Seelenblau. Manu Brandt

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Название Seelenblau
Автор произведения Manu Brandt
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783738055207



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hier gewesen. Mit Thomas. Im Hochzeitskleid. Aber als ich an mir herunterschaute, hatte ich immer noch den Schlafanzug an. Plötzlich zuckte ich zusammen. Kalte Schweißperlen bildeten sich in meinem Nacken. Letztes Mal waren wir nicht allein gewesen.

      Der Wolf!

      Ich drehte mich um, blickte in alle Himmelsrichtungen, aber ich konnte niemanden sehen. Weder Mensch, noch Wolf. Erleichtert ließ ich mich zurück auf den Rasen fallen. Er war federweich. Ich sank ein wenig ein, wie in Berge aus weichen Kissen. Meine Hände glitten über das Gras und meine Finger spielten mit den Blüten der Blumen. Alles war so wunderbar weich. Die Vögel zwitscherten von den Bäumen herab und sangen ein fröhliches Lied. Niemals würden sie etwas anderes singen, denn sie sangen nur für mich.

      Ich atmete tief ein und schmeckte fast den Flieder auf meiner Zunge. Die Sonne lud meine leeren Akkus wieder auf, ich fühlte mich mit jeder Sekunde erholter und zufriedener. Stundenlang hätte ich hier liegen und mit den Blumen spielen können.

      Als ich meinen Kopf zur Seite drehte, sah ich sie. Am Rand der Wiese zwischen zwei Bäumen saß die schwarze Gestalt. Die himmelblauen Augen fixierten mich. Wie lange hatte der Wolf schon dort gesessen und mich beobachtet? Langsam richtete ich mich auf, in der Erwartung, er würde mich gleich angreifen, wie er es auch bei Thomas getan hatte, doch der Wolf blieb ohne jegliche Regung sitzen. Kein Zähnefletschen. Kein Knurren.

      Ich setzte mich in den Schneidersitz und wartete ab. Den Wolf behielt ich jede Sekunde im Auge. So saßen wir da und schauten uns an. Ich hatte Zeit, ihn etwas genauer zu betrachten. Sein Fell war ganz glatt und glänzte in der Sonne. Es sträubte sich nicht wie bei unserer letzten Begegnung. Bei dieser Wärme hätte er eigentlich hecheln müssen, aber das tat er nicht, als würde er die Sonne nicht spüren. Sein Blick ruhte ganz friedlich auf mir. Die himmelblauen Augen waren wirklich wunderschön. Sie hatten etwas Sanftmütiges, etwas Vertrautes in sich. Ich hätte in ihnen versinken können.

      Eine gefühlte Ewigkeit tauchte ich in seinem Blick ab und merkte plötzlich, dass ich lächelte. In diesem Augenblick war jegliche Angst verflogen. Meine Unsicherheit war verschwunden und ich fühlte so etwas wie Frieden. Lag es an ihm? Oder lag es an der Sonne und dem Rasen, nach denen ich mich nach dem langen Winter gesehnt hatte?

      Der Wolf legte seinen Kopf schief. Das kannte ich von Hunden, wenn sie etwas zu fressen haben wollten, aber die Bewegung des Wolfs sah wesentlich anmutiger aus, fast schon elegant.

      Als er sich vollständig erhob und nun in voller Größe vor mir stand, wich ich ein Stück zurück. Er war so riesig. Gleich würde er mich anspringen. Aber er tat es nicht. Er drehte sich um und verschwand zwischen den Bäumen. Ich überlegte kurz, ob ich ihm folgen sollte, doch er blickte nicht zurück, um mich dazu aufzufordern, also blieb ich sitzen, bis ich ihn nicht mehr sehen konnte.

      Ich schaute zum Himmel und beobachtete die wenigen Schleierwolken, die über mir hinwegzogen. Nach einiger Zeit schloss ich die Augen, um die warme Sonne auf meinem Gesicht besser genießen zu können. Langsam wurde es dunkler und das grelle Blau des Himmels färbte sich rot. Ein dunkles Rot, das immer heller wurde.

      7:45 Uhr.

      Oh nein! Ich hatte verschlafen!

       Kapitel 3

      Ich bin frei geboren, frei wie der Adler,

      der über den großen blauen Himmel schwebt;

      ein leichter Wind streift sein Gesicht.

      Ich werde frei sein.

      »Zum Flughafen, bitte!«

      Ich saß bereits im Taxi, als Lisa neben mir Platz nahm und dem Fahrer mit dem breiten Grinsen, das sie schon den ganzen Tag über hatte, unser Ziel nannte.

      Sie hatte sogar in der Mittagspause eine Liste zusammengestellt, was ich alles mitnehmen müsste. Etwas für kalte Tage, etwas für warme Tage, etwas für regnerische Tage. Nicht zu vergessen Wanderstiefel und einen Rucksack für den Proviant. Ich nickte immer nur bereitwillig und ließ ihre Urlaubsvorbereitung über mich ergehen.

      Meine Bitte, den Laptop noch auf die Liste zu setzen, verwarf Lisa mit einem lauten Lachen. »Was willst du damit? Wir wohnen praktisch in der Wildnis. Internet gibt es dort nicht. Wir haben gerade mal ein Satellitentelefon.«

      Das klang ja hervorragend. Nicht einmal Internet gab es, um vielleicht eine E-Mail schreiben oder sich von der Einöde ablenken zu können.

      »Aber Strom und heißes Wasser haben wir?« Die Frage war für mich gar nicht so abwegig.

      »Natürlich, was denkst du denn?«, Lisa verdrehte die Augen. »Nur weil wir abgelegen von größeren Städten und Dörfern wohnen, landen wir nicht gleich im letzten Jahrtausend.«

      Für mich schien alles möglich zu sein. Kein elektrischer Herd oder Ofen sondern eine kleine Feuerstelle, bei der wir Nachtwache halten müssten, damit das Feuer nicht ausging. Als Toilette würde es draußen ein altes Plumpsklo geben und waschen müsste man sich in einem kleinen, eiskalten Bach, der neben der Hütte floss. All das belachte Lisa nur und tadelte mich, ich hätte eine zu lebhafte Fantasie.

      Nachdem ich meine Koffer gepackt hatte, versuchte ich noch ein Mal Thomas zu erreichen, aber es ging nur die Mailbox dran. Der Arme war anscheinend wirklich sehr beschäftigt. Ich schrieb ihm eine SMS, dass ich reisefertig sei und mich auf den Urlaub freute und dass ich ihn liebte und vermisste. Auch wenn es gelogen war, dass ich mich freute, aber so konnte ich ihn wenigstens beruhigen, dass es mir gut ging.

      Es lohnte sich nicht mehr, mich vor der Abfahrt hinzulegen. Ich hätte sowieso kein Auge zubekommen. Der Wolf schwirrte mir immer noch im Kopf herum. Das Gefühl, das ich bei ihm hatte, wollte nicht verschwinden. Es hielt den ganzen Tag an – zum Glück, wie sich herausstellte. Ich hatte weder Panik noch Angst oder irgendwelche Befürchtungen, was den Urlaub betraf. Es fühlte sich sogar richtig an, auch wenn ich diesbezüglich keine Freudensprünge machte.

      Nun saßen wir im Taxi und waren auf dem Weg zum Flughafen. In zwei Stunden startete unser Flieger. Die Zeit verging verdammt schnell.

      Nachdem wir unsere Koffer abgegeben und eingecheckt hatten, drückte ich meine Nase an der Fensterscheibe zum Rollfeld platt. »Das ist aber ein kleines Flugzeug.«

      »Das Flugzeug bringt uns nur nach Frankfurt«, erklärte Lisa. »Dort müssen wir umsteigen und dann wird das Flugzeug sicherlich größer sein.«

      Ich fühlte mich weltfremd. Lisa war gerade mal zwei Jahre älter als ich, hatte aber viel mehr von der Welt gesehen. Sie war oft nach Kanada zu ihrem Bruder gereist, kannte Paris wie ihre Westentasche und in Rom war sie auch gewesen. Sie schwärmte mir von der Spanischen Treppe vor. Dort trafen sich Touristen und Einheimische, um den Abend zu genießen und natürlich um zu flirten. Ob Lisa in Rom etwas mit einem Italiener gehabt hatte? Vielleicht mit einem, der seine eigene Eisdiele oder Pizzeria hatte. Wie man sich Italiener halt vorstellte. Von Australien und Thailand erzählte sie nicht viel. Wahrscheinlich waren ihr Italiener lieber.

      Ich fragte mich, ob sie vielleicht genauso reich war wie ihr Bruder oder ob ihre vermögenden Eltern das Alles für sie bezahlten, denn mit dem Gehalt, das sie bei uns in der Firma verdiente, konnte sie nicht die Welt bereist haben. Bei mir reichte es für die Nord- und Ostsee sowie Mallorca im Sommer und die Schweiz zum Skifahren im Winter. Ich war zufrieden damit. Bis Lisa mir ihre Geschichten erzählte. Ein leichtes Fernweh pochte dann schon in meinem Herzen. Nun würde ich meine größte Reise in meinem bisherigen Leben antreten. Ich würde so lange fliegen, wie ich noch nie geflogen war und ich würde so weit weg von zu Hause sein, wie noch nie. Langsam wurde sogar ich ein wenig euphorisch. Mia entdeckt die Welt. Kapitel eins: Ein Mal umsteigen, bitte.

      Der Flug nach Frankfurt dauerte nicht lange. Ich hatte meinen MP3-Player ausgepackt und Musik gehört. Soundtracks von allen großen Kinofilmen der letzten Jahre sollten mich auf dieser Reise begleiten. Draußen war es dunkel, also schloss ich die Augen und lauschte der Musik. Kaum hatte ich mich entspannt, mussten wir nach einer Stunde wieder aussteigen.

      Lisa grinste, als ich mit offenem Mund hinaus auf die Maschine starrte, die uns nach Calgary bringen sollte. »Na, groß