Crystal Fire. Jürgen Ruhr

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Название Crystal Fire
Автор произведения Jürgen Ruhr
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783752930191



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      Doch zunächst genügte es schon, die Reaktion und das Denken der Menschen durch seine Erfindung zu verbessern. Jedenfalls wäre ihm der Nobelpreis sicher. Wenn nur die Erprobung des Mittels nicht so lange Zeit in Anspruch nehmen würde und er nicht ständig mit irgendwelchen Rückschlägen zu kämpfen hätte! Aber nach den Versuchen mit der letzten Katze, schien dies ja endlich ein Ende gefunden zu haben.

      Das nächste Tier würde ihm auf keinen Fall entkommen, dafür hatte er gesorgt. Sämtliche Fenster waren jetzt mit abschließbaren Griffen versehen. Selbst die stärkste und intelligenteste Katze wäre nicht in der Lage, sie so einfach zu öffnen.

      Kurz nach siebzehn Uhr klingelte Florian Feldner endlich an der Wohnungstür. Daniel öffnete ihm und blickte ungeduldig auf den Transportkorb in der Hand seines Freundes. Eine scheue, magere kleine Katze blickte ihm aus großen Augen entgegen.

      „Komm rein, Flo.“ Er schloss hinter seinem Freund die Tür sorgfältig und vergewisserte sich zweimal, dass sie von außen nicht geöffnet werden konnte. „Wieso hat das so lange gedauert? Musstest du die Katze erst noch einfangen?“

      Flo schaute ihn missmutig an. „Nein, aber die Leute von der Katzenhilfe wollten alles genau wissen. Meinen Namen, wo ich wohne und alles über meine familiären Verhältnisse. Als sie erfuhren, dass ich in einem Studentenwohnheim lebe, hätten sie mir das Tier fast verweigert. Erst eine großzügige Spende hat sie überzeugt.“ Er hielt Daniel eine Quittung über zweihundert Euro hin. „Das übernimmst doch du? Du hast es versprochen.“

      Daniel nickte. „Komm erst mal rein. Ein Bier?“

      „Gerne. Hast du ein kaltes? Ich bin geschafft.“

      Daniel nahm den Transportkorb an sich. Er würde die Katze vorläufig noch darin lassen. Dann überlegte er kurz, sie für die gesamte Dauer seines Experiments in dem kleinen Käfig zu lassen, verwarf den Gedanken aber wieder. Schließlich wollte er die Reaktionen und das Verhalten seines Versuchstieres testen und das ließ sich ja in der kleinen Box nicht bewerkstelligen. Er stellte die Kiste mit der Katze in den abgetrennten Bereich des Wohnzimmers, den er als Labor benutzte. Dann holte er seinem Freund und sich das versprochene Bier.

      „Wollten sie sonst noch etwas wissen, die von der Katzenhilfe?“, fragte er, während sie beide anstießen. „Du hast mich doch nicht erwähnt, oder?“

      Flo nahm einen tiefen Schluck und schüttelte den Kopf. „Nein, natürlich nicht. Und nachdem sie die Spende erhalten haben, gab es auch keine weiteren Fragen. Die sind ja froh, wenn ihre Tiere ein Zuhause finden.“ Er sah seinen Freund fragend an: „Ist die andere Katze wirklich nicht gestorben?“

      „Sie lebt bestimmt noch - wenn kein Auto sie überfahren hat. Das schwöre ich dir. Warum sollte ich dich auch belügen? Es ging ihr wirklich gut, das kannst du mir glauben.“

      Flo schien etwas beruhigt zu sein, fragte aber trotzdem: „Wieso konnte sie denn aus deiner Wohnung entkommen?“

      Daniel gab sich reumütig: „Vermutlich habe ich im Badezimmer das Fenster einen Spalt offengelassen. Da ist sie dann raus.“

      „Nun jetzt hast du ja eine neue. Das arme Ding ist halbverhungert und ziemlich verängstigt. Ihr Name ist übrigens ‚Tinka‘. Kann ich sie regelmäßig besuchen?“

      Daniel wollte schon zornig reagieren, lächelte dann aber. „Meinetwegen. Sooft du hier bist, kannst du sie besuchen. Du wirst sehen, es wird ihr gut gehen.“ ‚Und wenn sie stirbt, kannst du sie im Rhein besichtigen, gut einbetoniert‘, fügte er in Gedanken hinzu. Doch die Katze durfte nicht sterben, denn dann stünde er wieder am Anfang seiner Versuche und das würde ihn um eine lange Zeit zurückwerfen.

      Einige Zeit später verabschiedete sich Flo. „Das Geld, Daniel. Zweihundert Euro“, erinnerte er den Freund und wies auf die Quittung, die auf dem Tisch lag.

      Daniel drückte ihm drei Hunderteuroscheine in die Hand. „Für deine Mühen. Du hast mir wirklich sehr geholfen, Flo.“ Dann begleitete er ihn zur Tür. Daniel wollte sichergehen, dass die Wohnungstür auch gut geschlossen war, bevor er die Katze aus der Transportbox ließ.

      Flo drehte sich am Treppenabsatz noch einmal um und meinte: „Ach da fällt mir gerade ein: Bei dieser Katzenhilfe lief die ganze Zeit der Fernseher und sie haben die Nachrichten gebracht. Im Stadtgebiet gibt es anscheinend freilaufende Wölfe, denn es wurden schon mehrere Tiere gerissen. Schafe, Schwäne und Gänse und sogar ein Kalb hat man in den letzten zwei Tagen gefunden. Ein Jäger, den sie interviewt haben, vermutet, dass die Wölfe vom Norden herkommen. Auf jeden Fall soll man vorsichtig sein. Schau dir gleich einfach einmal die Nachrichten an!“

      Daniel nickte. „Mach ich. Was es nicht alles gibt. Wölfe! Dann sei schön vorsichtig, dass du auf dem Weg zur Uni nicht gebissen wirst. Wir sehen uns morgen.“

      Kaum war Flo die Treppe herunter und außer Sichtweite, schloss Daniel sorgfältig die Haustüre und drehte auch den Schlüssel um. Dann widmete er sich der Transportbox und der Katze. Die blickte weiterhin ängstlich und wich in die hinterste Ecke des Kastens zurück. Daniel richtete etwas Katzenfutter an, mischte eine kleine Dosis seines ‚Medikaments‘ darunter und stellte es vor die Box. Dann öffnete er die Tür, zog sich ein Stück zurück und beobachtete das Tier. Er war es gewohnt, zu warten und fast bewegungslos zu verharren. Wie viele Stunden verbrachte er schon so beobachtend und wie vielen Tieren hatte er nach dem Fressen des Futters, das mit der Substanz vermischt war, dabei zugesehen, wie sie unter Zuckungen und mit Schaum vor dem Mund schließlich verendeten.

      Es brauchte eine Zeit, bis Tinka die Nase zur Box herausstreckte, vorsichtig schnupperte und sich umsah. Sie bemerkte ihn und verharrte in ihrer Position. Doch irgendwann siegte dann doch der Hunger und Zentimeter für Zentimeter schob sie sich an den Napf heran. Plötzlich schien sie alle Vorsicht zu vergessen und verschlang das Futter, bis nichts mehr davon übrig war.

      Daniel zählte die Sekunden. Es würde etwas dauern, bis das Medikament in den Blutkreislauf gelangte, die Blut-Hirn-Schranke überwand und schließlich im Gehirn wirksam wurde. Da er die Wirkstoffmenge geringgehalten hatte, um das Tier zunächst daran zu gewöhnen, rechnete er nicht direkt mit einer durchschlagenden Wirkung. Es dauerte schließlich eine ganze Weile, die richtige Zusammensetzung der Substanz herauszufinden, damit sie wirklich ins Gehirn gelangen konnte. Den Anteil an Drogen hielt er so gering wie möglich, doch auf gerade diese Substanzen, ob es nun Benzoylecgoninmethylester, Lysergsäurediethylamid oder Tetrahydrocannabinol waren, konnte er nicht verzichten. Vielleicht gab es einen Stoff, der die Aufgabe dieser Substanzen übernehmen konnte, doch um das herauszufinden, würden umfangreiche Forschungen und zahlreiche Experimente erforderlich werden. Für den Moment und für eine erste Erprobung war die von ihm entwickelte Rezeptur aber optimal.

      Die magere Katze schien sich nach der Mahlzeit ziemlich wohl zu fühlen, denn sie erkundete jetzt neugierig den Raum. Daniel, der sich auf seinem Stuhl weiter ruhig verhielt, ignorierte sie zunächst, doch ein Auge war immer auf ihn gerichtet. Sobald er sich als Gefahr erwies, würde sie flüchten. Tinka schnupperte an einem Blumentopf, in dem eine verwelkte Yucca Palme auf ihre Entsorgung wartete. Daniel hatte sie von irgendjemandem zum Einzug in die Wohnung geschenkt bekommen, doch er konnte sich beim besten Willen nicht daran erinnern, wer das gewesen war.

      Langsam folgte er der Katze durch die Wohnung. Sie schien alles äußerst interessiert zu begutachten, beschnupperte alle Gegenstände in ihrer Nähe und kletterte schließlich in das Katzenkörbchen, in der ihre Vorgängerin schon gelegen hatte. Minuten später schlief sie tief und fest. Daniel vergewisserte sich, dass die Katze wirklich schlief und nicht plötzlich gestorben war, dann widmete er sich seinem Laptop und begann ein neues Kapitel über die Experimente an Tinka in seinem Logbuch.

      Danach wollte er sich um die Aufgaben kümmern, die er für den kommenden Tag an der Universität noch zu erledigen hatte. Jetzt, so kurz vor den Semesterferien, standen noch eine Reihe von Klausuren an, doch Daniel war sich sicher, keine Arbeit schlechter als mit der Note Zwei abzuschließen. Doch warum ‚nur‘ eine Zwei, wenn auch eine Eins möglich war?

      3. Fortschritte