Seelenblau. Manu Brandt

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Название Seelenblau
Автор произведения Manu Brandt
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738055207



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auf und schon begannen die Reifen zu quietschen. Ein wenig bedauerte ich, dass der Flug vorbei war. Der Flug war für mich immer etwas Besonderes am Urlaub gewesen, auch wenn er nach Mallorca nur etwas über zwei Stunden dauerte. Und diesen Flug hatte ich größtenteils verschlafen.

      Wie auf Knopfdruck sprangen alle Passagiere aus ihren Sitzen, nachdem die Maschine zum Stehen gekommen war. Sie quetschten und drängelten sich durch die schmalen Gänge. Wir warteten, bis sich der erste Andrang aufgelöst hatte und konnten in Ruhe aus dem Flieger steigen. Die Kofferbänder waren völlig überfüllt, als wir ankamen. Jeder wollte als Erster seinen Koffer finden.

      »Na, das kann ja spaßig werden«, stöhnte ich und ließ mich auf unseren Gepäckwagen sinken. Ich stützte meine Ellenbogen auf die Knie und legte mein Kinn in die Hände.

      »Ach, das geht ziemlich schnell, du wirst schon sehen. Unsere Koffer kann man ja nicht übersehen.« Lisa zwinkerte mir zu und boxte sich in die erste Reihe am Laufband.

      Das stimmte. Unsere Koffer konnte wirklich niemand übersehen, denn Lisa hatte sie mit einem pinken Klebeband umwickelt.

      »Du wirst mir noch dankbar dafür sein«, hatte sie am Hamburger Flughafen zu mir gesagt und dabei mit der Klebebandrolle gewedelt.

      Warum kaufte sie sich nicht einfach einen pinken Koffer?

      Nach einer gefühlten Ewigkeit kam Lisa schnaufend, aber grinsend mit unseren Koffern zurück. »Siehst du! Ich habe sie gleich erkannt, als sie durch die Luke kamen. Das hat doch super funktioniert.«

      »Schneller ging es dadurch auch nicht«, maulte ich Lisa an und half ihr, die Koffer auf den Wagen zu heben. Sie streckte mir die Zunge raus und wickelte das Klebeband von unseren Koffern ab. »Sei doch nicht immer so mürrisch! Sieh das Positive daran. Wir konnten unsere Koffer auf keinen Fall mit anderen verwechseln.«

      Ich gab mich geschlagen und machte mich mit dem Gepäckwagen auf in Richtung Ausgang.

      »Wir müssen noch unser Auto abholen.« Lisa wirkte nervös. Sie kramte in ihrer Handtasche und holte die Papiere für den Mietwagen heraus, den sie bereits in Deutschland gebucht hatte.

      »Ich dachte dein Bruder holt uns mit einer Limousine ab«, spaßte ich, aber Lisa fand es nicht lustig.

      »Meinem Bruder sind materielle Dinge nicht wichtig. Es gibt Wichtigeres im Leben als ein prolliges Auto und ein großes Haus.«

      Hoppla, da war ich ihr wohl auf den Schlips getreten. So bissig war sie sonst nicht. Aber sonst befanden wir uns auch nicht in Kanada.

      »Lisa Kirschfurt. Ich habe einen Wagen gemietet.«

      Der junge Mann am Empfang nahm die Papiere entgegen, die Lisa ihm hinhielt, und blätterte sie mehrmals mit einem skeptischen Blick durch.

      Super, jetzt gab es sicher ein Problem mit dem Auto.

      Dann musterte er uns von oben bis unten und verschwand mit einem »Moment, bitte« in einer Tür hinter der Theke.

      Es dauerte nicht lange, da kam der Autovermieter zurück und legte die Papiere mit einem Schlüssel auf den Tresen. »Bitte, Miss Kirschfurt. Ihr Wagen steht auf Parkplatz B8 für Sie bereit. Er ist bereits vollgetankt. Bitte unterschreiben Sie noch hier und hier.«

      Ich musste kichern, denn er sprach den Nachnamen mit einem starken Akzent aus: Körschfört.

      Lisa nahm den Stift entgegen und unterschrieb den Mietvertrag an den beiden Stellen, auf die der Mann zeigte.

      »Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Aufenthalt in Kanada und eine gute Fahrt.«

      Sie lächelte kurz und nahm den Schlüssel entgegen.

      Der Parkplatz war riesig und Lisa ungewöhnlich ruhig, als wir durch die Reihen der parkenden Autos gingen. Da ich sie nicht schon wieder verärgern wollte, folgte ich ihr schweigend. Sie wusste offenbar, wo wir hin mussten.

      In Kanada war es nicht so kalt, wie ich es erwartet hatte, aber auch nicht so warm, wie erhofft. Die Sonne schien und am Himmel zeigten sich nur kleine Schäfchenwolken. Ein Greifvogel zog seine Kreise über uns. Am Horizont konnte ich schneebedeckte Berge erkennen. Das mussten die Rocky Mountains sein. Da mussten wir also noch hinfahren. Das war verdammt weit weg.

      Der Vogel am Himmel schrie auf. Lisa blieb abrupt stehen und schaute nach oben. Fast wäre ich in sie hineingelaufen. Ich folgte ihrem Blick. »Ein Bussard«, sagte ich.

      Lisa lachte. »Mia, das ist ein Falke.«

      Eine Weile schauten wir uns den Falken an, wie er hoch oben seine eleganten Bahnen flog.

      »Lass uns gehen. Du wirst hier noch einige Falken zu Gesicht bekommen.« Lisa zog mich am Ärmel weiter. »So, da haben wir unseren Wegbegleiter.«

      Eigentlich hatte ich mit einem Kleinwagen gerechnet, da Lisa Angst vor großen Autos hatte. »Klein und praktisch müssen sie sein. In jede Parklücke müssen sie passen. Größere Autos sind mir zu umständlich«, hatte sie immer gesagt, weshalb sie einen kleinen Smart fuhr.

      Jetzt standen wir vor einem großen, dunkelgrünen Geländewagen. Es war ein Jeep. Nicht der Neueste, was mich wunderte, denn Autovermietungen boten für gewöhnlich nur gepflegte und neuere Modelle an. Dieser Jeep hatte bereits ein paar Beulen und Kratzer. Er war zwar sauber, aber ich befürchtete, dass er uns auf halber Strecke auseinander fallen würde.

      »Das ist unser Wagen?« Dieses Mal runzelte ich die Stirn. »Gibt es in den Rockies keine normalen Straßen? Schafft der das überhaupt noch?«

      Lisa war schon dabei, die Koffer zu verladen. »Ja, das ist unser Auto. Mit einem Kleinwagen würden wir nicht weit genug kommen. Zu der Hütte führt nur ein Feldweg.«

      Es würde also ein Abenteuerurlaub werden. Falls wir überhaupt an der Hütte ankämen. Ich schickte ein Stoßgebet zum Himmel und kletterte auf den Beifahrersitz. Diese Geländewagen waren einfach zu groß für mich – oder ich zu klein für sie.

      Lisa schwang sich mit Leichtigkeit hinter das Lenkrad und steckte den Schlüssel in das Zündschloss. Sie atmete noch einmal ganz tief ein und sah mich an. Sie wirkte immer noch besorgt. Traute sie dem Wagen doch nicht? »Bereit für eine Reise, die dein Leben verändern wird?«

      Ich ignorierte den ernsten Unterton. »So was von bereit. Auf, auf ins Abenteuer!« Ich setzte mich kerzengerade hin und legte meine Hand zum Salut an die Stirn, mit der anderen Hand zeigte ich geradeaus.

      Lisa stöhnte und drehte den Schlüssel um. Mit einem lauten Dröhnen und Schütteln sprang der Motor sofort an. Immerhin hatte er keine Startschwierigkeiten.

      »Brauchst du keine Karte oder ein Navi?«, fragte ich Lisa, als wir vom Parkplatz aus auf die Straße bogen.

      »Ich finde den Weg auch im Schlaf«, antwortete Lisa.

      »Wie lange fahren wir?«

      »Es wird dunkel sein, wenn wir ankommen.«

      »Bist du gar nicht müde? Wollen wir nicht lieber einen Zwischenstopp einlegen, damit du dich ausruhen und schlafen kannst?« Ich war besorgt, weil Lisa den gesamten Weg alleine fahren wollte. Nach dem langen Flug war sie bestimmt auch erschöpft.

      »Nein. Je eher wir da sind, desto besser.« Lisa starrte auf die Straße. Ich vermisste meine lustige und plappernde Freundin. Sie war anscheinend in Deutschland geblieben. Neben mir saß eine schweigende Frau, die zwar aussah wie Lisa, aber mir dennoch fremd war.

      Wir fuhren eine breite Straße entlang. Noch war das Land ziemlich flach und von Feldern bedeckt, aber schon bald wurde es hügeliger und wir durchfuhren die ersten Wälder, deren hohe Bäume mich faszinierten. Ich kurbelte das Fenster herunter und lehnte mich hinaus. Die Luft war sauberer als in Calgary und auch frischer. Alles duftete nach Wald. Ich schloss die Augen, atmete tief ein und genoss diesen Duft. Nasses Laub, Erde, Tannenzapfen, Nadelbäume. Hier roch alles viel intensiver als zu Hause. Oder nahm ich es nur intensiver wahr, weil alles neu war?

      Als es mich fröstelte, kurbelte ich das Fenster wieder hoch. Die schneebedeckten Berge kamen immer näher und wir