Dieser eine Brief. Nicole Beisel

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Название Dieser eine Brief
Автор произведения Nicole Beisel
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847678977



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ihr einfach nicht einfallen, wo sie diesen Namen schon einmal gehört hatte. Sie machte sich weiter an die Arbeit während sie über die Auswahl ihres Hotels für ihren Frankreichurlaub nachdachte. Dabei schweiften die Gedanken wieder ein Mal mehr zu Raphael ab. Heute Mittag war sie essenstechnisch bereits versorgt; Tanja und sie wollten sich etwas beim Italiener bestellen. Dann stand auch schon das Wochenende an, diesen Samstag war es an Tanja, den Laden alleine zu schmeißen. Das würde bedeuten, dass Nadine frühestens in der darauffolgenden Woche die Möglichkeit hatte, eines von Raphaels Sandwiches zu probieren. Vorher würde sie ihn auch nicht mehr sehen.

      Nadine hatte keinen Grund, in den Laden zu gehen und ihn aufzusuchen. Sie fragte sich, ob sie es so lange aushalten konnte, Raphael nicht zu Gesicht zu bekommen. Nun, sie würde sich ablenken. Sie würde das tun, was sie auch an den bisherigen Wochenenden immer tat. Sie würde einkaufen gehen, sich um den Haushalt kümmern, fernsehen, lesen,… Es würde ausreichend Beschäftigung geben, die sie davon abhalten würde, an Raphael zu denken.

      Nadine suchte gerade im Lager nach einem bestimmten Paar Schuhen, als Tanja ein kleines Päckchen in ihren Händen haltend auf sie zu kam.

      „Nadine? Das hat gerade jemand für dich abgegeben. Es war ein recht gutaussehender schlanker Mann Anfang 30, schätze ich, mit kurzen dunklen Haaren. Viel gesagt hat er nicht, er hat auch nicht nach dir verlangt. Er bat mich nur, dir das hier zu überreichen.“ Nadine schaute überrascht auf die liebevoll verpackte Schachtel und dachte bei Tanjas Beschreibung sofort an Raphael. Sie nahm es an sich, bedankte sich bei Tanja und stellte es zu Ihrer Handtasche. „Willst du denn gar nicht wissen, was drin ist?“ Nadine lächelte leicht verträumt.

      „Ich glaube, ich weiß es schon. Ich werde es zu Hause öffnen. Ich bin hier sowieso noch eine Weile beschäftigt.“ Tanja dachte sich ihren Teil und kehrte in den Verkaufsraum um. Nadine fand es schade, dass sie gerade jetzt hinten im Lager war und nicht vorne im Verkaufsraum. Sie hätte ihn sehen und sich mit ihm unterhalten können und ihm sagen, wie dankbar sie ihm für das Präsent war. Bis zum Feierabend kreisten ihre Gedanken nur noch um Raphael. Sie schnappte sich ihre Tasche und das kleine Päckchen und verabschiedete sich von Tanja.

      „Morgen sollte die neue Brautschuh-Kollektion eintreffen. Ich habe dir die Kopie des Bestellscheins neben den Kalender gelegt, damit du morgen früh nicht lange suchen musst. Wir sehen uns am Montag! Ich wünsche dir ein schönes Wochenende.“ Tanja war schon auf dem Weg zu ihrem Auto. „Alles klar, Dankeschön. Dir auch ein schönes Wochenende. Lass es mich wissen, wenn es etwas Neues gibt! Bis dann!“ Nadine schüttelte nur lächelnd den Kopf und lief zur Haltestelle. Warum waren immer alle so neugierig?

      Der einzige, der wohl gar nicht neugierig war, war ihr Bruder Kai. Noch immer hatte er sich nicht gemeldet, um sie auszufragen. Auch, als sie abends frisch geduscht aus dem Badezimmer kam, hatte er nicht angerufen. Ihr war das ganz recht, so musste sie sich keinen unangenehmen Fragen aussetzen. Auf dem Weg ins Wohnzimmer fiel ihr Blick auf den Küchentisch, auf dem noch immer das kleine Päckchen stand. Sie nahm es mit ins Wohnzimmer, setzte sich auf die Couch und entfernte das Geschenkpapier.

      Zum Vorschein kam eine kleine Auswahl an Pralinen. Auch war ein kleines Kärtchen beigefügt. Behutsam las sie die Zeilen: ‚Ich hoffe, mein kleines Präsent hilft Ihnen, das Wochenende zu genießen. Eine kleine Aufmerksamkeit, die von Herzen kommt. Raphael.‘ Nadine lächelte und bemerkte, dass er eine sehr ordentliche Handschrift hatte. Sie freute sich sehr über die Mühe, die er sich gemacht hatte und darüber, dass er offensichtlich an sie dachte. Sie nahm eine der Pralinen aus der Schachtel und ließ sie sich auf der Zunge zergehen. Den Rest packte sie wieder weg, schließlich hatte das Wochenende erst begonnen und sie wollte die Schokolade nicht sinnlos verschlingen.

      Das restliche Wochenende verbrachte Nadine mit ihren gewohnten Hobbies und wunderte sich weiterhin, warum Kai sich bislang noch nicht gemeldet hatte. Hoffentlich war mit Sabine und dem Baby alles in Ordnung. Aber sicher hätte ihr jemand Bescheid gegeben, wenn etwas vorgefallen wäre. So startete sie recht unbekümmert in die neue Woche. Montags hatte das Brautmodengeschäft länger geöffnet als sonst und da Tanja meistens die Frühschicht übernahm, konnte Nadine den Tag mit einem schönen gemütlichen Frühstück beginnen, ehe sie vormittags zur Arbeit fuhr. Tanja fragte wie immer nach den Neuigkeiten.

      Nadine erzählte ihr, dass sie kürzlich im Internet ein Hotel ganz nah an der Seine entdeckt hatte und dass sie darüber nachdachte, telefonisch dort anzufragen, ob für August noch ein Zimmer frei war. Über das Päckchen jedoch hatte sie nichts verlauten lassen. Tanja würde sonst nur unnötige Fragen stellen, die Nadine nur ungerne beantworten wollte. Während Nadine weiterhin ihrer Arbeit nachging überlegte sie, ob sie nach Feierabend bei Raphael vorbeischauen und sich für die leckeren Pralinen bedanken sollte. Kurz darauf fiel ihr jedoch ein, dass der französische Laden bereits schließen würde, bevor Nadine in ihrem wohlverdienten Feierabend kam. Tanja würde gleich nach Hause gehen und solange sie noch da war, wollte Nadine sich noch eben schnell einen Kaffee einschenken.

      Tanja kam auf Nadine zugelaufen und bat sie, nach vorne in den Verkaufsraum zu kommen.

      „Nadine, vorne wartet ein netter junger Mann auf dich. Er sagt, seine Schwester hätte hier letzte Woche ihr Kleid gekauft und ihm unseren Laden empfohlen, weil er noch einen Anzug sucht.“ Das musste der Bruder von Cécile Beissac sein. Ohne Tanja ihre Rede, die eine nähere Beschreibung der wartenden Person beinhaltete, zu Ende bringen zu lassen lief Nadine auf den Verkaufsraum zu. Tanja wollte ihr eigentlich noch erzählen, dass dies genau der Mann sei, der ihr am Freitag das kleine Päckchen in die Hand gedrückt hatte, aber dazu kam sie gar nicht mehr. Nadine blieb wie angewurzelt stehen und konnte kaum glauben, wen sie da stehen sah. Endlich fiel ihr wieder ein, woher sie diesen Nachnamen kannte: Es war Raphaels Nachname. Nun wusste sie, dass er eine Schwester hatte, die Cécile hieß, bildhübsch war und in einigen Monaten heiraten würde. Raphaels Blick nach zu urteilen, war er weniger überrascht, sie zu sehen. Immerhin wusste er, dass sie hier arbeitete. Nadine hatte es ihm beim gemeinsamen Essen bei Nadines Bruder Kai erwähnt und nur deshalb konnte Raphael ihr auch die Pralinen zukommen lassen. Als Cécile ihm das Brautmodengeschäft empfohlen hatte wusste er genau, bei wem er da landen würde.

      „Hallo! Schön, Sie wieder zu sehen! Sie sehen sehr überrascht aus, mich hier zu sehen.“ Nadine versuchte, sich zu fangen. „Ja, ein wenig überrascht bin ich schon. Hallo. Sie werden also der Trauzeuge Ihres zukünftigen Schwagers sein, ja?“ „Cécile hat Ihnen davon erzählt? Nun, meinen Namen scheint sie allerdings nicht erwähnt zu haben. Ich habe gerade Mittagspause und dachte, ich könnte einen Termin vereinbaren. Ginge das?“

      Nadine musste sich bemühen, ihren Blick von Raphaels Augen abzuwenden um im Terminkalender nach einem geeigneten Termin zu finden. „Wie wäre es nächste Woche Dienstag?“ Raphael fiel auf, dass bis zum Termin einige Tage verstreichen würden, in denen er sie wohl nicht sehen würde. Aber er sagte zu.

      „Um wieviel Uhr könnten sie denn vorbeikommen? Immerhin haben Sie ja Ihr Geschäft.“ Raphael winkte ab. „Meine Schwester vertritt mich, wenn ich in Frankreich meine Ware holen muss oder aufgrund von Terminen nicht im Laden sein kann. Und da der Grund für meine Verhinderung nun mal ihre Hochzeit ist, wird sie sicher für mich einspringen. Sagen wir, 14 Uhr?“ Nadine trug den Termin im Kalender ein und wandte sich wieder Raphael zu. „Ich wollte mich noch ganz herzlich bei Ihnen für die leckeren Pralinen bedanken. Das war sehr nett von Ihnen. Vielen Dank.“

      Raphael freute sich, ihr eine Freude gemacht zu haben. „Gern geschehen. Sie mögen Schokolade und ich wollte Ihnen gerne etwas Gutes tun.“ Nadine wusste nicht so recht, was sie darauf antworten konnte. „Tja, hätten sie die Schokolade vorletztes Wochenende nicht zum Abendessen mitgebracht, wäre ich nie auf die Idee gekommen, Ihren Laden zu besuchen und die Schokolade zu probieren. Nun bin ich doch recht froh, dass ich um die Schokolade weiß.“

      Nadine und Raphael dachten beide für sich, wie froh sie doch waren, dass sie sich bei Kai begegnet waren und sich etwas näher kennengelernt hatten. „Gut, ich muss auch wieder zurück in den Laden. Dann sehen wir uns nächste Woche Dienstag. Ich freu mich.“ „Ich freue mich auch. Bis dann.“ Er kehrte um und verließ den Laden.

      Da sich Tanja in der Zwischenzeit bereits verabschiedet