Dieser eine Brief. Nicole Beisel

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Название Dieser eine Brief
Автор произведения Nicole Beisel
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847678977



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ist 32 Jahre alt und ebenfalls Single. Wir lernten uns damals in der Ausbildung kennen und haben uns kürzlich zufällig wieder getroffen. Ich dachte, es wäre nett, wenn ihr euch mal kennenlernen würdet.“ Nadine ahnte bereits, worauf die Sache hinauslaufen sollte. „Kai, willst du mich etwa verkuppeln? Danke, aber ich komme ganz gut mit meinem Single-Leben zurecht.“ Kai glaubte ihr kein Wort. Er wusste, wie oft sie sich wünschte, irgendwann einmal vor den Traualter treten zu dürfen. Nur fehlte ihr bislang der richtige Mann dazu und dieses Problem wollte Kai nun lösen. Er wusste, dass es nicht einfach werden würde. Aber es war langsam an der Zeit, dass Nadine wieder lächelte und glücklich war und jemanden an ihrer Seite hatte, mit dem sie alles teilen konnte. „Wir sehen uns um sieben. Bis dann!“ Kai legte auf. Nadine packte ihr Handy wieder ein und war gespannt, wie der Abend verlaufen würde. Nicht nur wegen Kais Freund Raphael, sondern auch, weil Kai angekündigt hatte, dass es Neuigkeiten gab, die er gerne verkünden würde.

      Nur widerwillig verließ Nadine den sonnigen Platz im Stadtpark, um zur nächsten Haltestelle zu laufen und nach Hause zu fahren. Sie wohnte in einer gemütlichen 2-Zimmer-Wohnung nur wenige Haltestellen vom Brautmodengeschäft entfernt. Es wäre unnötig gewesen, mit dem eigenen Auto zur Arbeit zu fahren.

      Zu Hause angekommen, schaute sie erst einmal die Post durch, aber außer ein wenig Reklame und der üblichen Handyrechnung war der Briefkasten leer gewesen. Sie aß eine Kleinigkeit und machte es sich auf dem Sofa vor dem Fernseher bequem. Anschließend machte sie sich einen Kaffee und ging dann ins Bad, um ausgiebig zu duschen. Die schwarze Hose und die fliederfarbene Bluse für das Essen bei ihrem Bruder hatte sie sich morgens bereits zurechtgelegt. Sie zog sich an, schnappte sich die letzte Weinflasche, die noch im Kühlschrank war und stieg in ihren Peugeot. Mit Wein kannte sie sich nicht sonderlich gut aus und alles, was sie über den Wein wusste, war, dass der Wein aus Frankreich kam. Er war ein Mitbringsel des letzten Frankreich-Urlaubs ihrer Arbeitskollegin Tanja. Ständig schwärmte sie ihrer Kollegin Nadine von der tollen Natur und den schönen Sehenswürdigkeiten Frankreichs vor. Nadines Interesse am Eiffelturm stieg stetig an. Sie überlegte schon seit längerem, ihren nächsten Sommerurlaub in Frankreich zu verbringen. Aber bis Mitte August hatte sie zum Glück noch genügend Zeit zum Überlegen. Nun konzentrierte sie sich eher auf den bevorstehenden Abend bei ihrem Bruder, ihrer Schwägerin und… Raphael.

      Nach 20 Minuten Autofahrt hatte Nadine ihr Auto vor der Garage ihres Bruders geparkt. Ein kleines Stück weiter stand ein schicker Renault, den sie vorher in dieser Gegend noch nicht gesehen hatte. Vielleicht war Raphael bereits eingetroffen. Ein wenig aufgeregt war Nadine schon, obwohl sie sich weder Hoffnungen machte noch ehrliches Interesse zeigte, sich von Kai verkuppeln lassen zu wollen.

      Kais Frau, Sabine, hatte wohl Nadines Auto kommen hören. Noch bevor sie klingeln konnte, öffnete Sabine ihrer Schwägerin die Tür und begrüßte sie mit einer herzlichen Umarmung. Die beiden verstanden sich schon immer sehr gut und Nadine freute sich für ihren Bruder, eine so tolle Frau wie Sabine gefunden zu haben. Kai stellte gerade die letzte Salatschüssel auf den Tisch, an dem ein gutaussehender, junger Mann saß. Das musste Raphael sein. Er war groß und schlank und hatte dunkle Haare. Kai begrüßte seine Schwester und machte sie sodann mit Raphael bekannt. Er erhob sich von seinem Platz und schüttelte ihr zur Begrüßung die Hand. Nadine schenkte ihm ihr schönstes Lächeln, stellte die Weinflasche auf den Tisch und nahm Platz. Nadines erster Eindruck von dem noch Unbekannten war gar nicht mal so schlecht. Auch Kai schien dies bemerkt zu haben und ging guter Dinge sofort zum Essen über. Kais Ausbildung zum Koch hatte seine Vorteile. Während er dafür sorgte, dass etwas Leckeres zu essen auf dem Tisch stand, konnte Sabine sich um andere Dinge im Haushalt kümmern. Kais Gerichte waren immer ein wahres Gedicht.

      Auch an diesem Abend war das Essen wieder sehr lecker. Nadines Wein passte wunderbar zum Essen, was auch Raphael auffiel. Er schien sich mit Weinsorten gut auszukennen. Nun, er hatte eine Ausbildung zum Koch gemacht, wen wundert’s…?

      Während des Essens lernten Nadine und Raphael sich ein wenig näher kennen.

      „Ihr Bruder hat mir erzählt, dass Sie in einem Brautmodengeschäft arbeiten. Das stelle ich mir sehr interessant vor, man hat sicher ständig glückliche Frauen um sich herum, oder?“ Nadine dachte daran, wie viel Spaß ihr die Arbeit machte, aber auch an solche Momente, in denen sie sich wünschte, selbst so glücklich sein zu dürfen. Trotzdem fand sie ihr Lächeln wieder.

      „Ja, es ist sehr interessant zu sehen, wie verschieden die Wünsche und Geschmäcker der einzelnen Bräute sind. Kai erwähnte, dass Sie beide sich während der Ausbildung zum Koch kennenlernten. Sind Sie immer noch als Koch tätig?“

      Raphael erzählte ihr, dass er das Kochen an sich aufgegeben hatte und nun ein eigenes Geschäft hatte, in dem er französische Spezialitäten wie Käse, Wein, Kaffee und sündhaft teure Schokolade verkaufte. Das Geschäft war gar nicht weit von Nadines Arbeitsplatz entfernt. Nun wusste sie, welcher Akzent in Raphaels Aussprache steckte. Er musste Franzose sein. Kai hatte gar nichts davon erwähnt. Andererseits war das Telefonat einige Stunden zuvor, als Nadine noch in der Sonne saß, nur kurz gewesen und auch jetzt waren Kai und Sabine sehr still und zurückhaltend gewesen. In diesem Moment fühlte Nadine sich ein wenig beobachtet. Kai schien sich darüber zu amüsieren, wie offen sich Nadine und Raphael unterhalten konnten. Nadine wurde sichtbar rot und versuchte, das Gespräch zunehmend auf Kai und Sabine zu lenken.

      „Na, was gibt’s bei euch Neues? Was ist denn nun der wichtige Grund für dieses Essen heute?“ Kai stellte gerade die gute französische Schokolade auf den Tisch, die Raphael zum Nachtisch mitgebracht hatte. Nadine griff sofort zu. Sie liebte Süßes. Die Schokolade war ein Traum. Sehr lecker und zartschmelzend, schön süß und trotzdem voller Geschmack. Gespannt wartete sie auf Kais Antwort auf ihre Frage. Aber es war nicht Kai, der antwortete.

      „Ich bin schwanger. Wir bekommen im November ein Baby.“ Während Raphael sich schon von seinem Stuhl erhob, um den beiden zu gratulieren, musste Nadine noch ihren letzten Bissen runterschlucken, der ihr fast im Hals stecken blieb. Kai fragte sie: „Bald bist du Tante. Freust du dich?“ Nachdem Nadine sich wieder einigermaßen gefasst hatte, lächelte sie und sagte: „Natürlich freue ich mich. Ich freue mich wirklich für euch. Herzlichen Glückwunsch!“

      Sie umarmte die beiden und bemühte sich, weiterhin zu lächeln. Obwohl ihr, wenn sie ehrlich war, eher nach Heulen zumute gewesen wäre. Aus den beiden wurde eine richtige kleine Familie. Nadine wurde wieder einmal bewusst, wie einsam und trist ihr Leben war. Keinen Mann, keine Kinder um sich herum, kein Krach, keine Spielsachen, die im Weg lagen, kein Babygeschrei, das sie nachts wachhalten würde… Was machte Nadine nur falsch? Die ganze Zeit hatte sie sich eingeredet, dass sie mit ihrem Leben zufrieden war, so, wie es nun mal war. Aber durch Kais Familienzuwachs wurde ihr bewusst, dass sie sich schon lange etwas vormachte. Auch Nadine wünschte sich eine kleine Familie. Einen Mann, der für sie da war. Ein Baby, um das sie sich kümmern und das sie aufwachsen sehen konnte.

      Dennoch freute sich Nadine für die beiden. Die Schokolade half ihr immerhin über den ersten großen Schock hinweg. ‚Diese Schokolade ist wirklich verdammt gut‘, dachte sie sich.

      „Nadine? Hörst du mir noch zu?“ Nadine fuhr erschrocken hoch. Sie hatte gar nicht mitbekommen, dass Kai sie fragte, ob sie denn gerne die Patentante des Kleinen wäre. Sabine hatte keine Geschwister und Kai hielt es für eine gute Idee, wenn Nadine etwas oder jemanden hatte, worum sie sich kümmern konnte. Nadine war etwas überrascht über das Angebot ihres Bruders, aber sie sagte zu. Es war zwar nicht ihr eigenes Kind, aber immerhin ein Kind, mit dem sie ausreichend Zeit verbringen durfte.

      Die vier saßen noch eine Weile beisammen und unterhielten sich über das Baby und die bevorstehende Zeit. Nadine hörte nur noch mit halbem Ohr zu. Zum einen wurde sie zunehmend müde und andererseits war sie mit ihren Gedanken bei der Schokolade, bei Frankreich und bei Raphaels Augen. Sie konnte es nicht verleugnen, seine Augen und sein Blick hatten sie gefesselt. Noch vor einigen Stunden hatte Nadine gedacht, das Essen unbeschadet zu überstehen. Sie wollte sich nicht von Kai verkuppeln lassen und erst recht wollte sie sich nicht verlieben nur, damit sie jemanden an ihrer Seite hatte.

      Da die Schokolade mittlerweile leer war, Nadine ihre Augen nur noch mit Mühe