Die Damaszener-Rose. Johann Widmer

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Название Die Damaszener-Rose
Автор произведения Johann Widmer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783752991284



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über das Tier. Sie begann zu schimpfen und zu keifen. Was sie denn mit einem Esel anfangen sollten, der nur noch fressen könne und sonst nichts mehr tauge, und ob er eigentlich verrückt geworden sei, ob er ihn gestohlen habe, ja er habe ihn sicher gestohlen und man würde ihm nun seine rechte Hand abhacken, aber dann geschehe ihm Recht, und überdies sei das ein altes Tier, ob er das denn nicht gesehen habe, das sei so alt, dass man es nicht mal mehr verspeisen könne, das gäbe nicht mal mehr Hundefutter und zudem hätten sie keinen Stall für das Vieh und in ihre Hütte komme es nicht herein, nie und nimmer, und wenn er ihm nicht sofort und auf der Stelle den Laufpass gebe oder es im Fluss ersäufe, so lasse sie auch ihn nicht mehr ins Haus herein und er solle dann selber schauen, wo er nachts seine alten Knochen hinlegen könne.

      Zum Zeichen, dass es ihr ernst sei, schob sie ein paar Schilfhalme vor die Eingangsöffnung, das ist soviel, wie wenn ein reicher Oberstädter sein Palasttor verschliesst und verriegelt.

      Der Bettler verstand den Wink.

      «Komm Brüderchen,» sagte er zu seinem Grautier und verschwand mit ihm in der Abenddämmerung.

      Vor der Stadt, dort wo die Wüste beginnt, setzte sich der Alte auf den Esel und nun ging es plötzlich in flottem Trab in die nächtliche Landschaft hinaus. Der Abendritt schien beiden grossen Spass zu machen und der helle Mond stand schon recht hoch, als sie in ein enges Felsental einritten.

      Bei einer munter sprudelnden Quelle unter einer Palmengruppe machte der Esel halt. Saftige Disteln und ein paar reife Datteln am Boden sorgten für menschliches und tierisches Wohlergehen und schliesslich versuchte der alte Bettler den Schlaf zu finden, an einen Palmenstamm gelehnt, die gelbe Scheibe des Mondes über sich und, und da war noch etwas, seit sie hier angekommen waren war da ein Duft, so unbeschreiblich fein und zart, fast seidenweich die Luft durchwebend, so süss, wie Lukumi auf der Zunge und doch wieder herb wie ungezuckerter Tee, flaumig wie Pfirsichhaut die Nase schmeichelnd und doch auch rauh wie ein Kamelrücken. Eingehüllt in diesen herrlichen Duft, flogen Träume herbei, Träume von Paradiesgärten und Springbrunnen mit wohlriechenden Wässern, auf der Stirne das kühle Streicheln der hauchzarten Hände der Huris, wie sich die holden Wesen im Garten der Gärten nennen, ein sanftes Lüftchen von Weihrauch, Zimt und Moschus, oder war das...?

      Plötzlich war er hellwach.

      Das musste der Duft einer Blume sein, einer ihm noch unbekannten Blume.

      Er sprang auf und begann im hellen Mondlicht zu suchen, immer mit der Nase voran, versteht sich.

      Im Morgengrauen fand er endlich die Quelle des himmlischen Genusses. Eine Rose .

      Mitten im wüsten Gerölltal wuchs der dornige Busch, der diese Wonnen verbreitete.

      Er brach behutsam eine Blumenknospe und rief dann seinen Esel herbei, der, echt Esel, ihm gleich die Blüte aus der Hand frass und dabei verzückt mit den langen Ohren wackelte.

      So war es aber nun nicht gemeint.

      Selbdritt, nämlich: Esel, Bettler und Rosenbukett jagten sie zur Stadt zurück.

      Es war weitherum bekannt, dass unser Sultan ein grosser Verehrer von Düften war und dass er für besonders wohlriechende Blumen den ärmsten Teufel zum reichsten Mann machen konnte. Dieser Gedanke trieb den Bettler an. Er stellte sich vor...

      Vor lauter Aufregung, oder vielleicht, weil er die Gegend nicht kannte, irrte er lange durch die Gärten des Sultans ohne das Palasttor zu finden, ehe er von der Palastwache gefasst wurde. Die machte aber gar kein langes Federlesen mit ihm, dem vermeintlichen Blumendieb.

      Sogar der Hauptmann der Wache nahm sich seiner persönlich an und trat ihn tüchtig von vorne und von hinten, schlug ihn auf den Kopf und ins Gesicht ehe er ihn über die hohe Palastmauer in den stinkenden Wassergraben warf. Zum Glück des alten Bettlers war der Kanal voll von Unrat und Kot und so fiel er in die weiche übel riechende Masse, ohne dabei ernstlich Schaden zu nehmen.

      In der Wachstube erholte man sich von der Heldentat. Plötzlich sagte der Hauptmann: «Was riecht denn hier so fremdartig, so ungehörig fein?» In Wachstuben hat es bekanntlich nach Leder, Fisch, Schweiss, Angstschweiss , Kohlsuppe und Gewehrfett zu riechen und so wurde der Rosenduft als ungehörig empfunden.

      Man fand schliesslich im allgemeinen Schmutz des Bodens eine Rosenblüte, halb zertreten. Der Chef schnupperte daran, sog gierig den ihm unbekannten Duft ein, wurde plötzlich nachdenklich, roch ein weiteres Mal an der Blüte und fragte dann seine Soldaten in ganz normalem Ton, ohne zu fluchen oder zu brüllen, wie es sein Amt und seine Pflicht gewesen wäre, ob sie je Ähnliches gerochen hätten.

      Keiner von allen hatte je.

      Seine Audienz beim Sultan war ein voller Erfolg. Er kehrte im Generalsrang zu seinen Wächtern zurück und rasselte stolz mit seinem neuen goldenen Säbel und klimperte mit seiner ordensbehängten Brust und brüllte von nun an noch lauter.

      Blumen haben ein kurzes Leben, aber noch so wenig Zeit genügte, um den Sultan auf den Duft dieser ihm unbekannten Blume süchtig zu machen. Die Träume, die sein königliches Herz erfreuten, waren unbeschreiblich und unvorstellbar, wenn man bedenkt, welch paradiesische Entrückung selbst ein armer, zerlumpter Bettler erlebt hatte, um wie viel herrlicher müssen die seelischen Höhenflüge des Sultans und Beherrschers aller Gläubigen, Allah möge ihn uns weiterhin erhalten, gewesen sein.

      Noch verzückt in seliger Wolke schwebend rief er nach dem General der Palastwache und bat ihn in freundschaftlichem Ton, um eine weitere Blüte dieser königlichen Blume, dieser Zauberin der Seele.

      Der General knallte seine Absätze zusammen, das tun sie immer, wenn sie nicht mehr weiter wissen und schrie: «Es soll geschehen, wie der Herrscher aller Gläubigen befiehlt!» und wollte rechts umkehrt und sich selber aus dem Staub machen.

      Aber der Sultan war heute leutseliger Stimmung und wollte noch dies und das über die Blume erfahren, wo sie gedeihe, ob sie an einem Strauch wachse und das und jenes, aber schliesslich gab er es auf, denn sein General war offensichtlich nun mal kein Botaniker.

      In der Wachstube war die Hölle los. Der General tobte so richtig herum, wie er es mochte, aber schliesslich musste er eingestehen, dass er den alten Bettler eigenhändig ersäuft hatte und von ihm nicht mehr erfahren würde, woher die Blume stammte und somit nur schwer für Nachschub sorgen konnte.

      Alle Soldaten, auch die Reservisten, wurden ausgeschickt, um im Palastgarten die gesuchte Pflanze zu finden. Eine Horde Soldaten im Blumengarten macht ungefähr den gleichen Effekt, wie doppelt so viele Wildschweine im Gemüsegarten und die suchen sich ja auch keine Blümchen um daran zu schnuppern.

      Und was die tapferen Krieger alles anschleppten!

      Die Wachstube glich bald einer Müllhalde nach dem Blumen- und Gemüsemarkt.

      Als endlich der Major, der die Blümchensuchaktion geleitet hatte, die totale Verwüstung der einst zauberhaften Gärten meldete, war die gesuchte Blume immer noch nicht gefunden.

      In der Zwischenzeit hatte der Sultan schon voller Ungeduld mehrmals nach dem General verlangt, der sich aber jedes mal verleugnen liess. Ein seltsames heisses kitzliges Gefühl in der Halsgegend liess ihn zudem Böses ahnen.

      Die Palastwache hatte indessen auch schon sämtliche Lustgärten der reichen Kaufleute heimgesucht und geplündert und war bereits in den stillen Gärtchen der Handwerker eingedrungen, aber von der gesuchten Blume war keine noch so leise Spur gefunden worden.

      Schliesslich liess der frischgebackene General voller Verzweiflung in der ganzen Stadt bekanntmachen, dass derjenige, welcher ihm besagten himmlischen Duftspender, er wisse ja schon worum es sich handle, bringe, reich belohnt werde, sollte er die Blume aber weiterhin verbergen, würde man ihn, von oben her gemessen, um eine Fusslänge verkürzen.

      Und, er traute seinen Augen kaum, hatte er sich selber schon als kopflose Leiche gesehen, da kam doch der von ihm eigenhändig ersäufte Bettler ... na ja, nun war keine Zeit mehr auf Details einzugehen, denn der Sultan war schon sehr ungeduldig und der Duft, besser gesagt der fürchterliche Gestank, den die Geschwüre oder die Kleider dieses zerlumpten und grindigen Bettelmannes verströmten, war derart ekelhaft und