sich fast nicht mehr vor dem Hinunterfallen, obschon der Boden immer noch gleich weit entfernt war, nämlich sehr, sehr weit unten. Er versuchte auch, wie er es bei seinem Meister sah, seine Beine über dem Kamelhals zu kreuzen, statt sie an den Seiten herunterbaumeln zu lassen, was nämlich für unwürdig und anfängerhaft gilt. Auch das Gehen fiel ihm heute schon etwas leichter, trotz geschwollener und blutiger Zehen. Kamelreiten heisst nämlich, dass man die eine Hälfte des Weges reiten kann und die andere zu Fuss gehen muss, damit das Dromedar sich nicht allzu sehr ermüdet und geschwächt wird.

      Hasan war froh, als der Karawanenführer am späten Nachmittag anhalten liess. Sie waren in ein breites Flusstal hinuntergestiegen, in dem zwar nur alle 50 Jahre einmal Wasser floss, aber da gab es viele grüne Büsche und Bäume, stachelige Hadsträucher, saftiggrüne Tamarisken und dornenbewehrte Akazienbäume; alles wahre Leckerbissen für Kamelgaumen.

      Die Kamele und die andern Lasttiere wurden von ihrer Packung befreit, an den Vorderbeinen derart gefesselt, damit sie nicht weit laufen konnten und dann liess man sie auf die grüne Pracht los, der sie sogleich übel zusetzten.

      Nach weiteren zwei sehr mühsamen Tagen, quer durch eine glühendheisse, topfebene schwarze Steinwüste ohne Brunnen und ohne Pflanzen, erreichte die Karawane die nächste Oase. Der Lagerplatz war im Schatten alter Palmen an einem kleinen See, unweit des südlichen Stadttores.

      Omar besuchte seine Geschäftsfreunde, um Waren zu kaufen und zu verkaufen und machte die Kaufleute mit Hasan bekannt, den er überall als seinen Nachfolger bezeichnete. Omar zeigte seinem Lehrjungen, wie man mit Geschäftspartnern ruhig, überlegt und mit endloser Geduld verhandelte, ohne aber das Ziel der Verhandlung je aus den Augen zu verlieren, wie man zäh am Preis der eigenen Waren festhielt, ohne aber dem Kunden die Hoffnung auf einen Preisnachlass zu nehmen, wie man den Preis einer zu kaufenden Ware drückte, ohne sie aber herabzuwürdigen, wie man dem Kunden schmeichelte, ohne aber plump zu werden. Er lehrte den Jungen auch, dass bei jedem Kauf oder Verkauf beide Teile das Gefühl haben mussten, sie hätten ein vorteilhaftes Geschäft getätigt,