Название | Der anonyme Brief |
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Автор произведения | E.R. Greulich |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783847613282 |
Liebknecht half dem Sohn mit der Frage: "Hat es Ärger in der Schule gegeben?"
Dankbar nickte Helmi. "Mit Studienrat Kreftich."
"Warst du vorlaut?"
Vorwurfsvoll sah Helmi den Vater von unten herauf an. "Schuld bist du, Papa."
Liebknecht unterdrückte ein Schmunzeln. "Da bin ich aber gespannt."
"Schuld hat auch unser Primus, Max Steinert, der immer mit seinen Einsen in Geschichte prahlt."
"Es wäre schön, wenn du in Geschichte auch Einsen hättest."
"Bei Kreftich? Da kann ich mich Kopfstellen. Bin doch der Sohn vom Liebknecht."
"Also weiter. Schuld bin ich, schuld hatte Max, nur mein lieber Helmi war unschuldig."
"Es war so!" Auf Helmis Jungenstirn bildeten sich Falten. Er wollte schon bei der Wahrheit bleiben, aber jede Geschichte lässt sich so und so erzählen. "Fritz Heimburger fragt den Alex Stibbek, ob er gestern Nachmittag im Park mit Käthchen Heiland über platonische Liebe debattiert hat. Da sagt Steinert, was wisst ihr Affen von Plato, dem größten Philosophen Griechenlands. Darauf ich: erstens heißt er Platon, weil er ein Grieche ist; zweitens lässt sich darüber streiten, ob er der größte war. - Steinert schreit, ob etwa die Idee vom Guten, der Schönheit, Tugend und Wahrheit nicht das Größte ist? Brülle nicht, sage ich, Platons Ideen sind ganz schön, aber bloß für die Aristokraten, weil er selbst einer war. Alles für die Reichen, nichts für die Sklaven. Es war ganz still geworden in der Klasse, und alle grinsen so verdächtig. Ich drehe mich um, Studienrat Kreftich steht hinter mir. Wo hast du denn diese Weisheit aufgegabelt? fragt er. - Bei meinem Vater, sage ich. - Hm, hm, sagt er, wenn dem so ist, müsste dein Herr Vater eigentlich wissen, dass etliche seiner Wolkenkuckucksideen von Platon stammen. - Und der hat viel von Sparta übernommen, sage ich schnell, mein Vater meint, etwas Gutes zu übernehmen ist keine Schande, nur darf man nicht vergessen ... - Schließ dein vorlautes Mundwerk, schnauzt er, ich kann deinem Vater nicht verbieten, dir seine Utopien einzutrichtern, doch hier in der Schule behalte den Schnickschnack für dich, verstanden? Der Steinert grinst mich so schadenfroh an, da zischele ich ihm zu, von dir lasse ich mir noch lange nicht den Mund verbieten. - Der Studienrat muss es gehört haben und verkündet: Helmut Liebknecht, wegen ungebührlichen Betragens schreibe ich dir einen Tadel ins Klassenbuch!" Aufgerichtet im Lehnsessel, hatte Helmi berichtet, nun sah er den Vater erwartungsvoll an.
Liebknecht wusste, der Älteste hoffte auf Freispruch, womöglich den Tadel umgewandelt in einen Orden Pour le Mérite. Er hatte sich wacker geschlagen. Und, für einen Zwölfjährigen erfreulich, er hatte Wesentliches von der Unterhaltung neulich behalten. Sie waren, den Ursprung des Wortes Akademie im Lexikon suchend, auf Platon gekommen. Die Jugend sieht alles absolut, zu differenzieren fällt ihr schwer. Wie macht man dem Bürschlein klar, dass es sich trotz seiner grundsätzlich richtigen Einstellung nicht eben geschickt verhalten hat? Selbstverständlich ist dieser Kreflich ein Reaktionär. Aber in welcher preußischen Schule gibt es schon sozialistische Lehrer?
Freundschaftlich sagte Liebknecht: "Besser wäre es natürlich gewesen, du hättest unsere Sache so vertreten, dass der Studienrat dir keinen Tadel geben konnte."
"Aber Kreflich hat nun mal einen Pik auf mich." Der Sohn ließ bekümmert die Unterlippe hängen.
"Da ist ein Bienenstock.", Liebknecht dachte belustigt über das Gleichnis nach, während er es langsam entwickelte. "Ich brauche den Honig zum Leben, außerdem schmeckt er süß.
Freiwillig geben ihn die Bienen nicht her, und Stiche schmerzen."
"Dann sollen sie ihren Honig behalten", folgerte Helmi.
Liebknecht lachte herzhaft, "Ich sagte doch, wir brauchen ihn zum Leben. Das ist vorausgesetzt. Bleibt also zu überlegen, wie man recht viel Honig ohne Stiche bekommt."
"Man muss eben die Bienen ausräuchern!"
Wieder lachte Liebknecht über die Jungenlogik. "Dann sind die Bienen weg und für immer der Honig."
"In Biologie haben wir gelernt, dass Imker nicht gestochen werden."
Jetzt hat er dich beinahe hereingelegt, dachte Liebknecht mit einigem Stolz auf den Sohn. "Wie stellt es der Imker an, damit er nicht gestochen wird? Er setzt einen Hut auf, schützt sein Gesicht mit Gaze und zieht sich Handschuhe an."
"Und was hat das alles mit Studienrat Kreflich zu tun?" Dem Gesicht Helmis war anzusehen, dass er sich ein wenig dumm stellte.
Liebknecht drohte ihm lächelnd und fuhr fort: "Wir leben in einer Gesellschaft, die uns feindlicher gesonnen ist, als es die braven Bienen dem Imker sind. Aber ihren Honig, das Wissen, müssen wir ihr entreißen. Wissen ist Macht, eine berühmte Schrift deines Großvaters. - Ja, also, man reizt die Bienen nicht, genauso wenig wie Herrn Studienrat Kreflich. Und wenn man sich genügend geschützt hat, ich meine, innerlich gewappnet, dann kann einen auch ihr drohendes Summen nicht provozieren."
Helmi war nicht restlos überzeugt, seine Zähne kauten auf der Unterlippe. Plötzlich schaute er den Vater pfiffig an. "Du sagst doch auch, was manchen nicht gefällt. Hast viel Ärger davon und machst es immer wieder."
Liebknecht nickt ernst. "In Versammlungen, auf Parteitagen, Konferenzen, im Parlament. Immer dort, wo es gesagt werden muss. Was du nicht unbedingt, zumindest nicht gleich, zu sagen brauchtest, das hat dir den Tadel eingetragen."
Ein wenig kleinlaut kam die neue Frage aus Helmis Mund: "Und weshalb musst du es sagen?"
"Um die Menschen zu überzeugen, immer wieder und wieder."
Helmi blinzelte. "Aber ich soll den Studienrat nicht überzeugen?''
"Es wäre ein Novum, ließe sich ein preußischer Studienrat vom Schüler überzeugen." Liebknecht wurde impulsiv. "Spreche ich in einer Versammlung vor Arbeitern, warten sie darauf, etwas zu erfahren, es erklärt zu bekommen, mit neuem Wissen nach Hause zu gehen."
"Und wenn du im Reichstag vom Leder ziehst?" Den Ausdruck hatte Helmi neulich aufgeschnappt, und es machte ihm Spaß, ihn jetzt an den Mann zu bringen.
Liebknecht freute sich über die Frage. "Spreche ich da nicht auch für die Arbeiter? Sie lesen es am anderen Tag. Viel mehr Menschen lesen es, als in die größte Massenversammlung kommen könnten. Bebel und dein Großvater haben es hundertmal ausprobiert, es ist eine gute Methode."
"Sie sind aber auch schlimm dafür gestochen worden."
Schatten huschten über Liebknechts Gesicht. "Sogar ihre Familien, ihre Kinder, auch ich, obwohl ich eben erst geboren war. Aber die Sozialdemokratie wäre nicht in dem Maße gewachsen, hätte das Sozialistengesetz nicht so ungeschlagen überwunden, hätten die beiden nicht bei jeder möglichen Gelegenheit zu denen im Lande gesprochen. Dass sie dafür büßen mussten, dankten ihnen die Arbeiter mit unbeirrbarer Treue zur Idee."
Helmi seufzte. "Mir wird keiner den Tadel danken."
Angerührt von des Jungen Kummer, hätte Liebknecht den Ältesten am liebsten an sich gezogen. Doch das war schon eine Weile nicht mehr üblich, passte nicht zu dem Verhältnis von Mann zu Mann, wie es die Jungen in dem Alter mögen. Er stand auf und fuhr Helmi verstohlen übers Haar. Dozierend wanderte er auf und ab in jener Art, die nicht steif und professoral wirkt, der Zuhörende hat eher das Gefühl, zu diesem beweglichen Geist gehört die Bewegung. "Nimm die Kreflichs einfach nur als Wissensübermittler. Natürlich könntest du dem Herrn Studienrat ständig Charakterfehler nachweisen. Was kommt am Ende dabei heraus? Nicht nur schlechte Zensuren. Schlimmeres, vor lauter Kritteln kommst du nicht zum Lernen. Doch nur wer Wissen besitzt, kann Wissen abgeben. Als Bebel deinen Großvater kennengelernt hatte, äußerte er sich zu Freunden: Donnerwetter, das ist ein Kerl, von dem kann man was lernen. - Ich habe versucht, mit den Pfunden zu wuchern, die ich vom Vater mitbekam. Möchtest du es