Die schönsten Märchen aus Zentralafrika. Andreas Model

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Название Die schönsten Märchen aus Zentralafrika
Автор произведения Andreas Model
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783742737786



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Leuten in die Mitte des Waldes zurück. Sie beraten. Wie der Gefahr entrinnen? Angonzing beendet das Palaver. Auf seinen Befehl graben sich die Zwergmenschen in die Erde wie die Termiten. Jeder gräbt sein eigenes Loch. Jeder hastet, denn der Wind des Feuers ist heiß, und jeder hängt am Leben. Sobald die Löcher tief genug sind, verschwinden sie darin und warten, was kommt. Um sich zu ernähren, haben sie Ameisen in ihren Höhlen, Ameisen voller Fett, und geduldig warten sie.

      Drei Tage hindurch brennt der Wald. Drei Tage hindurch halten die Riesenmenschen um das Feuer gute Wacht. Endlich beginnt das Feuer zu verglühen. Sofort dringen sie in die allmählich verlöschende Glut vor. Mit der Speerspitze durchwühlen sie die heiße Asche; hier und da finden sie verkohlte Knochen. Die Zwergmenschen sind tot, die Riesenmenschen sind Sieger. Sie kehren in ihr Dorf zurück und stimmen den Siegesgesang an, tanzen den Siegestanz.

      Kaum sind sie fort, kommt Angonzing aus dem Versteck hervor und ruft die Gefährten. Alle kommen hervor, lachen über den gelungenen Streich, den sie den Feinden gespielt haben. Sieger sind die Zwergmenschen, die Menschen der Nacht, die Menschen des dunklen Waldes. Nachdem die Finsternis die Sonne verborgen hat und die Riesenmenschen Tiere verschlingen und in ihren Dörfern Palmwein und gegorenes Zuckerrohr trinken, da zielen die Pfeile der Zwergmenschen von allen Seiten. Wui, wui, wui, sie stechen. Die großen Köpfe der Riesenmenschen fallen zur Erde, pum, pum, pum, zur Erde fallen die großen Häupter. Der erste Kampf ist beendet.

      Die Riesenmenschen, wütend über die Niederlage, greifen von neuem an. Wieder dringen sie in den Wald der Zwergmenschen vor. Die widerstehen mit all ihren Kräften. Sie sind tapfer, aber sie sind nicht stark. Die Riesenmenschen sind tapfer und stark zugleich. Evungnzok führt sie, seiner Waffe kann niemand widerstehen. Sein Bruder Eyangnzok steht ihm zur Seite, niemand kann es ihm gleich tun. Als Waffe trägt er ein ungeheures Netz, in dessen Maschen er einen ganzen Wald fassen kann. Er verbirgt es in seinem Bauch. Wenn er kämpft, schleudert er es bis zu den Wolken, einem furchtbaren Vogel gleich. Sein durchdringendes Auge sieht alles, und wenn er den Feind entdeckt hat, springt er auf, wirft das Netz und in den Maschen hängen die Feinde. Wenn alle gefangen und in den Maschen verstrickt sind, ohne Kraft, sich zu verteidigen, speit er den Hammer aus, der in seinen Eingeweiden verborgen liegt und zermalmt einem nach dem anderen das Haupt. Wird er angegriffen, so kehrt er seinen Feinden den Rücken zu, sein Rücken ist unverwundbar. Auf seiner eisenharten Haut zersplittern Pfeile und Lanzenspitzen. Wenn alle Geschosse der Feinde aufgebraucht sind, dreht er sich um, und nun ist das Spiel auf seiner Seite, keiner entgeht ihm.

      Angonzing sah im Wald von fern die Feinde heranziehen. Er lässt sie von den Pfeilen seiner Krieger durchlöchern. Als er aber Eyangnzok das todbringende Netz schleudern und entfalten sieht, eilt er mit den Seinen schnell in den tiefen Wald, wo Bäume voller Dornen stehen. Dort fürchtet er das Netz nicht, die Dornen zerreißen die Maschen. Die Riesenmenschen müssen zu anderen Waffen greifen. Noch einmal wird ein Ring gebildet. Diesmal legen die Riesenmenschen kein Feuer an. Sie verfolgen die Zwergmenschen von Baum zu Baum und rücken unaufhörlich vor. Sie zerstochern prüfend das kleinste Loch mit ihren Speeren, zerstören die Termitenbauten und spüren ihnen unter Felsen und toten Baumstümpfen nach. Nichts vermag ihnen zu entgehen. Selbst die Tiere fallen unter ihren Hieben, und als die Nacht hereinbricht, setzen sie zum Angriff an. Die Zwergmenschen sind gefangen. Die Tiere sind verschwunden, nur die Affenherden sind noch übrig, die oben in den Wipfeln der Baumriesen auf Lianen laufen und springen, von Ast zu Ast, von Liane zu Liane, vorwärts, rückwärts, nach rechts, nach links. Hier und da zeigen sie ihre neugierigen Köpfe, dann flüchten sie flink.

      Bingo

      Eines Tages stieg Nsambe auf die Erde herab. Er fuhr auf dem Fluss und hatte seine Freude daran. Er saß nämlich in einem Einbaum, der bewegte sich von ganz allein, wirklich ganz allein, Nsambe musste nichts tun. In der Nähe eines großen Dorfes hielt er an. Dorthin wollte er unerkannt gehen, um sich unter die Menschen zu mischen. Da kam ein Mädchen zum Fluss, um Wasser zu schöpfen. Nsambe sah sie, und sie gefiel ihm, denn sie arbeitete gut, und so fleißig sie war, so schön war sie auch. Sie wurde schwanger, und er nahm sie mit, weit, weit, in das Land, aus dem man nicht zurückkehrt. Mboya, so hieß das Mädchen, kehrte niemals wieder. Als die Zeit herangekommen war, gebar Mboya einen Sohn und nannte ihn Bingo - warum, weiß ich nicht, keiner hat es mir gesagt, das mag ein Name von dort sein. Bingo wuchs jeden Tag, und Mboya liebte ihn mehr als alles andere auf der Welt. In seine Haare steckte sie die Elali, die Lieblingsblumen der Vögel, seine kleine Nase zierte ein Perlenschmuck. Hals und Arme waren mit Kupferbändern geschmückt, die jeden Morgen sorgfältig geputzt wurden. Bingo wuchs unaufhörlich, und Mboya liebte ihn immer mehr.

      Nsambe ärgerte das sehr. Eines Tages geriet er in Zorn, weil Bingo ihm einen Fisch gestohlen hatte. Er stieß Mboya in ihre Hütte, verprügelte Bingo und stürzte ihn aus der Höhe herab. Bingo fiel lange. Schon war er fast tot, da glitt er in die Fluten eines großen Gewässers, das von Bergen umgeben war - das war sein Glück! Noch besser war, dass er sich zugleich nahe am Ufer befand. Ein alter Mann saß mit seinen Netzen in einem Einbaum, um Fische zu fangen. Der fischte Bingo aus dem Wasser und führte ihn in seine Hütte. Der Name des Greises war Otoyom.

      Kaum hatte Nsambe Bingo hinab gestoßen, eilte Mboya, ihrem Sohn zu helfen. Ihr habt doch schon gelegentlich nachts im Wald ein umherirrendes Licht gesehen? Wer geht da um? Habt ihr die Stimme einer Frau gehört, die unter den Bäumen herumgeistert, ruft und klagt? Fürchtet euch nicht, das ist Mboya, die ihr Kind sucht, denn eine Mutter ermüdet nicht.

      Bingo ist also heruntergefallen, Mboya weggezogen - Nsambe stürzt ihnen hinterher. Er will um jeden Preis Bingo wieder finden. Er sucht auf den Bergen, er sucht auf dem Meer: "Meer, Meer, verbirgst du Bingo?" und auf der Erde: "Erde, Erde, verbirgst du Bingo?"

      Die Erde und das Meer antworten: "Nein, nein!" Unmöglich ihn zu finden. Otoyom, der große Zauberer, der die hohe Abkunft Bingos kannte, will ihn nicht ausliefern und verbirgt ihn gut.

      Bingo hatte sich in die Tiefe einer Höhle geflüchtet. Die Höhle ist groß und schwarz. Bingo denkt in seinem Herzen: "Hier bin ich in Sicherheit, und hält sich lange darin verborgen. Währenddessen verfolgt Nsambe ihn unermüdlich. Jeden Tag sagt er: "Ich werde Bingo wieder finden und sein Herz essen." Aber Bingo versteckt sich tief in der Höhle, mitten im Wald.

      Als Nsambe in diesen Wald kommt, begegnet er dem Chamäleon. "Chamäleon, hast du Bingo gesehen?" Das verrät aber nichts, sondern sagt nur: "Ich sah wohl einen Mann vorbeigehen, aber wer hat mir seinen Namen gesagt?" - "Und wohin ging er? Wo ist sein Dorf?" - "Er ging mal hierhin, mal dahin. Sein Dorf ist auf der anderen Seite des Waldes." - "Ist es weit dorthin?" - "Die Tage sind lang, jeder Tag ist eine lange Zeit. Ja, es ist weit."

      Enttäuscht ging Nsambe weiter. Während er überall nach Bingos Spur sucht, läuft das Chamäleon zur Höhle: "Bingo, gib acht! Dein Vater sucht dich." Das Chamäleon geht weiter bis auf die Spitze eines nahe gelegenen Felsens.

      Bingo verwischt sorgfältig die Spuren seiner Schritte, dann betritt er einen oft benutzten Pfad mit hartem Boden, und von da aus kehrt er in seine Höhle zurück. Vorsichtig geht er rückwärts, mit dem Rücken voran. Er tritt in die Höhle und verbirgt sich im hintersten Winkel. Sofort webt Ndambo, die Spinne, ihr Netz vor dem Eingang, ein dichtes, starkes Netz, und das Chamäleon wirft eilig Mücken und Insekten in die Maschen. Nsambe sucht unermüdlich. Schließlich begegnet er Viere, der Schlange: "Viere, hast du Bingo gesehen?" Viere antwortet: "Ja, ja. Er ist in der Höhle hier im Wald." Nsambe eilt zu der Höhle. "Was ist das?" spricht er, "Fußspuren, die sich entfernen?" Er erblickt das Spinnennetz und die Mücken, die darin gefangen sind. 'Ein Mensch kann nicht hier sein', überlegt er, und das Chamäleon von der Spitze des Felsens sagt: "Ah, du bist es, guten Tag." - "Guten Tag, Chamäleon, hast du Bingo in dieser Höhle gesehen?" - "Ja, aber das ist schon lange, lange her. Er ist weggegangen. Ich glaube, man sieht auf dem Erdboden noch die Spuren seiner Schritte." - "Wirklich, sie sind noch da. Ich will ihnen nachgehen. Chamäleon, du hast mir sehr geholfen."

      Nsambe ist schon weit, weit, sehr weit weg, da wagt Bingo sich erst aus der Höhle hervor. "Chamäleon, du hast mir sehr geholfen. Nimm das als Lohn: Du sollst nach Belieben die Farben wechseln können, so kannst du deinen Feinden entkommen." Zur Spinne aber sagt er: "Auch du hast