Название | Ich nannte dich Kate |
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Автор произведения | Nicole Beisel |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783847679974 |
Kaum hatte Betty auf einem der alten Holzstühle Platz genommen, wurde sie auch schon wieder aufgerufen. Das Wartezimmer war spärlich besetzt; lediglich zwei weitere Patienten warteten auf ihren Termin bei Dr. Hayes und obwohl Betty gerade erst in die Praxis gekommen war, wurde sie gleich drangenommen. Betty hatte beinahe ein schlechtes Gewissen den anderen Patienten gegenüber, aber schließlich lag die Reihenfolge der Patienten, die Dr. Hayes zu sich hineinbat, nicht in ihrer Hand. Betty ärgerte sich beinahe darüber, dass sie sich nicht mal für eine Minute hatte setzen können, war jedoch andererseits auch froh darüber, dass sie scheinbar bald erfahren würde, was ihr fehlte, sofern dies tatsächlich der Fall war. Betty war sehr gespannt auf das, was der Arzt ihr zu ihren Beschwerden sagen würde und erkannte zum ersten Mal, soweit sie sich erinnern konnte, dass sie Angst davor hatte, das Behandlungszimmer zu betreten.
In diesem Moment wünschte sie sich, Linda wäre bei ihr. Dabei soll gerade sie vorerst nichts von diesem Arztbesuch erfahren, schließlich hat sie gerade eigene Sorgen.
Sorgen, die zugleich auch Bettys Sorgen waren, verborgen im Herzen einer jungen blonden Frau, die sie nicht kannte.
Der Notizzettel
Während Dr. Hayes Betty herzlich in Empfang nahm und sie nach ihrem Befinden fragte, ging Linda ihrer Arbeit in der Bank nach. Sie machte ihre Arbeit gut und professionell, wie immer, und doch war sie mit ihren Gedanken ganz woanders, wenngleich sich ihre Gedanken ebenfalls mit ihr im Bankgebäude befanden. Aber ihre Gedanken kreisten nicht um ihre Arbeit oder um die Kunden, die heute an ihrem Schalter in der Schlange standen, um Geld auf ein Konto einzubezahlen, eine Überweisung zu tätigen oder um zahlreiche Geldscheine in eine andere – aufgrund der kurzen Entfernung zu Calais meist in die französische – Währung umtauschen zu lassen. Die Gedanken in ihrem Kopf kreisten um den vorangegangenen Tag, um eine Frau, die ihr nicht mehr aus dem Sinn wollte, obwohl sie sie nicht kannte und es auch sonst keinen Grund gab, warum Linda so viele Gedanken an eine einfache Kundin verschwenden sollte. Und doch tat sie es, ungewollt, und sie wusste nicht, was sie dagegen tun konnte. Linda verstand noch immer nicht, wie diese Frau sie so sehr faszinieren konnte.
Der frühe Feierabend nahte, und Linda beschloss, Mr. Watts rechtzeitig abzufangen, bevor er zur Tür hinausging. Es war Freitagmittag und wenn sie ihn jetzt nicht auf diese Kundin ansprach, würde sie ein ganzes Wochenende lang warten müssen, bis sie möglicherweise mehr oder weniger hilfreiche Informationen in Erfahrung bringen konnte. Schnell eilte sie hinter dem Schalter hervor und lief auf sein Büro zu, das er gerade verlassen wollte. Ein wenig überrascht schreckte der Finanzberater zurück, als er Linda schnellen Schrittes auf ihn zukommen sah.
"Linda! Ist etwas passiert?" Er sah den unsicheren Blick in ihren Augen, der ihn ein wenig stutzen ließ. Schnell versuchte sie ihn diesbezüglich zu beruhigen, obwohl sie noch immer sehr unsicher war. Einerseits kam sie sich fast ein wenig dumm vor, weil sie einen ihrer Kollegen über eine Kundin ausfragen wollte, aber andererseits hatte sie das tiefe Bedürfnis, mehr über diese Frau herauszufinden, auch wenn sie nicht genau wusste, wozu das führen sollte.
"Nein, nein. Alles in Ordnung. Aber vielleicht könntest du mir trotzdem helfen, Tony." In dieser Bankfiliale war es nicht unüblich, dass die Mitarbeiter, die keinen allzu großen Altersunterschied hatten, sich beim Vornamen nannten. "Gerne. Worum geht's?" Linda musste schlucken, ehe sie sich endlich traute, ihre Fragen laut auszusprechen. Sie wusste nicht, welche Informationen Tony ihr geben konnte und sie wusste genauso wenig, welche Antworten auf ihre Fragen sie sich erhoffte, aber es gab ihr ein gutes Gefühl, überhaupt jemanden fragen zu können.
"Erinnerst du dich an die Frau, die gestern Abend bei dir war? Ich hatte sie in dein Büro geführt. Wie hieß sie doch gleich? Jones…?" Verwundert sah Tony seine junge Kollegin an. "Ja, Fiona Jones. Was ist mir ihr?" Oh Gott, gleich werde ich mich blamieren, dachte Linda. Wie sollte sie ihm denn nur erklären, dass sie immer und immer wieder an diese Frau denken musste, obwohl es offensichtlich keinen Grund hierfür gab? Linda gab sich einen Ruck und fuhr fort. "Das würde ich dich gerne fragen. Es ist mir wirklich unangenehm, aber sie geht mir nicht mehr aus dem Kopf." Tonys Blick verwandelte sich von Verwunderung in Ratlosigkeit, ehe er sie mit einem schmunzelnden und zugleich beinahe enttäuschten Gesichtsausdruck ansah. Linda konnte nicht glauben, dass ihr Kollege so etwas von ihr dachte und stellte seine erste Vermutung schnell richtig. "Oh, nein, Tony. Nein, es ist nicht das, was du jetzt denkst. Ich kann es mir ja selbst nicht erklären. Ich habe nur wenige Worte mit ihr gewechselt. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich sie nicht kenne und auch noch nie gesehen habe, aber trotzdem fühlt es sich so an, als gäbe es eine Verbindung zwischen uns. Ich weiß auch nicht… sie zieht mich in eine Art Bann. Anders kann ich es dir auch nicht erklären…" Hilflos rang Linda nach weiteren Worten, die einer Erklärung gleich kamen, aber ihr fiel nichts weiter dazu ein. "Oh, verstehe." Tony glaubte selbst nicht an seine eigenen Worte, aber er wollte Linda nicht noch weiter in Verlegenheit bringen indem er ihr Fragen stellte, die sie sich selbst kaum beantworten konnte.
"Und was genau möchtest du wissen?" Linda überlegte. Es gab so vieles, das sie wissen wollte über diese Person, die seit beinahe 24 Stunden in ihrem Kopf herumschwirrte. "Nun ja, wo kommt sie her? Ist sie von hier? Wo arbeitet sie? Hat sie eine Familie? Möchte sie ein Haus kaufen? Wie alt ist sie? Ach, bitte sag mir alles, was du über sie weißt und was du mir sagen kannst." Flehend blickte sie ihrem Kollegen in die Augen. Es schien Linda wirklich sehr wichtig zu sein, mehr über seine Kundin zu erfahren, aus welchem Grund auch immer. Seufzend stellte er seine Aktentasche wieder ab und bot Linda einen Platz an, ehe er selbst sich in seinen schweren ledernen Bürosessel fallen ließ und eine Schranktür öffnete, um eine Akte heraus zu holen.
Linda hatte innerhalb des Bankgebäudes noch nie in einem solchen Raum, in einem solchen Stuhl gesessen. Die Sitzfläche und die Rückenlehne waren ebenfalls aus schwarzem Leder, wahrscheinlich Kunstleder, wie sie vermutete. Ihre Finger krallten sich fest um die gebogenen Stahlrohre, die ebenfalls mit einem kleinen Kunstlederpolster bestückt waren und als Armlehnen dienten. Hatte Miss oder Mrs Jones gestern auf dem gleichen Stuhl Platz genommen oder saß sie auf dem Stuhl nebenan? Linda fühlte sich beinahe wie verzaubert, kam sich im gleichen Moment jedoch sehr albern vor. Unzählige Kunden hatten hier schon gesessen, und Fiona Jones war nur eine unter ihnen, mehr nicht. So jedenfalls versuchte Linda es sich einzureden, konnte ihren eigenen Worten und Gedanken jedoch selbst kaum Glauben schenken. Tony zögerte, als er die Akte aufschlug und sah Linda ernst an.
"Du weißt, dass diese Daten innerhalb dieser vier Wände bleiben müssen. Sie sind streng vertraulich, aber wenn dir tatsächlich so viel daran liegt, werde ich versuchen, all deine Fragen so gut ich kann zu beantworten. Aber sei bitte nicht enttäuscht, wenn ich dir nicht allzu viel über sie sagen kann." Linda war bereits ganz aufgeregt und nickte eifrig. In diesem Augenblick wirkte sie wie ein kleines Kind, das versprach, ganz brav und artig zu sein, damit es sein Eis bekam. Tony setzte gerade zum Sprechen an, als Linda ihn in letzter Sekunde unterbrach. "Ähm, entschuldige bitte, Tony. Hättest du etwas zu Schreiben für mich?" Mit einem leichten Seufzer reichte er ihr Stift und Papier, damit Linda alle Informationen sorgfältig aufschreiben konnte und sie nichts vergaß.
"Also, wie du weißt, lautet ihr Name Fiona Jones. Sie ist 39 Jahre alt und ist im Mai 1974 in London geboren. Sie ist nicht verheiratet und hat keine Kinder." Plötzlich stockte Tony mit einem nachdenklichen Ausdruck in den Augen, die Augenbrauen eng zusammen gezogen, als wäre ihm gerade etwas eingefallen, das ihm im Nachhinein womöglich ein wenig seltsam vorkam. Und so war es auch.
"Was ist? Sprich weiter." Auch