Ich nannte dich Kate. Nicole Beisel

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Название Ich nannte dich Kate
Автор произведения Nicole Beisel
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783847679974



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hallo Josefine. Wie geht es dir?" "Danke, sehr gut. Dachte ich mir doch, dass ich richtig gesehen habe. Es gibt Neuigkeiten." Vor Neuigkeiten war Betty nirgends sicher, weder im Supermarkt noch in der Nähe ihrer Nachbarn, und in diesem Fall trafen beide Situationen im gleichen Augenblick aufeinander.

      Josefine und ihr Mann Thomas wohnten seit vielen Jahren im Haus nebenan. Sie waren beide schon etwas älter, etwa Ende sechzig und hatten zwei Söhne, die mittlerweile selbst schon lange erwachsen waren und ihre eigenen Familien gegründet hatten. Seit einigen Jahren lebten Josefine und Thomas alleine in diesem großen, aber sehr hübschen Haus, das stets in Schuss gehalten wurde. Das Verhältnis zwischen ihnen und Betty sowie ihrer Familie war stets gut gewesen, wenn auch nicht allzu eng. Sie wechselten ein paar Sätze, wenn sie zufällig zur gleichen Zeit in ihren Gärten waren oder hielten einen kurzen Plausch im Supermarkt, um den aktuellen Klatsch und Tratsch genauer unter die Lupe zu nehmen. Diesmal ging es allerdings tatsächlich um Neuigkeiten von etwas größerer Bedeutung.

      Neuigkeiten, die Betty Linda zu Hause mitteilen würde, wenn sie gemeinsam beim Essen saßen. Neuigkeiten, die mehr veränderten, als Betty in diesem Augenblick vermutet hätte…

      Haus zu verkaufen

      Kaum hatte Linda die schwere Haustür geöffnet, wehte auch schon ein leckerer und leicht würziger Geruch durch die Diele. Es roch lecker, aber irgendwie anders als sonst. Linda legte ihre Schlüssel auf der Kommode ab, streifte sich die Tasche von der Schulter und lief auf direktem Weg in die Küche, wo Betty gerade den Tisch deckte. "Hallo, Schätzchen. Du kommst aber spät heute." Das Essen stand fertig auf dem Herd, verteilt auf mehrere Kochtöpfe.

      Linda dachte zurück an ihr Gespräch mit Tony, an den Zettel in ihrer Hosentasche und an ihren kurzen Ausflug zum Hafen. Noch würde sie all das für sich behalten. "Ja, heute war mehr los als sonst, ich wollte noch schnell etwas fertig machen." Betty versuchte einen Hauch von Unsicherheit oder Ratlosigkeit in Lindas Augen zu lesen, konnte aber nichts dergleichen erkennen. Vielleicht hatte sie diese seltsame Frau, die sie gestern noch so sehr beschäftigt hatte, schon längst wieder vergessen. Betty hoffte es, denn so hatte auch sie eine Sorge weniger und konnte einmal mehr den Rat ihres Arztes befolgen.

      "Was ist das?" Linda spähte verstohlen in die Kochtöpfe hinein und wirkte beinahe etwas enttäuscht. Betty hatte eine solche Reaktion bereits erwartet, musste aber vorsichtig sein, was ihre Antwort betraf, denn von ihrem Arztbesuch wollte sie noch nicht erzählen. "Das ist Gemüse und Putenfleisch. Karotten, Erbsen, Kohlrabi und eine leichte Soße dazu, allerdings ohne Sahne." Betty wartete die Antwort ihrer Enkeltochter ab, die sicherlich in Form einer weiteren Frage ausgesprochen wurde. Und sie behielt recht. "Warum?" Mehr wusste Linda nicht dazu zu sagen. Betty war innerlich ein wenig unsicher, beinahe verlegen, aber Linda schien nicht zu bemerken, dass ihre Großmutter versuchte, ihr etwas zu verheimlichen. "Einfach so. Ich dachte, wir könnten auch mal etwas leichteres und gesünderes essen. Hast du etwas dagegen?" Linda schüttelte den Kopf. "Nein, warum auch. Du machst das schon richtig, Grandma."

      Als müsste Linda für ihre Großmutter sorgen und nicht umgekehrt, tätschelte Linda ihr sachte die Schulter, wusch sich die Hände und nahm am gedeckten Tisch Platz. Betty belud zwei Teller mit mittelgroßen Portionen, reichte ein Stück Vollkornbaguette dazu und nahm ebenfalls Platz.

      Betty wusste an diesen Mittag nicht, worüber sie mit Linda hätte sprechen können. Ihr Besuch bei Dr. Hayes am Morgen sollte vorerst noch geheim bleiben und nach Lindas Gedanken um die Dame vom Vorabend wollte Betty nicht fragen weil sie befürchtete, schlafende Hunde zu wecken, indem sie Linda wieder an diese Frau erinnerte. Doch dann fiel ihr ein interessantes Gesprächsthema ein.

      "Ich habe heute Josefine von nebenan getroffen. Wusstest du, dass sie ihr Haus verkaufen?" Es dauerte eine Sekunde, bis Linda begriff, was ihre Großmutter ihr gerade erzählte und hatte Mühe, den Bissen hinunter zu schlucken und ihn vollständig ihren Hals hinunter rutschen zu lassen. Linda überlegte einen Moment, was diese Information bedeuten könnte. Die Blakes zogen weg. Womöglich zog bald jemand neues ein. Ein Haus, das leer stand, hier in Dover,… Betty ignorierte die zusammen gezogenen Augenbrauen ihrer Enkelin und sprach weiter. "Schon morgen soll jemand vorbei kommen und sich das Haus anschauen. Die Blakes haben schon eine neue Wohnung in Aussicht und warten nur darauf, ihr Haus so schnell wie möglich verkaufen zu können. Kannst du das glauben? In Kürze werden wir vielleicht schon neue Nachbarn haben."

      Lindas Stirn legte sich immer weiter in tiefe Falten, während sie versuchte, ihrer Großmutter gegenüber eher unbeeindruckt zu wirken, was ihr jedoch nicht ganz gelang. "Was schaust du denn so, Liebes? Schmeckt es dir nicht?" Linda sah ihre Großmutter kurz an, schaute jedoch gleich wieder auf ihren Teller, von dem sie artig weiter aß, während sie im Stillen noch immer grübelte. "Doch, doch. Es ist wunderbar, Grandma. Danke. Das solltest du öfter kochen."

      Ein leer stehendes Haus in Dover. Schon morgen soll ein Interessent vorbei kommen. Wollte Miss Jones sich nicht morgen ein Haus anschauen? Linda wollte instinktiv in ihre rechte Hosentaschen greifen, konnte sich jedoch im letzten Moment zusammenreißen. Der Zettel sollte ihr Geheimnis bleiben, nicht nur wegen der vertraulichen Daten. War es möglich, dass sie morgen schon diese seltsame Frau wiedersah? Linda versuchte, sich wieder zu beruhigen. Schließlich gab es sicherlich viele Leute, die sich samstags ein Haus anschauten, das sie vielleicht auch kaufen wollten. Linda wollte gerne an einen Zufall glauben, wollte sich aber auch keine falschen Hoffnungen machen. Sie wollte sich nicht in ein Hirngespinst verrennen, das sie hinterher enttäuschen konnte, auch wenn sie nicht wusste, welchen Grund es für eine Enttäuschung hätte geben sollen. Linda wurde das Gefühl nicht los, dass es mehr über diese Frau herauszufinden gab und ihr Bauch sagte ihr, dass sie dafür bestimmt war. Aber wer weiß, vielleicht sah Fiona Jones sich morgen ein ganz anderes Haus als das der Blakes an.

      "Hat Josefine gesagt, wer vorbei kommt, um sich das Haus anzusehen oder wann?" Betty versuchte sich an das Gespräch im Supermarkt zu erinnern. "Ich glaube, sie sagte, eine Frau sollte vorbei kommen. Morgen Vormittag, aber wann genau hat sie nicht gesagt."

      Betty versuchte nicht, sich anmerken zu lassen, dass erneut eine Angst in ihr auftauchte, eine Befürchtung, die sie am liebsten schnell wieder vergessen wollte. Diesmal waren es ihre Gedanken, die zurückgingen zu der Frau, die Linda gestern erwähnt hatte. Betty dachte an ihre lederne Mappe in ihrer Kommode, in der sie jedoch auf den ersten Blick keine näheren Informationen finden konnte, die ihre Befürchtungen in irgendeiner Art und Weise hätten begründen können. In diesem Moment hatten Betty und Linda die gleichen Gedanken im Kopf, die gleichen Fragen, die gleichen Vermutungen, und doch sprachen sie sie nicht aus, sondern blieben in dem Glauben ein Geheimnis bewahren zu können, nicht ahnend, dass es genau genommen gar kein Geheimnis mehr war, denn tief im Inneren teilten sie es bereits miteinander. Lediglich ihre Ängste, von denen Linda nichts ahnen konnte, behielt Betty tatsächlich für sich.

      Auch wenn Betty die Antwort schon kannte, stellte sie ihrer Enkelin die Frage trotzdem. "Warum möchtest du das denn wissen? Kennst du jemanden, der ein Haus sucht?" Ja, hätte Linda am liebsten laut ausgerufen. Aber stattdessen schüttelte sie den Kopf. "Nein, ich kenne niemanden. Ich hoffe, dass sie bald einen geeigneten Käufer finden. Schade, dass sie wegziehen." Betty fühlte ähnlich. "Das stimmt, aber das Haus ist für die beiden einfach zu groß. Zumindest empfindet Josefine das so. Sie werden mir fehlen, alle beide."

      Mit diesen Worten war das Mittagessen beendet. Linda half beim Abräumen, dabei war sie sehr ungeduldig und konnte es kaum erwarten, sich in ihrem Zimmer zu verstecken, um den Zettel erneut hervorzuholen, auf dem Worte standen, die für sie eine größere Bedeutung hatten, als man annehmen sollte.

      Noch während Linda die letzten Töpfe abspülte, stellten sie und Betty sich erneut die gleiche Frage – heimlich, still und leise, unausgesprochen, tief verborgen in ihrem Inneren.

       Warum sollte eine alleinstehende Frau ein so großes Haus kaufen wollen?

      Die potentielle Käuferin

      Während Betty im Wohnzimmer vor dem Fernseher saß