Название | Ich nannte dich Kate |
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Автор произведения | Nicole Beisel |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783847679974 |
Linda hatte sich danach lange in ihrem Zimmer im oberen Stockwerk des hübschen, aber nicht sonderlich modernen Zweifamilienhauses verkrochen, während ihre Oma Betty im Stockwerk darunter in ihrem Wohnzimmersessel saß und geduldig auf ein Zeichen ihrer Enkelin wartete. Betty hatte gewusst, dass ihre Enkelin mit damals 17 Jahren alt genug war, um alleine in der Wohnung zurecht zu kommen, zumal Linda niemals wirklich ganz alleine gewesen war, denn Betty war immer ganz in ihrer Nähe gewesen. Aber bereits zu diesem Zeitpunkt hatte Betty sich eines angewöhnt: Sie umsorgte ihre Enkelin ständig mit etwas Essbarem. Sie stellte es ihr – wie man es aus Filmen kennen mag, in denen es um schweren und scheinbar unheilbaren Liebeskummer ging – regelmäßig ein Tablett vor die Tür, ehe sie leise die Treppen wieder hinunter stieg und geduldig darauf wartete, dass Linda wenigstens eine Kleinigkeit zu sich nehmen mochte. In den ersten Tagen hatte das Tablett bei nochmaligem Nachsehen kaum eine Veränderung aufgezeigt. Teilweise war es schlichtweg auf die Seite geschoben worden, womöglich, damit Linda wenigstens zur Toilette konnte, ohne das Tablett oder das Essen, das sich darauf befand, zu zertreten. Erst beinahe eine Woche später, kurz nach der Trauerfeier, die aufgrund der wenigen Familienangehörigen recht schlicht und kurz ausfiel, nahm die Menge an Essbarem, das sich auf dem Tablett befand, stetig ab und von Tag zu Tag kam immer mehr vom Teller selbst zum Vorschein, den Betty samt Tablett am späten Abend wieder mit hinunter in ihre eigene Küche nahm um sich darüber zu freuen, dass sie wenigstens über das Essen eine Art Kontakt zu ihrer Enkelin halten konnte, die ansonsten noch immer sehr schweigsam gewesen war, obwohl das Band, das einst zwischen Großmutter und Enkelin gespannt war, vor dem Unglück beinahe fester war als das zwischen Linda und ihren Eltern.
Seit dieser Zeit kümmerte sich Betty um die Ernährung ihrer Enkelin, die sich immer mehr in der Wohnung im unteren Stockwerk aufhielt, weil sie es eines Tages in ihren bisherigen Wohnräumen nicht mehr ausgehalten hatte. Alles erinnerte sie an ihre Eltern und an ihre gemeinsame Zeit, vor allem aber auch an ihre Kindheit, in der es keine Sorgen und keine Ängste gab, denn dafür hatten Charles und Rachel gesorgt. Die Angst und die Unsicherheit von Linda fernzuhalten – das war ihre Aufgabe gewesen. Eine Aufgabe, die sie selbst gewählt hatten und die sie jeden Tag aufs Neue erfüllen wollten, vom ersten bis zum letzten Augenblick ihrer gemeinsamen Zeit.
Und bis heute hat Betty sich diesen Brauch, der alleine ihre Idee war, beibehalten. In der Zwischenzeit stand die Wohnung im Obergeschoss beinahe leer, nur noch wenige Möbelstücke füllten die Räume, die trotzdem viel zu leer und still wirkten, beinahe kalt und beängstigend. Auch sonst gab es in der darauffolgenden Zeit einige Veränderungen. Die Tatsache, dass Linda mit niemandem über ihre Eltern oder über das Geschehene sprach machte es ihr dafür umso einfacher, sich auf die Schule zu konzentrieren, was ihr tatsächlich zugutekam und ein halbes Jahr nach dem Unglück zu einem sehr guten Schulabschluss mit Bestnoten führte. Dies hatte sie einzig und alleine ihrer Entscheidung zu verdanken, ihre Gefühlswelt auszuschalten und ihre Trauer zu verstecken, sobald sie das Schulgebäude betrat. In beruflicher Hinsicht musste Linda nicht lange nachdenken, für welche Tätigkeit sie sich entscheiden sollte. Sie hatte beschlossen, in die Fußstapfen ihres Vaters Charles zu treten und eine Ausbildung zur Bankkauffrau zu machen. Auf diese Weise fühlte sie sich ihm zumindest ein Stück weit verbunden und vom Studieren hatte Linda sowieso noch nie viel gehalten. Durch ihr hervorragendes Abschlusszeugnis hatte sie keine Mühe, einen geeigneten Ausbildungsplatz zu finden und freute sich auf das Erlernen des neuen Berufs sowie über die Tatsache, dass sie nun langsam erwachsen wurde. Das waren eine Menge neue Dinge in relativ kurzer Zeit, die ihr Leben beinahe auf den Kopf stellten, während sie noch immer versuchte, alleine mit ihrer Trauer um ihre Eltern umzugehen. Umso wichtiger fand Betty es, ihrer Enkelin wenigstens einen festen Punkt geben zu können, an dem sie sich festhalten und orientieren konnte, etwas, dass ihr Sicherheit gab, weil es immer da war und sich niemals ändern würde.
Und so bekam eine einfache Lunchbox einen festen Platz in Bettys und Lindas Leben, unbedeutend und zugleich unheimlich wichtig. Für beide.
(K)eine erste Begegnung
Donnerstags haben die Banken in Dover länger geöffnet als an anderen Tagen, damit auch Berufstätige ihre Bankgeschäfte in aller Ruhe erledigen konnten, ohne sich extra dafür frei nehmen zu müssen. Daher war an Donnerstagen vor allem in den Abendstunden am meisten los und der Betrieb erlangte eine halbe Stunde vor Feierabend seinen regelmäßigen Höhepunkt. Auch war es üblich, dass die Finanzberater der Bank an Donnerstagabenden ihren Kunden einen Stuhl hinter ihren verschlossenen Türen anboten, um über ein mögliches Darlehen zu sprechen, das in den meisten Fällen für einen Hauskauf benötigt wurde. Normalerweise schenkte Linda den Kunden, die am Abend ihren persönlichen Berater aufsuchten, keine weitere Beachtung, aber an diesem Abend war es anders. SIE war anders. Eine Frau, etwa vierzig Jahre alt, hübsch und gepflegt, die vielerlei Blicke auf sich zog als sie durch die Eingangstür schwebte.
Es war nicht unüblich, dass Menschen, die Bankgeschäfte zu erledigen hatten, einen sehr gepflegten und auch eleganten Eindruck machten. Die meisten der Kunden kleideten sich bewusst etwas schicker um einen noch seriöseren Eindruck zu hinterlassen, weil sie annahmen, somit leichter an ein Darlehen zu kommen, das sich auch bezahlen ließ. Aber die Berater kannten die Tricks nur zu gut und wussten, dass es auf weitaus mehr ankam als auf das Aussehen oder die Körperhaltung und die Mimik oder gar die Marke der Kleidung, die ein Kunde trug, denn Schönheit ist nicht unbedingt immer mit Reichtum gleichzusetzen und wer reich ist, braucht auch schließlich keine Bank, die einem ein Darlehen gibt, damit man sich ein hübsches Haus kaufen oder bauen konnte.
Die Dame, die soeben die Bank betreten hat und auf der Suche nach ihrem Berater war, schien sich dessen bewusst zu sein, denn sie wirkte weder eingebildet noch nervös. Man hätte vom ersten Augenblick an tatsächlich den Eindruck haben können, dass sie eine ehrliche und sehr vernünftige Person war. Jemand, dem man blind vertrauen konnte. Zumindest war das der Eindruck, den sie bei Linda hinterlassen hat. Irgendetwas an dieser Frau faszinierte Linda, aber sie konnte nicht beschreiben, was es war. Linda beobachtete die Kundin, während diese sich suchend umblickte und dann doch etwas unsicher auf den Tresen zukam, ehe sie unmittelbar vor Linda stehen blieb, die sich ernsthaft um einen entspannten und freundlichen Gesichtsausdruck bemühen musste.
"Guten Tag. Jones ist mein Name. Ich suche Mr. Watts. Ich habe einen Termin bei ihm." Entgegen ihrer Befürchtungen fand Linda ihre Sprache schnell wieder und zeigte auf eine Tür in der hintersten Ecke des Raumes, ehe sie sich kurzfristig doch dazu entschloss, hinter dem Empfangsbereich hervorzutreten und die Kundin zu Mr. Watts' Büro zu führen. Linda war während ihrer gesamten Ausbildung stets um ein zuvorkommendes und äußerst höfliches Benehmen bemüht, was ihr auch bei ihren Kollegen und Vorgesetzten eine hohe Sympathie einbrachte.
"Sie sieht sehr schick aus," sagte Christine, eine von Lindas Kolleginnen an sie gewandt. Linda wollte diese Aussage bestätigen, brachte jedoch nur ein kurzes Nicken hervor. "Was ist denn?" Linda wandte sich nun doch ihrer Kollegin zu und tat so, als wäre alles in Ordnung. Dabei sollte es nicht bei dieser für Linda wundersamen Begegnung bleiben.
Auch als sich Linda nach Feierabend auf den Heimweg machte, ging ihr diese Kundin nicht mehr aus dem Kopf. Was hatte sie nur an sich? Warum fühlte sich Linda so sehr von dieser Frau in ihren Bann gezogen? Darauf würde sie wohl nie eine Erklärung bekommen und so beschloss sie, weiterhin im Stillen solange an diese Frau zu denken, bis dieses Erlebnis immer weiter in die Vergangenheit gerückt war und eines Tages ganz vergessen sein würde.
"Hallo Linda. Ich hoffe, du hattest einen schönen Tag. Das Essen ist fertig, setz dich doch schon mal hin." Grandma Betty war wie immer mit dem Essen beschäftigt, wie sollte es auch anders sein. Schließlich hatte ihre Enkelin einen langen Arbeitstag hinter sich und war sicher müde und hungrig. Manchmal gab es Tage, an denen Linda einfach nur ihre Ruhe haben wollte und die Fürsorge ihrer Großmutter Linda beinahe auf die Nerven ging, aber dann rief sie sich wieder ins Gedächtnis wie froh sie sein konnte, eine Großmutter zu haben, die auch noch so gut für sie sorgte.
Ihre Eltern hatten sich ebenfalls immer sehr gut um sie gekümmert, hatten sich Zeit für sie genommen und sie liebevoll umsorgt, aber das Band zwischen Betty und Linda schien durch den Tod