Poet auf zwei Rädern. Lisa Schoeps

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Название Poet auf zwei Rädern
Автор произведения Lisa Schoeps
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847606857



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Männer in orangen Overalls entstiegen ihm, sie liefen in Michas Richtung. Die Männer redeten miteinander. Kurz darauf sah ich, wie er auf einer Bahre in den Hubschrauber verladen wurde. Einer der Männer hielt eine Infusion hoch. Sie nahmen den Helm mit. Micha konnte ich nicht sehen.

      Ich wollte aufstehen, bei ihm sein, doch meine Beine weigerten sich das Gewicht meines Körpers zu tragen. Der Sanitäter sagte, „Bleiben sie hier, sie können jetzt nichts tun.“ Er legte mir beruhigend die Hand auf die Schulter. Die Luft wirbelte wieder, tosend hob der Hubschrauber ab, dann war nur noch ein Punkt am Himmel sichtbar. Und Stille.

      Zwei Polizisten kamen in unsere Richtung, trotz der Decke zitterte ich am ganzen Körper und war starr vor Entsetzen. Einer der Polizisten sprach mit dem Sanitäter, der sich um uns kümmerte. Sie wollten wissen ob wir auch in den Unfall verwickelt waren.

      Tom saß jetzt neben mir. Ich sah zu ihm auf, sein Gesicht spiegelte etwas Unbestimmtes, ein Aufgewühlt sein, das nur ihn alleine betraf. Etwas stecke tief in ihm, das keiner nachempfinden konnte. Die Frage warum Micha, warum nicht ich. Normalerweise fuhr immer Tom vor.

      Ramona saß neben mir mit tränenüberströmtem Gesicht. Sie hatte mit ihren Armen ihre Knie umschlossen. Die Wimperntusche hatte ihr Gesicht zu einer grotesken Maske verschmiert. Verwirrung, Schrecken, Fassungslosigkeit wechselten sich in ihrem Blick ab.

      Die Polizisten stellten Fragen, Tom war als einziger im Stande einen vernünftigen Gedanken zu fassen, er beantwortete ihre Fragen zum Unfallhergang. Äußerlich war er unversehrt, doch der Schock saß ihm genauso tief in den Knochen. Er war aufgestanden und unterhielt sich ganz ruhig mit den Polizisten. Ich hörte nicht richtig hin. Mein Blick schweifte ziellos umher.

      Der Mann mit dem roten Kadett hatte eine Wunde am Kopf, er saß ganz benommen in der Nähe, er konnte das gerade Erlebte auch noch nicht begreifen. Er war etwa Mitte vierzig, trug eine helle Stoffhose, die jetzt Flecken vom Blut hatte und ein weißes Hemd. Er hatte dunkle Haare, er sah in diesem Moment unendlich alt aus. Ich empfand eine grenzenlose Wut auf ihn, er hatte mir das Liebste im Leben genommen. Eine Weile lang fixierte ich ihn mit meinem Blick. Er schien mich nicht zu bemerken oder ignorierte er mich? Er schüttelte immer wieder den Kopf. Sprach aber mit keinem.

      Einer der Polizisten fragte wer ich sei, Tom antwortete die Freundin des Motorradfahrers. Er sah mich mitfühlend an.

      Um uns herum herrschte immer noch geschäftiges Treiben. Ich tauchte in eine Parallelwelt ein, versank wie ein Stein im undurchdringlichen See meiner Gefühle. Das Bild des gerade Erlebten hatte sich in mein Innerstes eingebrannt, wie ein Blatt im Wind fliegend sah ich Michael. Wieder und wieder. Eine Zeitlang versank ich, lies mich tragen. Mit der Zeit wurde alles wahr, war schwindelerregend, gegenwärtig. Das Zittern verschlimmerte sich, alles in mir war in Aufruhr.

      Allmählich verschwanden die Schaulustigen. Nachdem alle Beweise und Spuren gesichert waren, wurde die Unfallstelle aufgeräumt. Die Polizei versuchte den Verkehr wieder in Gang zu bekommen. Jemand rief in die Menge der noch umherstehenden Menschen, wem der rote Golf gehöre. Mein Auto stand noch immer mitten auf der Fahrbahn, es war mir egal. Irgendjemand fuhr ihn zur Seite.

      Nach einiger Zeit begann ich aus der Ohnmacht in die Realität zurück zu gleiten. Grauen umklammerte mich, Panik, Horror. Ich starrte Löcher in die Luft. Tom hielt mich wieder fest. Er wirkte ganz ruhig und stark.

      „Sag, dass es nicht wahr ist, bitte!“ flehte ich ihn mit tränenerstickter Stimme an.

      Er schüttelte nur den Kopf, hatte einen unendlich traurigen Ausdruck in seinen Augen. Die furchtbarsten Minuten unseres Lebens. Fassungslosigkeit überlagerte alles.

      Der ausklingende, schöne Sommertag hatte für uns er jegliche Wärme und Farbe verloren. Auf der Fahrt zum Krankenhaus starrte ich aus dem Fenster. Tom fuhr. Im Nachhinein der glatte Wahnsinn. Er sagte, dass wir damit rechnen müssen, dass er sterbe oder bereits gestorben ist.

      „Nein! Das will ich nicht.“ Widersprach ich, wie ein trotziges Kind.

      Ich war außerstande, die Lage rational zu betrachten. Die Fahrt erschien mir unendlich lang. Wir steckten immer wieder im Freitagabend Feierabendverkehr fest. Warum dauerte das so lange?

      Das Unfallkrankenhaus, in das sie ihn geflogen hatten, wirkte monströs und modern. Ein imposanter Bau, in Mitten der Voralpenlandschaft. Vom Parkplatz waren es nur wenige Minuten bis zum Eingang. Ich stolperte hinter Tom her, er zog mich mehr als ich bewusst ging.

      Die Eingangshalle war kühl und sachlich. Tom erkundigte sich nach dem Weg, wir liefen durch viele Gänge. Ich nur hinterher, wie ein kleines Kind. Da war der typische Krankenhausgeruch nach Desinfektionsmittel und Pfefferminztee. Die Gänge kamen mir wie lange Schläuche vor, die alle gleich aussahen und miteinander verbunden waren. Hellerleuchtet, viele gleiche Türen. Gleichförmigkeit, Eintönigkeit, Stoßkanten an den Wänden auf der Höhe der Krankenhausbetten. Leere Betten auf den Gängen, blauer Linoleumfußboden, pastellfarbene Wände. Am Ende eines Ganges ein Treppenhaus, manchmal ein Fenster.

      Endlich sah ich in einem Wartebereich Michas Mutter Sabine und Ramona, sie waren kurz vor uns angekommen. Die Polizei hatte Ramona schon etwas früher nach Hause gebracht, sie hatte es Sabine erzählt.

      Wir haben uns angeschaut, aber nichts gesagt. Sabine und ich das war eine schwierige Beziehung. Tom ging zu seiner Mutter und nahm sie in den Arm. Sie weinte stumm, sah um Jahre gealtert aus, in sich zusammengesunken. Ich stand stumm neben ihm. Er hat gefragt wie es inzwischen aussähe, sie hat mit den Schultern gezuckt.

      „Wir wissen es nicht, eine Schwester sagte, die Notfall OP kann noch mehrere Stunden dauern.“ Ihre Stimme hatte einen fremden Klang angenommen.

      In der Besucherecke standen mehrere Plastikstühle. Die Sorte weiß und unbequem, nach einiger Zeit weiß man nicht mehr, wie man sich setzen soll, eine bequeme Stellung gibt es nicht.

      Es war ein offener Bereich, in ein paar Metern Entfernung eine Theke, hinter der zwei Krankenschwestern arbeiteten. Es war ein Kommen und Gehen, sie händigten Krankenblätter aus, telefonierten. Mit der Zeit wurde es ruhiger. Wir waren die einzigen Wartenden in diesem Bereich.

      Wir saßen still in der Besucherecke. Die Zeit zog sich in unsäglicher Langsamkeit, Minuten wurden zu Stunden. Jeder war in seinen eigenen Ängsten gefangen. Keiner wollte etwas sagen. Keiner wollte das Unaussprechliche aussprechen. Tom saß neben mir und gab mir Halt. Ramona saß bei ihrer Mutter.

      Es war inzwischen tiefe Nacht. Hin und wieder liefen wir etwas im Raum auf und ab. Ricky, hatte einen Kaffeeautomaten gefunden, die zum Teil noch halbvollen Plastikbecher standen auf einem Tablett am Boden. Der Kaffee war scheußlich und inzwischen kalt.

      Der Philodendron, der als Hydrokulturgewächs in der Ecke stand, hatte siebzehn, zum Teil etwas eingestaubte Blätter. Die Wasserstandsanzeige stand auf halbvoll. Der Gang, in den wir sahen, hatte acht große und ebenso viele kleine Fenster.

      Zählen, die Dinge ganz genau zu betrachten, immer noch mal nachkontrollieren, diese Rituale hielten mich davon ab, den Verstand zu verlieren. Jeder Muskel schmerzte, doch der Schmerz hatte etwas Erlösendes. Er bestätigte, dass ich hier war. Ich zählte alles, die Blätter des Philodendron unterschieden sich in der Anzahl der Zacken. Die Deckenelemente, große und kleine, alles was man zählen konnte. Es beruhigte meine Nerven.

      Dann, es fühlte sich an, als wäre eine Ewigkeit vergangen, erschien einer der Ärzte. Er sah müde aus, er trug noch die grüne Kleidung aus dem OP. Auf dem Kittel zeichneten sich Schweißränder ab. Er hatte auch kleine Flecken, die bei genauerem hinsehen Blut waren.

      Wir sahen ihn alle schweigend und mit der Hoffnung an, dass er nicht den Satz, vor den wir uns alle fürchteten, aussprechen würde. Er hatte nicht mehr allzu viele Haare, die übrigen waren schon grau. Er blickte in die Runde, Sorge und Müdigkeit hatte unsere Gesichter gezeichnet. Er ging auf Sabine zu.

      „Sind sie die Mutter?“

      Sie nickte.

      „Würden sie bitte für einen Moment mit mir kommen?“

      Sabine stand auf und folgte ihm. Warum hat er nichts gesagt, der Horror breitete