Die Damaszener-Rose. Johann Widmer

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Название Die Damaszener-Rose
Автор произведения Johann Widmer
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783752991284



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      Die Damaszener Rose

      Arabische Geschichten aus dem Maghreb

      Johann Widmer

      Band 1

      Mein Studium der arabischen Sprache und Kultur haben mich bewogen meinen bescheidenen Beitrag zur Tradition des «Meddah», des Geschichtenerzählers zu leisten, als Dank für meine Lehrer.

      Stiftung Augustine und Johann Widmer, Hrsg.

      © Stiftung Augustine und Johann Widmer

      Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werks darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Bildungszentrums reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

      www.johann-widmer.ch

      ISBN: siehe Umschlag

      1. Auflage 2020

      Vorwort

      Der orientalische Märchenerzähler kann auf eine uralte Tradition zurückblicken, aber seine Blütezeit ist leider längst vorbei. Er war einst ein wichtiger Kulturträger und Kulturvermittler.

      Er war Unterhalter, Clown, Lehrer, Moralprediger, Therapeut, Prophet, Historiker, Vermittler religiöser Legenden, Puppenspieler und Pantomime, Schauspieler, Sänger und Rezitator.

      Sein Repertoire umfasste historische Erzählungen, Burlesken, Liebesgeschichten, Tragödien, Märchen, erotische Geschichten, Heldengesänge, Gedichte, Gesellschaftskritik und Lobhudeleien für die Mächtigen der Zeit.

      Was einst die Griots in Westafrika, die Meddah zur Zeit der Kalifenreiche oder die Minnesänger des Mittelalters bedeuteten, ist längst durch modernere Medien ersetzt, aber der Geschichtenerzähler wird bleiben.

      Es sind leider nur noch wenige Meddah übriggeblieben in Marrakesch, in Tunis oder vielleicht noch in Algier, aber im Moment haben die Menschen im Maghreb ganz andere Sorgen.

      Der «Maghreb», der «Westen» (arabisch: el maghrib, bedeutet «dort wo die Sonne untergeht»), umfasst im weiteren Sinne alle arabischen Staaten von Nordafrika westlich von Ägypten, enger gefasst sind es Tunesien, Algerien und Marokko.

      Die Damaszener-Rose

      Tag für Tag stand der alte Bettler pflichtbewusst vor der Moschee, damit die Gläubigen dem religiösen Gebot des Almosengebens nachkommen konnten, aber die vielen kleinen und kleinsten Münzen, die er erhielt, ergaben bis am Abend zusammen kaum einen Piaster und hätte ihm der Bäcker nicht hie und da einmal ein Fladenbrot geschenkt, so wäre er bestimmt irgendwann elendiglich verhungert und die Stadt wäre ohne Bettler gewesen. Und das Gebot des Zakkat? Was wäre, wenn da kein Bettler mehr vor dem Haus Allahs stehen würde? Welch schrecklicher Gedanke! Aber soweit denken die geizigen Almosengeber nie.

      Wenn die Dunkelheit hereinbrach, schleppte er seine dürren Gebeine unter seinen schmutzigen Lumpen verborgen mühsam in den unteren Stadtteil am Flussufer, dort wo Bettler, Diebe, Leprakranke und Haschischraucher in Armut und Elend lebten. Der Abschaum dieser prächtigen Metropole sozusagen. Im oberen Teil der Stadt, dort wo die braunen Fluten des Frühjahrshochwassers nicht mehr hinkamen, dort lebten und werkten die Handwerker im Souk, dem Markt, dort kauften und verkauften die Händler ihre Waren, die von den grossen Karawanen über das weite Sandmeer gebracht wurden. Am grossen Platz stand die schöne Freitagsmoschee mit ihren blau und golden glänzenden Kuppeln und den vier schlanken zum Himmel hochstrebenden Minaretten. Hinter der Moschee lagen die Häuser, Paläste und die kühlen Gärten der reichen Leute. Die süsse und fette Sahneschicht der Stadt. Und schliesslich war da noch der märchenhaft schöne Sultanspalast, den man durch die Palmkronen schimmern und glitzern sah. Aber alles, was hinter der Moschee lag, war für unsern Bettler so unerreichbar fern, wie das Paradies für einen Ungläubigen.

      Eines Tages war grosser Lärm und viel Tumult auf dem staubigen Platz vor der Freitagsmoschee.

      Ein vollbepackter Esel, ein altes und schwaches Tier, blieb mitten auf dem Platz stehen und wollte keinen Schritt mehr weitergehen. Alle Versuche, das störrische Tier wieder in Bewegung zu setzen waren vergeblich. Er stand einfach da und plärrte kläglich vor sich hin.

      Der Eselstreiber fluchte und schrie, schlug das Tier auf die Hinterschenkel, auf den Kopf, zog es am Schwanz und an seinen langen Ohren, fluchte noch ärger und schrie noch lauter. Der Esel brüllte ebenfalls so laut er konnte, aber er blieb standhaft.

      Bald war der Platz voll neugieriger Gaffer, die dem Eselstreiber kluge Ratschläge erteilten, die ihn aber nur noch wütender machten und den Esel noch störrischer, falls das überhaupt noch möglich war.

      Der Eselstreiber schrie, die Leute lachten, der Esel bockte, war das eine Belustigung! Schliesslich ergriff der Esel die Initiative, legte sich hin und rollte sich im Staub und, man stelle sich vor, die ganze riesige Last von neuen Tontöpfen und buntem Geschirr...

      Wer in der Stadt dieses Theater, diese einmalige Heiterkeit verpasst hatte, bereute es noch lange Zeit, denn Schadenfreude ist halt doch eine der schönsten und ehrlichsten Freuden, die wir kennen.

      Schliesslich war der Lärm bis zum Palasttor gedrungen und der Wachoffizier im Dienst sandte sogleich einen Trupp Soldaten ins Unruhegebiet um Ruhe und Ordnung wiederherzustellen und vor allem, dazu ist die Polizei schliesslich da, um Übeltäter zu verhaften und Bussen zu kassieren.

      Als die Soldaten eintrafen, war der Platz augenblicklich von einer dichten und alles verhüllenden Staubwolke erfüllt und als diese sich endlich gelegt hatte, waren da nur noch ein schwitzender Eselstreiber, ein Esel inmitten eines bunten Scherbenhaufens und ein alter, krummer Bettler vor der Moschee, sonst aber war keine Menschenseele mehr übrig geblieben.

      Der Truppführer rief über den Platz: «Wem von euch gehört dieses Lasttier?»

      Da der Eselführer richtig vermutete, dass der Besitzer eine Strafe zu bezahlen habe, wegen Verkehrshindernis oder so und ihm an diesem alten, bösartigen und störrischen Tier wirklich nichts mehr gelegen war, beeilte er sich zu sagen: «Dort drüben steht der Besitzer, dieser heimtückische Verursacher aller Ärgernisse, ehrwürdiger Gesandte des hohen Sultans. Und dieses alte Gerippe von Esel gehört tatsächlich jenem schmutzigen Lumpenmann, Allah behüte uns davor, zu werden wie er,» und dabei zeigte er auf den ahnungslosen Bettler.

      Dass aus jenem aber nichts herauszuholen war, das war offensichtlich und so sagte der Polizist: «Also los, du alte Vogelscheuche, führe deinen Esel sofort weg und zwar augenblicklich, sonst lasse ich dich hier und jetzt auspeitschen, dass deine Knochen nur so rasseln!»

      Der Bettler ging gehorsam zum Esel, schaute ihn an und sagte zu ihm: «Also los, Brüderchen, komm, gehen wir.»

      Und der Esel erhob sich und trottete friedlich hinter dem Alten her.

      Da begann der Eselstreiber, den sein Tier nun doch reute, zu schreien: «Halt, halt, das ist mein Esel, das ist mein Esel!»

      «Ach so ist das, Freundchen,» sagte der Polizist, «hast uns, die wir hier den Sultan, Allah gebe ihm ein langes und bequemes Leben, vertreten, also belügen wollen. Tja, mein Lieber, das wird dich in arge Schwierigkeiten bringen.» Und zu seinen Soldaten schrie er, denn mit Untergebenen muss man immer laut schreien, zu ihnen schrie er: «Fasst ihn, diesen gemeinen Lügner und elenden Schurken, legt ihn in Ketten und schleift ihn zum Palast. Mit diesem verderbten Lügenmaul werden wir kurzen Prozess machen!»

      Langsam bewegte sich ein trauriger Zug stadtaufwärts zum Palast, wo der arme Eselstreiber in ein finsteres Kerkerloch voller Ungeziefer, Schlangen, Kröten und ekligem Schmutz geworfen wurde, nachdem ihn die Soldaten noch recht tüchtig verprügelt hatten und mit ihren schweren Stiefeln auf ihm herumgetrampelt waren, denn sie wollten schliesslich auch wieder einmal ein kleines Vergnügen haben.

      Ebenso langsam trotteten der alte Bettler und sein Esel stadtabwärts zum Flussufer hinunter. Vor seiner Zeriba, der Schilfhütte angekommen, rief der Bettelmann seine Frau herbei, um ihr stolz