Die Blutsippe. Mona Gold

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Название Die Blutsippe
Автор произведения Mona Gold
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847688396



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      5. In der Falle

      Als Alma mit dem Burgverwalter den Salon verlassen hatte, war Anna allein zurück geblieben und hatte den beiden mit gerunzelter Stirn hinterher geblickt. Almas Verhalten gegen Ende ihrer Unterhaltung hatte ein schales Gefühl in ihrer Magengegend hinterlassen. Almas Augen hatten einen lauernden Ausdruck angenommen, als sie auf das „Familiengeheimnis“ zu sprechen kamen. Wollte sie Annas Reaktion darauf beobachten? Falls ja, dann hatte sie offensichtlich nicht so reagiert, wie Alma es sich gewünscht hätte, denn sonst wäre ihr Gesichtsausdruck ein Anderer gewesen.

      Noch lange saß Anna grübelnd im Salon, das sorgenvolle Gesicht in die Hände gestützt. Viele Gedanken gingen ihr durch den Kopf. Besonders belastete sie das Verschwinden ihrer Tante und der Verdacht der Polizei, sie könne daran beteiligt sein. Gut, dass Alma diese Beiden zum Gehen aufgefordert hatte! Da war wieder der Gedanke an Alma. Sie hatte sich so resolut für sie eingesetzt und sich ihr gegenüber regelrecht fürsorglich gezeigt, doch hielt das nicht lange an, wie ihr Gespräch vorhin gezeigt hatte. Anna wurde nicht schlau aus ihr. Vielleicht sollte sie der Haushälterin in Zukunft mit der gebührenden Vorsicht gegenüber treten.

      Seufzend lehnte sie sich zurück und dachte über die Polizei nach. Glücklicherweise hatte sie sich sogar noch mit dem Schaffner unterhalten, so dass sie beweisen konnte, wo sie ab acht Uhr abends war. Anna zuckte zusammen. Das stimmte nicht ganz. Sie konnte nur bis zur Ankunft in Rittertal beweisen, wo sie war, aber danach war sie allein zum Gasthaus gegangen und von dort zur Burg. Bei dem Gedanken begann ihr Herz zu rasen. Sie musste ruhig bleiben und genau nachdenken. Bis 21.10 Uhr war sie im Zug. Das konnte sogar der Schaffner bestätigen. Danach, vielleicht 15 Minuten später, hatte sie das Wirtshaus erreicht und das hatten auch genug Menschen mitbekommen.

      Aber dann? Es musste also ungefähr 21.25 Uhr oder 21.30 Uhr gewesen sein, als sie zur Ritterburg aufbrach. Von da an war sie allein. Allein die düstere Sandstraße durch den Wald gestapft, denselben Weg, den ihre Tante mit Sicherheit hatte nehmen wollen, um zum Bahnhof zu gelangen. Die Gäste in der Schänke sagten, es sei der einzige Weg, der durch den Wald zur Ritterburg führte. Ihre Tante hätte ihr begegnen müssen. Aber sie hatte ihren Weg nicht gekreuzt und Anna hatte niemanden, der das bestätigen konnte. Sie war circa zwei Stunden durch den Wald gelaufen, zwei Stunden, für die sie kein Alibi hatte! Zwei Stunden waren eine lange Zeit, lange genug, um sogar jemanden zu töten.

      Wie elektrisiert fuhr sie zusammen. Was war, wenn man irgendwann die Leiche ihrer Tante fand? Wie sollte sie je ihre Unschuld beweisen? Es gab niemanden… Halt! Das stimmte nicht ganz. Ungefähr nach der Hälfte der Zeit hatte sie Leo im Wald getroffen. Wann genau, das wusste sie nicht. Aber vielleicht würde er sich noch daran erinnern können…? Sie musste Leo suchen. Was hatte der Burgverwalter Johann gesagt? Die Händlerfamilie bewohnte den Ostflügel?

      Ohne nachzudenken sprang Anna auf und begab sich auf den Weg zum Ostflügel. Nur einige Minuten später stand sie vor der verschlossenen eisenbeschlagenen Tür aus altem verwitterten Holz, die vom Hof aus in den Ostflügel führte. Enttäuscht ruckelte sie an der Klinke. Nichts! Die Tür gab nicht nach. Wütend schlug sie mit der flachen Hand auf die verblichenen Malereien, die die Tür schmückten. „Da wirst du um diese Zeit niemanden erreichen!“ Anna fuhr zusammen und schaute suchend in die Richtung, aus der die Stimme kam. Hinter ihr im Hof stand der Burgverwalter Johann und schaute amüsiert ihren Bemühungen zu. „Was meinst du mit „um diese Zeit“?“ - „Das, was ich sagte. Die von Schwarzenmoors sind um diese Zeit nicht zu sprechen. Sie legen viel Wert auf ihre Privatsphäre. Versuche es am Abend nach Sonnenuntergang wieder.“

      Ohne ihr eine Möglichkeit zu weiteren Fragen zu geben, drehte er sich um und ging mit eiligen Schritten davon. Wie ein begossener Pudel stand Anna nun da. Nach Sonnenuntergang? Was sollte denn das bedeuten? Genervt schaute Anna auf ihre Armbanduhr. 16 Uhr. Bis Sonnenuntergang waren es noch circa eineinhalb Stunden. Eineinhalb Stunden, in denen sie sich weiterhin in der quälenden Ungewissheit den Kopf zermarterte, wie lange sie allein im Wald unterwegs gewesen war und was passierte, wenn man ihre Tante nicht mehr lebend fand.

      Mit klopfendem Herzen und steigender Unruhe ging sie den Weg zurück. Hier würde sie die nächsten eineinhalb Stunden sowieso nichts ausrichten können. Um sich abzulenken machte sie sich daran, die anderen Teile der Burg Rittertal zu erkunden. Besonders interessierte sie der unbewohnte Südflügel. So streifte sie unruhig und ohne richtiges Ziel durch diesen reichlich verstaubten Teil der Burganlage. Alles wirkte unglaublich alt und verkommen. Hier hatte schon lange niemand mehr aufgeräumt oder gar geputzt. Alles war über und über mit Staub und Spinnweben bedeckt. Ihre Schritte hinterließen tiefe Abdrücke auf dem Boden.

      Sie befand sich in einem langen Flur von dem aus viele Zimmer abgingen. Die Fenster auf der anderen Seite waren mit schwarzen Samtvorhängen bestückt. Wahllos und desinteressiert öffnete Anna einige der Türen, um sie danach gleich wieder zu schließen. Das meiste waren Abstellräume, die mehr oder weniger mit alten Kisten und mit Tüchern verhängten Möbeln vollgestopft waren. Also nichts, was Anna interessierte. Das änderte sich jedoch, als sie die letzte Tür am Ende des Flures öffnete. Es schien sich um eine Art Arbeitszimmer zu handeln. Vielleicht war es auch eine Bibliothek. Denn als Anna eintrat, entdeckte sie gegenüber des Schreibtisches riesige Bücherwände, die drei der vier Wände des Zimmers vom Boden bis zur Decke ausfüllten.

      Verwirrt sah Anna sich um. Etwas war in diesem Zimmer anders als in den Räumen, in die sie davor geschaut hatte. Es war der Zustand der Möbel, der Bilder und des Teppichs. Hier lagen keine zentimeterdicken Staubschichten. Dieser Raum wurde offenbar regelmäßig gepflegt. Seltsam. Sagte nicht gestern Abend der Burgverwalter, dass der Südflügel nicht bewohnt sei? Neugierig geworden sah Anna sich aufmerksam um.

      Besonders die Bücher hatten es ihr als Buchhändlerin angetan. Kurz vor ihrer Ankunft hatte ihre Tante ihr vorgeschlagen, sich ein wenig um die Bibliothek der Ritterburg zu kümmern, nur so lange, bis sie sich entschieden hatte, ob sie auf der Burg bleiben und ihr Erbe annehmen wollte oder nicht. Ob das hier die besagte Bibliothek war? Wohl eher nicht. Schließlich befand sie sich im eigentlich unbewohnten Südflügel. Langsam schlenderte Anna an den Bücherregalen entlang. Die meisten Ausgaben waren sehr alt und bestanden überwiegend aus alten Ledereinbänden. Ob das alles Originale waren? Zutrauen würde sie es ihrer Tante allemal. Und noch etwas fiel Anna auf. Die Bücher schienen alphabetisch geordnet zu sein und beschäftigten sich fast alle in irgendeiner Form mit Vampirismus, Wiedergängern, Hexen oder Werwölfen. Vielleicht war das der Grund, warum all diese Titel sich außerhalb des bewohnten Teils befanden. Eine derart ausführliche Ansammlung zu solchen Themen würde doch in jeder Hausbibliothek eigenartig aussehen. Ihr Blick fiel auf eine alte und abgegriffen wirkende Ausgabe von „Dracula“. Neugierig zog Anna sie aus dem Regal. Zumindest versuchte sie es. Gerade als sie das Buch ein Stück weit heraus gezogen hatte, ertönte ein „Klick“ und das gesamte Bücherregal vor ihr begann zu vibrieren.

      Erschreckt machte Anna einen Schritt zur Seite. Keine Sekunde zu früh, wie sich herausstellte. Lautlos bewegte sich das Regal vor ihren Füßen zur Seite und gab den Blick auf einen dahinter liegenden Raum frei. Es herrschte ein unwirtliches Zwielicht und die Wände waren aus grob geschlagenem Fels, in die in regelmäßigen Abständen weitere Bücherregale eingelassen waren. Neugierig ging Anna durch die Öffnung in den verborgenen Raum hinein und betrachtete die Buchreihen genauer. Wieder waren es uralte Ausgaben, die auch alphabetisch geordnet im Regal standen und ebenfalls ausschließlich Vampirismus und Ähnliches zum Inhalt hatten. Anna stutzte. Unter „D“ fand sie wieder eine Dracula- Ausgabe. Sogar eine mit demselben schwarzen, abgegriffenen Ledereinband und derselben altertümlichen Schrift. Das konnte doch kein Zufall sein. Mühsam reckte sie sich und versuchte, diese Ausgabe herauszuziehen. Doch wie bei der Ausgabe im anderen Zimmer ertönte auch hier ein „Klick“ und das Regal bewegte sich lautlos zur Seite. Zum Vorschein kam wieder die Öffnung zu einem weiteren Raum in dessen Mitte sich der Beginn einer Wendeltreppe befand. Ein leises dumpfes Geräusch ließ Anna zusammenfahren. Gleichzeitig wurde alles um sie herum tiefschwarz. Der Eingang zum Arbeitszimmer! Den hatte sie völlig vergessen. Jetzt hatte sich die Öffnung, warum auch immer, wieder geschlossen und sie saß in der Falle. Ohne jegliche Ahnung wo bzw. ob es überhaupt einen Öffnungsmechanismus auf dieser